Verbotsverfahren gegen HDP in der Türkei: Frontalangriff auf die HDP
Die Staatsanwaltschaft will die kurdisch-linke HDP in der Türkei verbieten. Der Schlag hatte sich abgezeichnet – Grund sind Wahlerfolge der Partei.
Dieser Schlag gegen die HDP hatte sich seit längerem abgezeichnet. Immer wieder waren Funktionäre verhaftet und Bürgermeister der HDP abgesetzt und durch staatliche Zwangsverwalter ersetzt worden. Darüber hinaus wurde versucht, Abgeordneten der HDP im Parlament die Immunität zu entziehen, angeblich um gegen sie strafrechtlich vorgehen zu können.
Erst wenige Stunden vor Bekanntwerden der Verbotsforderung war dem HDP-Abgeordneten Ömer Faruk Gergerlioğlu sein Parlamentsmandat entzogen worden, weil eine Verurteilung zu zweieinhalb Jahren Haft gegen ihn im Februar rechtskräftig geworden war. Grund für die Haftstrafe war ein Tweet aus 2016, der ihm als Terrorpropaganda ausgelegt wurde.
Gergerlioğlu ist ein Menschenrechtsanwalt, der vor seiner Abgeordnetentätigkeit die islamische Menschenrechtsorganisation Mazlum-Der geleitet hatte. Seine Kollegin von Human Rights Watch, Emma Sinclair-Webb, nannte die Entscheidung über die Aberkennung des Mandats eine „absolut schockierende Entwicklung“, die zeige, dass der so genannte Menschenrechtsaktionsplan, den Präsident Recep Tayyip Erdoğan vor zwei Wochen vorgelegt hatte, reine Fassade sei.
HDP war bei Wahlen einfach zu erfolgreich
Dabei wird Gergerlioğlu wohl nicht der einzige Abgeordnete bleiben, der sein Mandat verliert. Noch vor Ende des Verbotsverfahrens, das sich über einige Monate hinziehen kann, könnten neun weitere HDP-Abgeordnete ihre Immunität verlieren. Verschiedene Gerichte fordern vom Parlamentspräsidenten die Aufhebung ihrer Immunität, um sie in diversen Verfahren anklagen zu können. Darunter sind die beiden Parteivorsitzenden Pervin Buldan und Mithat Sancar. Die früheren HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ sitzen bereits seit 2016 im Gefängnis.
Trotz des massiven politischen Drucks war die Partei bei ihren Wählern sehr erfolgreich. Im Jahr 2015 gelang es der HDP als erster kurdischen Partei überhaupt, die 10-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament zu überspringen und die AKP von Präsident Erdoğan damit um ihre absolute Mehrheit zu bringen. Seitdem war die HDP in zwei weiteren nationalen Wahlen und den Kommunalwahlen 2019 erfolgreich. Sie hat rund sieben Millionen Wähler.
Vor allem die Kommunalwahlen haben Erdoğan und seinem Koalitionspartner Devlet Bahçeli von der ultranationalistischen MHP gezeigt, wie gefährlich die HDP für sie ist. Indem die HDP, ohne dazu ein formales Bündnis einzugehen, die Kandidaten der Oppositionskoalition von CHP und IYI-Partei unterstützte, gelang es der Opposition, die wichtigsten Metropolen des Landes zu erobern, darunter Istanbul und Ankara. Für kommende Wahlen soll sich dieses Muster auf keinen Fall wiederholen. Nachdem es Erdoğan bislang nicht gelang, einen Keil zwischen die Oppositionsparteien zu treiben, soll nun das Verbot der HDP die Gefahr einer Wahlniederlage bannen.
Devlet Bahçeli forderte seit Wochen ein komplettes Verbot der HDP, während die AKP und Erdoğan sich zunächst dagegenstellten und die HDP lieber durch stetigen Druck zermürben wollten. Wie so oft hat sich Bahçeli in der Regierung durchgesetzt. Die MHP ist seit langem der Meinung, es sei nur möglich, die kurdische Guerilla PKK zu zerschlagen, wenn man auch ihren angeblichen legalen Arm, gemeint ist die HDP, verbiete.
US-Regierung hatte vor HDP-Verbot gewarnt
Die HDP nannte den Verbotsantrag in einer ersten Stellungnahme einen zivilen Putsch der Regierung. Die AKP-MHP Koalition habe ihre demokratische Legitimation längst verloren und kämpfe mit Gewalt und Repression um ihre Macht.
Bei einem Gespräch mit Journalisten hatte Co-Parteichef Mithat Sancar schon vor wenigen Tagen angekündigt, im Falle eines Verbotsverfahrens mit einer Parteineugründung reagieren zu wollen. Das US-Außenministerium hat die türkische Regierung vor einem Verbot der HDP gewarnt. Das würde den Wählerwillen ignorieren und die Demokratie in der Türkei massiv beschädigen.
Da Präsident Erdoğan sich zur Zeit um eine Verbesserung der Beziehungen zur neuen US-Regierung bemüht und angeblich auch einen Neuanfang mit der EU wagen will, könnte das Verbotsverfahren hohe außenpolitische Kosten nach sich ziehen.
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