Verfassungsreform in Italien: Der autoritäre Traum der Rechten
Italiens Senat beschließt eine Verfassungsreform, mit der die Position der postfaschistischen Regierungschefin Giorgia Meloni massiv gestärkt würde.
Sie sieht vor, dass die Bürger*innen nicht nur ihre Abgeordneten, sondern auch den oder die Ministerpräsidenten/in direkt wählen. Zwar müssen beide Häuser des Parlaments ihm oder ihr auch in Zukunft das Vertrauen aussprechen, doch weder verbleibt dem Staatspräsidenten ein Vorschlagsrecht noch können die Volksvertreter*innen bei der Auswahl mitreden – das haben ja schon die Wähler*innen erledigt.
Die plebiszitäre Legitimation durchs Volk würde dem oder der Regierungschefin eine äußerst starke Stellung verschaffen, bei einem Rücktritt zum Beispiel wegen eines Koalitionskrachs könnte er/sie unmittelbar das Parlament auflösen. Geschaffen wäre so die Figur eines Regierungschefs, der die eigene Parlamentsmehrheit kontrolliert – nicht umgekehrt.
Damit das Ganze funktioniert, ist auch noch eine Wahlrechtsreform geplant. Sie soll dafür sorgen, dass die Parteien der Allianz, deren Spitzenkandidat*in in der Wahl erfolgreich ist, automatisch im Parlament einen Mehrheitsbonus eingeräumt bekommen, der ihnen die absolute Mehrheit der Sitze zuspricht, auch wenn sie bei der Wahl zum Beispiel nur 40 Prozent der Stimmen erhalten haben.
2027 könnte Meloni niemand mehr reinreden
Damit wären in Zukunft Koalitionswechsel ebenso ausgeschlossen wie der Sturz des/der Regierungschefin aus den eigenen Reihen – und der Mann oder die Frau an der Spitze könnte tatsächlich fünf Jahre durchregieren. Damit auch ginge der autoritäre Traum in Erfüllung, den Italiens Rechte nach 1945, erst in neofaschistischen und dann in postfaschistischen Zeiten, immer schon geträumt hat.
Und damit könnte eine bei den turnusgemäß im Jahr 2027 anstehenden Wahlen im Amt bestätigte Giorgia Meloni endlich zur starken Frau werden, der weder das Parlament noch der Staatspräsident groß reinreden können.
Eine zweite Reform der Rechtskoalition allerdings könnte dafür sorgen, dass sie zur starken Frau in einem schwachen Zentralstaat wird. Denn am Mittwoch verabschiedete das Abgeordnetenhaus, ebenfalls in erster Lesung, einen grundlegenden Umbau des Staats hin zur „differenzierten Autonomie“ der Regionen. Dieses Vorhaben wird vor allem von Matteo Salvinis Lega vorangetrieben, die ihrer traditionellen Wählerschaft im Norden ein Bonbon verabreichen will.
Wird die differenzierte Autonomie Wirklichkeit, dann könnten die Regionen auf so gut wie allen Politikfeldern, vom Schul- bis zum Gesundheitswesen, von der Wirtschaftsförderung bis zur Energiepolitik, von der Landschafts- bis zur Verkehrswegeplanung die exklusive Zuständigkeit auf Kosten des Zentralstaats beanspruchen – und müssten die dafür nötigen Steuergelder auch nicht mehr nach Rom abführen.
Ein breites Oppositionsbündnis versucht sich zu formieren
Dies wäre eine Steilvorlage für die reichen Nordregionen – und ein Horrorszenario für die armen Regionen Süditaliens. Schon jetzt sind ihre Schulen, ihre Krankenhäuser, ihre Eisenbahnstrecken in schlechterem Zustand als die des Nordens, und das Gefälle könnte sich weiter verstärken, wenn die Nordregionen in Zukunft das Gros ihrer Steuereinnahmen für sich behalten. Kompensationen für die ärmeren Regionen jedenfalls sieht die Reform bisher nicht vor.
Gegen beide Reformen macht jetzt schon ein breites Oppositionsbündnis mobil, das zu ungewohnter Einigkeit gefunden hat. Am Dienstagabend kamen einige tausend Menschen in Rom zu einer Kundgebung zusammen, zu der sowohl die gemäßigt linke Partito Democratico (PD) als auch die 5-Sterne-Bewegung und die radikal linke Liste Alleanza Verdi e Sinistra (AVS – Grün-linke Allianz) aufgerufen hatten.
Mit lauten „Unità, Unità!“-Sprechchören machten die Demonstrant*innen klar, was sie von den Spitzen der Oppositionsparteien erwarten: Einheit im Kampf gegen die beiden Reformen. Sowohl die Vorsitzende der PD, Elly Schlein, als auch Fünf-Sterne-Chef Giuseppe Conte sagten auf der Kundgebung zu, gemeinsam Referenden gegen die Reformen anzustrengen, wenn sie denn definitiv verabschiedet werden sollten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles