Verfassungsklage fürs Klima: Es geht um Leben, Eigentum, Umwelt
Umweltschützer rufen das Bundesverfassungsgericht an, damit Deutschland beim Klimaschutz endlich ernstmacht. Es gibt erfolgreiche Vorbilder.
Die Kläger orientieren sich am Pariser Abkommen für Klimaschutz, das 2015 beschlossen wurde. Danach müssen die beteiligten Staaten versuchen, die globale Erwärmung auf „deutlich unter 2 Grad Celsius“, möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
Innerhalb der EU habe sich Deutschland verpflichtet, in wichtigen Bereichen eine Minderung der Treibhausgas-Emissionen um mindestens 14 Prozent gegenüber 2005 zu erreichen. Doch die Bilanz der bisherigen deutschen Klimapolitik sei mehr als dürftig, so die Kläger. „Es muss davon ausgegangen werden, dass Deutschland ganz sicher die eigenen Klimaziele für 2020 verfehlen wird“.
An 1,5 Grad denkt niemand in Berlin
Die Kläger prüfen die Bereiche Energie, Gebäude, Mobilität, Industrie, Landwirtschaft und Fortstwirtschaft und kommen stets zum Schluss, dass in Deutschland keine kurzfristig wirksamen Maßnahmen geplant sind und auch bezifferbare langfristige Minderungen nicht sicher erbracht werden können. Das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens verfolge die Bundesregierung nicht einmal.
Die Verfassungsbeschwerde wirft dem Gesetzgeber ein „Unterlassen“ vor. Er habe damit seine „Schutzpflicht“ für die Grundrechte auf Leben, Gesundheit und Eigentum verletzt. Ergänzend stützt sich die Klage auch auf das Staatsziel Umweltschutz, das 2002 im Grundgesetz verankert wurde.
Die Klage umfasst 157 Seiten. Der Großteil der juristischen Ausführungen versucht, die Verfassungsrichter von der Zulässigkeit der Klage zu überzeugen.
Nach ständiger Karlsruher Rechtsprechung hat der Staat bei der Erfüllung von Schutzpflichten und der Umsetzung von Staatszielen einen weiten Spielraum. Die Verfassungsrichter wollen sich nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen. In der Klimapolitik könne dies aber nicht gelten, argumentieren die Verfasser der Klageschrift, die Rechtsanwältin Franziska Heß und der Rechtsprofessor Felix Ekardt. Hier müsse das Verfassungsgericht korrigierend eingreifen, denn staatliches Handeln sei „zwingend notwendig“ und die bisher ergriffenen Maßnahmen „völlig unzureichend“.
Das Verfassungsgericht solle dem Staat die Maßnahmen auch nicht im Detail vorschreiben, es müsse ihn aber zur Einhaltung der völker- und europarechtlich verbindlichen Ziele verpflichten. Immerhin habe Deutschland mit der Ratifizierung des Pariser Abkommens selbst anerkannt, dass eine wirksame Begrenzung der Erderwärmung dringend notwendig ist.
Versorgung gefährdet
Der gesetzgeberische Entscheidungsspielraum müsse jedenfalls dort enden, wo ein Unterlassen „das freiheitlich-demokratische System als solches zu gefährden beginnt“, heißt es in der Klage. Die drohende Erderwärmung um 3 bis 6 Grad werde die Nahrungs- und Wasserversorgung in Teilen der Welt gefährden und zu „Migrationsbewegungen größeren Ausmaßes“ führen. All dies mache „gewaltsame Auseinandersetzungen“ wahrscheinlicher.
Zwar könne Deutschland den Klimawandel nicht allein aufhalten, da es sich um ein globales Problem handele. Eine Lösung werde aber nicht gelingen, wenn „alle Staaten wechselseitig darauf warten, dass jeweils andere zunächst tätig werden“, so die Kläger.
Für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde ist auch erforderlich, dass die Kläger geltend machen, „selbst, gegenwärtig und unmittelbar“ in ihren Grundrechten verletzt zu sein. Beim Klimaschutz ist das ein Problem, denn die schwerwiegenden Folgen drohen erst viel später. Heß und Ekardt argumentieren jedoch: Wenn Folgen, die erst in Jahrzehnten eintreten, nur durch sofortige Maßnahmen verhindert werden können, dann seien die Kläger auch „gegenwärtig“ in ihren Grundrechten verletzt.
Sicherheitshalber machen die Kläger aber auch mögliche kurzfristige Belastungen durch den Klimawandel geltend. Einige Beschwerdeführer gehören „besonders verletzlichen Bevölkerungsgruppen“ an, etwa ein Dialysepatient, ein 83jähriger alter Mann und ein einjähriges Kleinkind. Die zu erwartenden Hitzewellen könnten ihre Gesundheit schädigen. Während es in den 1950er-Jahren im Schnitt nur drei mal jährlich Temperaturen über 30 Grad Celsius gab, seien es heute schon acht Tage pro Jahr.
Außerdem verweisen die Kläger auf Gefahren für ihr Eigentum. Soweit sie in der Nähe von Flüssen gebaut haben, drohten Überschwemmungen. Ein Haus in Hanglage könnte von Erdrutschen bedroht sein. Und die Dachwohnung eines Hauses im besonders sonnigen Freiburg sei wegen der Hitze nur noch sehr eingeschränkt nutzbar. Der Verband BUND, der keine persönlichen Grundrechte geltend machen kann, will zudem als „Anwalt für die Umwelt“ klagen.
Wann Karlsruhe über die Verfassungsbeschwerde entscheidet, liegt ganz im Belieben der dortigen Richter.
BUND und SFV sind Teil einer globalen Bewegung, die versucht, die Regierungen mit Hilfe von Gerichten in der Klimapolitik zum entschlossenen Handeln zu zwingen. Im Oktober hat ein Gericht in Den Haag die niederländische Regierung verpflichtet, die selbst aufgestellten Klimaziele auch einzuhalten. Erfolg hatte dabei die Klima-Initiative Urgenda.
Im Oktober hat Greenpeace mit der Umwelt-Anwältin Roda Verheyen eine Klage beim Verwaltungsgericht Berlin eingereicht. Das Gericht soll die Bundesregierung verpflichten, das nationale Aktionsprogramm „Klimaschutz 2020“ um geeignete Maßnahmen zu ergänzen, damit die internationalen Klimaziele erreicht werden können.
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