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Verbreitung von DesinformationGiftmittel der Populisten

Essay von Ilija Trojanow

Die Scharlatane von heute haben statt dubioser Elixiere simple Antworten parat. Verunsicherte Menschen fallen dem in Krisenzeiten leichter zum Opfer.

Quacksalber am Werk Foto: Alashi/getty

A ls der Westen noch wild war, zogen manche, meist mundfleißige Männer von eleganter Statur, von Markt zu Marktplatz, mit einem Wagen voller Wunder: Elixiere gegen jedes Leiden, Heilung für jede Krankheit, Lösungen für jedes Problem. Als gewiefter Verkäufer priesen sie „snake oil“ gegen Haarausfall an, selbst wenn sie selbst ein Toupet trugen.

Heute, mehr als hundert Jahre später, verkaufen Scharlatane keine Tinkturen mehr, sondern etwas Gefährlicheres: simple Antworten.Die neuen Rechten sind Meister der Quacksalberei.

Ihr Erfolgsrezept basiert auf drei Säulen: Erstens, sie präsentieren eine vermeintlich klare Diagnose gesellschaftlicher Probleme, zweitens, sie identifizieren ohne Wenn und Aber die wirklich Schuldigen und bieten, drittens, scheinbar einfache Lösungen feil.

In einer Welt, die von wachsender Komp­lexität und Unsicherheit geprägt ist, wirkt solche Klarheit wie ein Tropfen Balsam auf der juckenden Haut menschlicher Verunsicherung.

Populismus ist keine Heilmethode

Denn die Ängste sind real, selbst wenn sie sich aus Albträumen über drohende Verluste speisen. Auch diffuse Sorgen verursachen Schmerzen, und der Scharlatan weiß diese zu lindern (siehe die vielen Werbespots auf Youtube, die Erfolg, Geld und Selbstbewusstsein versprechen, alles nur einen Klick entfernt).

Das Prinzip ist einfach: Es sind stets andere Menschen, die unsere Probleme verursachen. Also können wir diese nur lösen, indem wir anderen Menschen wehtun. Und da es gefährlich sein kann, sich mit den Mächtigen anzulegen, wird praktischerweise auf die Schwächsten und Elendsten eingeprügelt, also auf die Einwanderer.

Der Sieg über diesen schlimmen Feind soll die Rückkehr in das Paradies ermöglichen, aus dem uns die Migration vertrieben hat, eine imaginäre Vergangenheit, in der die heutigen Sorgen noch nicht existierten (es gab zwei Weltkriege, aber ein guter Scharlatan ist geschichtsblind).

Mit anderen Worten: Krankheit und Heilmethode fallen völlig auseinander. Wie etwa in Italien, wo die Regierung sich zwar öffentlich dafür ausspricht, die „illegale Einwanderung“ zu stoppen, zugleich aber die Zahl der ausländischen Arbeiterinnen, die im eigenen Land angestellt werden dürfen, verdreifacht hat. Es dabei zu belassen ist jedoch auch nur ein Herumdoktern an den Symptomen, ohne die wahren Probleme zu lösen.

Die kapitalistische Krise schadet der Mehrheit

Die gesellschaftliche Unzufriedenheit samt neoautoritärer Wende hat vor allem ökonomische Ursachen: 40 Jahre neoliberaler Politik haben zu wachsender Ungleichheit und öffentlichem ­Investitionsstau geführt.

In Deutschland zeigt sich die Unzufriedenheit deutlich: Schon 2020 befanden 55 Prozent der für das Edelman Trust Barometer befragten Menschen, dass der Kapitalismus der Welt mehr schadet als nützt. Die jährliche Studie misst das Vertrauen der Menschen in Institutionen wie Regierungen und Unternehmen. Nur 23 Prozent der Deutschen waren hinsichtlich ihrer ökonomischen Zukunft optimistisch.

Das Problem ist nicht die autoritäre Herrschaft, sondern die kapitalistische Krise

Neulich wurde ich nach der Aufzeichnung einer TV-Sendung mit Michel Friedman bei der folgenden öffentlichen Diskussion von einem Gymnasiasten gefragt, wieso ich bei dem Thema die Wirtschaft so sehr betont hätte.

Ganz einfach: weil es im „Kampf gegen rechts“ nicht ausreicht, die Scharlatane zu entlarven, sondern es müssten die Missstände, die ihren Aufstieg ermöglicht haben, an der Wurzel gepackt werden. Das Problem ist nicht die autoritäre Herrschaft, sondern die kapitalistische Krise.

Alternativen gegen toxische Heilversprechen

Der Weg zu einer humaneren Gesellschaft führt nicht über simple Allheilmittel, sondern über die ehrliche Auseinandersetzung mit den Herausforderungen unserer Zeit.

Wer den Aufstieg der Neuen Rechten stoppen will, muss die Ungerechtigkeiten und das destruktive Potenzial des herrschenden Systems ernst nehmen. Soziale Gerechtigkeit, bezahlbarer Wohnraum, faire Bildungschancen und vieles mehr wäre die heilende Alternative gegen die Heilsversprechen.

Desinformation wird salonfähig

Stattdessen – man muss sich nur der Rosskur einer deutschen Talkshow unterziehen – versuchen die Verkaufsvertreter der anderen Parteien, mit schiefen Diagnosen und krummen Fakten ihr Gemisch anzupreisen.

Die Scharlatanerie dominiert inzwischen den politischen Marktplatz, und die Moderatorinnen verstehen sich offenbar nur mehr als Nummerngirls, die zwischen den Runden den Ring der Eitelkeiten betreten und die nächste Frage hochhalten, während die Quacksalber am Tisch kurz verschnaufen und für die nächste Augenwischerei Luft holen.

Siehe etwa den bayrischen Cowboy Markus Söder bei Caren Miosga, der unwidersprochen populistische Lügen trillerte.

Quacksalberei entlarven

Wer solche Schlangenöl-Rhetorik begreifen will, könnte sich eines jener online angepriesenen Energiespargeräte besorgen und mit einem Schraubenzieher auseinandernehmen. Drinnen finden sich nur ein kleiner Kondensator und eine LED-Leuchte. Quacksalberei im High-Tech-Wonderland.

Auch zu finden bei Softwareprodukten, die – welch Überraschung – mit pseudoseriösen Erklärungen und wichtigtuerischen, aber nichtssagenden Begriffen übertriebene Verbesserungen versprechen.

Wenn eine Software fehlerhaft ist, reicht es nicht aus, ihre Bugs zu beheben. Wir werden die Wende hin zur Unmenschlichkeit erst stoppen, wenn wir den Mangel an Menschlichkeit (an Solidarität und Gerechtigkeit) im existierenden System bekämpfen.

Ausbau der Demokratie statt pure Verteidigung

Das Erstarken der Neofaschisten ist ein Warnruf: Statt die Demokratie nur zu verteidigen, müssen wir sie ausbauen. Nicht mit geschickteren Lügen, sondern mit entschiedeneren Wahrheiten.

Nicht, indem wir uns an das Existierende klammern, sondern indem wir loslassen. Nicht, indem wir in Apathie versinken, sondern indem wir einen neuen Aufbruch wagen.

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2 Kommentare

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  • Der Vorwurf von Populismus ist, wenn er von sogenannten demokratischen PolitikerInnen, Medienschaffenden und anderen popkulturell Tätigen kommt, blanke Hypokrisie. Die 'Kunst der Vereinfachung', das 'Schmackhaft-machen auch von bitterer Medizin', die gepflegte, wie die rüpelhafte Unterhaltung, gehörten schon immer zum Werkzeug all derer, die anderen irgendetwas verkaufen wollten. In der Politik dient der Populismus dazu, andere Positionen als Unwahrheit oder Unmöglichkeit zu diffamieren, womit zugleich Wahrheitsgehalt und Realisierbarkeit der eigenen Positionen Ausdruck verliehen werden soll. Hier wird mit Verkürzungen, Vereinfachungen und Irreführungen gearbeitet, gerne auch mit populären Metaphern, damit in den auf Empfang geschalteten Gehirnen kein Funken von Zweifel oder Kritik aufglimmt.

    Wann hat es in den vergangene Jahrzehnten im Politikbetrieb oder den Massenmedien ausführliche Diskussionen der Grundannahmen von liberaler Demokratie oder Marktwirtschaft gegeben? In fast jeder öffentlichen Debatte werden solche Annahmen als unhintergehbare und objektive Wahrheiten vorausgesetzt und damit der Rahmen für Gegenwartsanalysen und Zukunftsentwürfe gesetzt und begrenzt.

  • Nach meinem Verständnis sieht es der Artikel auch zu einfach. Der Kapitalismus ist nicht nur schlecht - ich glaube schon, dass es korrekt ist zu sagen, dass er der wichtigste Baustein für die materiellen Fortschritte der letzten 250 Jahre ist, aber auch für Kreativität, berufliche Erfüllung (eigene Ideen aufbauen) und mehr. Er hat eben auch Nachteile, die auch sehr groß werden können.

    Migrationsprobleme sind da und nicht so simpel, dass nur ein paar Leute billige Auswege für ihre eigenen Probleme suchen. Migranten können sich etwa mehrheitlich Kapitalismus wünschen (und viele andere Dinge).

    Sozial, Gerechtigkeit und Menschlichkeit sind keine in sich trivial klaren und widerspruchsfreien Begriffe. Wegen kaum etwas wird soviel Gewalt und Kriege ausgeführt wie wegen verletzten Gerechtigkeitsgefühlen - die sind extrem stark, passen aber oft nicht zusammen.

    Und vieles mehr: es scheint mir, auch vom Ansatz her, nicht so "simpel" zu sein, dass wir klar negative (Kaptialismus, gegen Migration etc.) gegen klar positive (Gerechtigkeit, Menschlichkeit) Kräfte hätten und damit auch schon das Wesentliche gesagt sei.