piwik no script img

Verbrechen PyrotechnikRazzia bei Ultras

Auf der Suche nach Pyrotechnik hat die Polizei acht Wohnungen von Fußballfans durchsucht. Die Fanhilfe hält das für bloßen Aktionismus.

Sieht aus wie im Krieg, sind aber Fans im Fußballstadion: Ultras von Hannover 96 zünden bengalische Fackeln. Bild: dpa

HAMBURG taz | Sie sollen für Stimmung sorgen, sind im aber Fußballstadion verboten: bengalische Fackeln. Weil sie bei dem Nord-Derby zwischen Hannover 96 und Eintracht Braunschweig Anfang November massenhaft abgebrannt wurden, hat die Polizei am frühen Dienstagmorgen die Wohnungen von acht Fußballfans in Hannover, Hildesheim und Düsseldorf durchsucht.

Staatsanwaltschaft und Polizei verdächtigen die Fans, „Straftaten gegen das Sprengstoffgesetz – durch Zünden von Pyrotechnik – begangen zu haben“. Die Beamten beschlagnahmten Bengalos, Böller, Kleidung und Computer. Die Fanhilfe Hannover bezeichnete das Vorgehen als nicht verhältnismäßig.

Das Feuerwerk im Fußballstadion ist Gegenstand eines Streits zwischen dem Deutschen Fußballbund (DFB) und der Fanszene. Der DFB hält das Abbrennen von Pyrotechnik in den oft eng besetzten Stadien für zu gefährlich. Wiederholt sind dabei Menschen verletzt worden. Die Fans wollen auf das Feuerwerk als Ausdrucksmittel in ihren Choreografien nicht verzichten und erklären das Risiko für beherrschbar.

Gespräche über eine Legalisierung endeten vor gut zwei Jahren damit, dass der DFB das Verbot bekräftigte. Auch Razzien bei Fußballfans hat es bundesweit immer wieder gegeben, wobei auch Feuerwerkskörper sichergestellt wurden. Dabei wurde den Fans aber in erster Linie Gewalttätigkeit vorgeworfen.

„Fußballtypische Rohheitsdelikte“

Die Fans und das Derby

Derby: Am 9. November vergangenen Jahres sind die beiden niedersächsischen Clubs Eintracht Braunschweig und Hannover 96 zum ersten Mal nach 37 Jahren wieder in der ersten Bundesliga aufeinandergetroffen. Beide Vereine haben Grund, aufeinander neidisch zu sein: Im Gegensatz zu Hannover war Braunschweig Gründungsmitglied der Bundesliga; dafür hat Braunschweig über die Jahre gegenüber Hannover an Bedeutung verloren.

Pyrotechnik: Wegen der Seltenheit des Aufeinandertreffens gaben sich die Ultra-Fans von Hannover besondere Mühe mit ihrer Choreografie. Der Verein hatte der Hardcore-Gruppierung vor dem Spiel sogar eine Probe erlaubt - im Vertrauen darauf, dass sie auf Feuerwerk verzichten würden.

Bei dem Derby Hannover - Braunschweig hatte die Bundespolizei zwar auch von „fußballtypischen Rohheitsdelikten gegen Polizeibeamte und gegnerische Fans“ gesprochen. Fans versuchten das Stadion zu stürmen, 14 Polizeibeamte wurden leicht verletzt. Doch am Ende konzentrierte sich die Kritik auf die Pyrotechnik, die während des ganzen Spiels über gezündet wurde. Den Vereinen drohen deshalb saftige Geldstrafen vom DFB.

Gleich nach dem Spiel kündigte 96er-Präsident Martin Kind an, die Feuerwerker unter den Fans verklagen zu wollen: „Und wenn es nur einer ist, dann werden wir alles ausschöpfen“, sagte er. Nach Auskunft des Vereinssprechers Alex Jacob hat das Sportgericht die Frist, innerhalb derer sich Hannover 96 zu den Vorwürfen äußern darf, auf unbestimmte Zeit verlängert. Der Verein warte auf das Ermittlungsergebnis der Behörden.

Die Polizei hat eine „Ermittlungsgruppe Derby“ gegründet. Die Bewohner der acht durchsuchten Wohnungen sollen im und in einem Fall vor dem Stadion gezündelt haben. Darüber hinaus ermittelt die Polizei gegen weitere Verdächtige. Nur in drei der Wohnungen fand die Polizei illegale Pyrotechnik. Wie Holger Hilgenberg von der Polizei Hannover bestätigte, gilt nur das Zünden nicht zugelassenen Feuerwerks als Straftat, bei zugelassener Pyrotechnik handele es sich um eine Ordnungswidrigkeit.

Schwacher Anlass für schwerwiegenden Eingriff

Weil das so ist und weil beim Derby niemand durch Pyrotechnik verletzt wurde, hat die Fanhilfe Hannover die Frage aufgeworfen, ob ein derart schwacher Anlass einen derart schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte rechtfertigt. Florian Meyer von der Fanhilfe wertet die Razzia als Aktionismus: „Die sind unter Druck, Erfolge zu liefern“, vermutet er.

Es seien Zweifel angebracht, ob die Polizei ihren Verdacht hinreichen untermauern könne – schließlich seien die Ultras im Fanblock, wo die Bengalos gezündet wurden, vermummt gewesen. Dass die Polizei Feuerwerk in den Wohnungen gefunden habe, müsse nichts heißen. „Vor 22 Tagen war Silvester“, sagt Meyer. „Da kann es schon sein, dass noch ein oller Böller rumliegt.“

Grundsätzlich rechtfertige auch eine vermutete Ordnungswidrigkeit eine Wohnungsdurchsuchung, sagt der Rechtsanwalt Paulo Dias, Mitglied im Republikanischen Anwaltsverein. Allerdings müsse eine solche Maßnahme „in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen“. Das sei nicht der Fall, wenn weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stünden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • C
    Casual

    Zwanghafte Grenzerfahrungsbereitschft von Jugendlichen?

    Wer mal nach Italien in die Kurven schaut, sieht, dass es sich keineswegs um das Ausleben irgendeines jugendlichen Leichtsinns ist. Hier geht es um Fankultur und Pyrotechnik ist und wird immer ein Teil davon sein!

    Zu den Polenböllern: Unter der Kampagne "Emotionen respektieren - Pyrotechnik legalisieren" haben sich viele Fan- und Ultragruppierungen zusammengeschlossen um für einen verantwortungsvollen Umgang mit Pyrotechnik zu kämpfen und dort werden Böller konsequent abgelehnt.

  • G
    Gast

    Wer die Verletzungen gesehen hat, die durch Pyrotechnik oder Polenböller entstehen können, wird nicht mehr an der Verhältnismäßigkeit zweifeln. Genau wie bei jungen, männlichen Rasern muss doch nicht jeder abenteuerorientierte Jugendliche geduldet werden, der mit der Gefahr und der Gesundheit der anderen spielt . Denn leider entwickelt sich da oft auch eine Dynamik von: Immer mehr, immer riskanter. Ein Besuch im Krankenhaus würde zur Beurteilung helfen. Polenböller z.B. sind lebensgefährlich und die Nutzer meist nicht nüchtern. Warum sollte man so was dulden?

    • H
      Heimspiel-Gast
      @Gast:

      "und die Nutzer meist nicht nüchtern" - woher haben Sie diese "Information"?

       

      "Wer die Verletzungen gesehen hat, die durch Pyrotechnik .... entstehen können" Das ist sicherlich richtig, sagt aber über die Gefahr an Sylvester mehr aus als über die Gefahren beim Beisch eines Fussballspiels.

    • GI
      Gast II
      @Gast:

      Redet irgendjemand in diesem Zusammenhang von polnischen Böllern? In Fußballstadien tauchen sie nicht auf, als was soll der Einwurf?

      • @Gast II:

        In meinen Augen geht es im Kommentar von Gast 1 eher ums Prinzip. Ich verstehe durchaus, dass er meint, Jugendliche sollten in ihrer zwanghaften Grenzerfahrungsbereitschft ein wenig gezügelt werden.