Dritter Weg in Berlin: Neonazis auf Konfrontationskurs

Eine kleine Gruppe Neonazis des Dritten Weg verübt immer mehr Straftaten. Die Gesellschaft müsse einschreiten, fordern zivilgesellschaftliche Akteure.

Ein paar Neonazis der rechtsextremen Partei bei einer Demonstration. Im Hintergrund Polizei.

Nicht viele, aber gefährlich: Neonazis des Dritten Wegs bei einer Demonstration in Hohenschönhausen Foto: Jean-Marc Wiesner

BERLIN taz | Die neonazistische Kleinstpartei „Dritte Weg“ und ihre Jugendorganisation „Nationalrevolutionäre Jugend“ (NRJ) gehen in Berlin zunehmend auf Konfrontationskurs. Anfang Juli tauchte eine vierköpfige Gruppe in Kleidung der NRJ vor dem Sommerbad Pankow auf und pöbelte Menschen an, die sie für Mi­gran­t*in­nen hielten. Nur wenige Tage später griffen zehn Nazis in Parteikleidung der NRJ und des Dritten Wegs das linke Hausprojekt AJZ Kita in Hellersdorf mit Pyrotechnik an.

Während des diesjährigen Christopher Street Day (CSD) lauerten Angehörige des Dritten Wegs und der NRJ mit Flaschen bewaffnet Feiernden auf und bedrängten sie. Am gleichen Tag wurde am Fernsehturm ein homofeindliches Banner angebracht. Darauf zu lesen war unter anderem die römische Ziffer „III“.

Auch die Zahlen der Berliner Register spiegeln diese Entwicklung wider. Bereits seit einigen Jahren steigen die gemeldeten Vorfälle mit Bezug zum Dritten Weg an: von 77 im Jahr 2019 auf 524 im vergangenen Jahr und bereits 314 bis Mitte dieses Jahres. Damit trägt der Dritte Weg maßgeblich zu einem berlinweiten Trend bei: seit etwa eineinhalb Jahren steigen die Zahlen gemeldeter rechtsextremer Vorfälle erheblich, auch die für Beleidigungen, Bedrohungen, Pöbeleien sowie körperliche Angriffe.

Anne Schönfeld vom Register Marzahn-Hellersdorf, einer Meldestelle für Rechtsextremismus und Diskriminierung, warnt: „Die Aggressivität hat zugenommen. Die Situation ist alarmierend.“ Gerade die jüngsten Aktionen zeigten eine „Massivität, die es so lange nicht mehr gab“. Besonders dramatisch sei die Lage in Marzahn-Hellersdorf. Wurden hier im vergangenen Jahr noch 365 Vorfälle gemeldet, waren es bereits 250 bis Mitte dieses Jahres. Rund die Hälfte davon sei dem Dritten Weg zuzuordnen, so Schönfeld. Für sie ist klar: „Irgendwas muss unternommen werden, damit es nicht zu schwerwiegenderen Angriffen kommt.“

Berlin-Brandenburg-Vernetzung bedeutsam

Lola von der Jugend Antifa Platte (JAP), die sich seit 2021 gegen das Erstarken des Dritten Weg in Marzahn-Hellersdorf organisiert, teilt Schönfelds Einschätzung. „Die trauen sich, mit mehreren Personen bei Demos aufzutauchen, zu pöbeln, zu filmen, den Frontblock anzugreifen. Wenn sich dem nicht entgegengestellt wird und die sich weiter so sicher fühlen, werden die das weiter ausbauen“, sagt sie.

Wie groß die Gruppe in Berlin ist, können weder sie noch Schönfeld genau sagen. Insgesamt seien es „nicht so viele“, sagt Lola. Einige Personen, wie der Pankower Neonazi und NRJ-Führungskader Erik S. würden regelmäßig in Erscheinung treten. Und oft seien auch Mitglieder aus Brandenburg an den Aktionen beteiligt, vor allem aus der Region Märkisch-Oderland. Tom Kurz von der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt in Strausberg bestätigt das. „Die Akteure treten bei uns nicht mehr so stark auf, aber fahren regelmäßig nach Berlin.“

Der Telegram-Kanal des Dritten Weg in Berlin und Brandenburg hat 659 Abonnent*innen. Es ist aber davon auszugehen, dass nur wenige davon tatsächlich in den Strukturen aktiv sind. Im Bereich MOL seien es 5, sagt Kurz. Im Jahr 2022 waren es in ganz Brandenburg laut Verfassungsschutz 60 Personen. Darunter auch der in Angermünde lebende, mehrfach vorbestrafte Parteivorsitzende, Neonazi und NSU-Kontaktmann Matthias Fischer. Der Berliner Verfassungsschutz ordnete der Gruppe im Jahr 2022 80 Personen zu.

Aus den Verfassungsschutzberichten beider Länder geht hervor, dass der Dritte Weg seit 2021 wächst, während das gesamte rechtsextreme Spektrum – in Berlin etwa 1.450 Personen, in Brandenburg etwa 2850 Personen – seit Jahren stagniert. Der Dritte Weg sammelt demnach trotz seiner Propaganda vor allem Personen aus anderen rechtsextremen Strukturen ein.

Neonazis im wahrsten Sinne des Wortes

Auch in Strausberg sei das zu beobachten, so Kurz. Die dort früher aktive „Division MOL“, der auch Erik S. angehörte, sei in den letzten Jahren in dem Dritten Weg aufgegangen, erklärt er. Die aktionsorientierte Jugendarbeit sei ein Grund, weshalb sich junge Neonazis zum ­Dritten Weg orientierten. Ein anderer sei der Bedeutungs­verlust der NPD.

Diejenigen, die im Dritten Weg aktiv sind, sind gerade deshalb gefährlich, sagt Lola. „Die sind gewaltbereit und kampfsporterprobt.“ Vor allem in Marzahn-Hellersdorf wolle die Gruppe ein „Angstszenario erschaffen, durch ihre Propaganda und ihr Auftreten, und den Bezirk wieder zu einem rechtsradikalen Hotspot machen“, sagt sie.

Gerade der oft fehlende Widerspruch aus der Zivilgesellschaft mache es ihnen leicht: „Die fühlen sich hier immer wohler, können sich in Parteikleidung am helllichten Tag in der Stadt bewegen.“ Und auch Infostände der Partei könnten im Bezirk lange stehen. Zwar gebe es wenig Zustimmung, so Lola, „aber Akzeptanz“.

Akzeptanz, wohlgemerkt für Neonazis im wahrsten Sinne des Wortes. Das Programm der Kleinstpartei propagiert einen nationalen Sozialismus auf Basis völkischer Abstammungsideen und patriarchaler Familienvorstellungen. Gewalt, ganz besonders als männlich und kriegerisch dargestellte Gewalt, wird in den Onlineauftritten der Gruppe verherrlicht. Gehetzt wird gegen sämtliche politische Feinde, die nicht in die der NSDAP entlehnten Ideologie passen. Aktuell vor allem gegen Migrant*innen, LGBTIQ*, Obdachlose und Antifas.

„Die Zivilgesellschaft muss dagegenhalten“

Um dem Einhalt zu gebieten, müsse die Zivilgesellschaft stärker dagegenhalten, sagt Lola. „Es braucht eine gesellschaftliche Stimme gegen den Dritten Weg“. Sofern möglich, sollten Leute einschreiten, wenn sie rechtsextreme Vorfälle beobachten. Oder diese melden. Auch Betroffene sollten sich immer an Meldestellen wenden, „das hilft den Gruppen, die dagegen arbeiten“, erklärt sie.

Darüber hinaus sei es wichtig, der Gruppe auf der Straße etwas entgegenzusetzen. „Wir machen viel, entfernen deren Propaganda, machen Adbusting, organisieren antifaschistischen Selbstschutz.“ Allein sei das auf Dauer jedoch schwer und frustrierend. Deshalb brauche es mehr Unterstützung aus anderen Kiezen, sagt Lola. „Wenn man in Berlin gegen Neonazis aktiv werden möchte, macht es keinen Sinn, in Friedrichshain zu demonstrieren, sondern da, wo sie besonders aktiv sind.“

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