VCD-Chef über Nulltarif im Nahverkehr: „Die Idee klingt verlockend“
So einfach geht es nicht, sagt Phillip Kosok vom Verkehrsclub VCD. Die Städte brauchen Geld vom Bund, um Überfüllung in Bussen und Bahnen zu vermeiden.
taz: Herr Kosok, man kommt durcheinander. Früher forderten Linke, Ökos und Piraten den Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV). Nun schlägt die Bundesregierung der EU-Kommission dasselbe vor. Eine gute Idee?
Philipp Kosok: Auch wir sind überrascht. Aber die Idee geht in die richtige Richtung. Es ist ja nicht damit getan, auf die Autoindustrie zu warten. Natürlich müssen die Hersteller die dreckigen Fahrzeuge umrüsten und umweltfreundlichere Autos auf die Straßen bringen. Trotzdem ist es nötig, mehr Verkehr auf Busse und Bahnen zu verlagern. Und das nicht nur an fünf Orten, wie die Regierung nun vorschlägt, sondern in allen Städten mit schlechter Luftqualität.
Es klingt ja erst mal verlockend. Wenn Busse, Straßen- und U-Bahnen für die Kund*innen gratis wären, würden viele Leute ihre Autos stehenlassen. Aber kämen die Verkehrsbetriebe mit diesem Ansturm überhaupt zurecht?
Den Ticketverkauf einfach komplett abzuschaffen erscheint nicht realistisch. Heute schon ist der ÖPNV in vielen Städten gut ausgelastet. Morgens und nachmittags drängeln sich die Passagiere oft in überfüllten Fahrzeugen. Wenn man dann noch den Preis auf null setzte, wären die Busse und Bahnen heillos überfüllt. So geht das nicht.
Also erst das Angebot verbessern, Geld investieren, Fahrer*innen einstellen, neue Linien bauen, und dann die Preise senken?
Genau. Allerdings fehlen den allermeisten Kommunen die Mittel, um diese Angebotsoffensive zu finanzieren. Damit sie in Gang kommt, müsste die Bundesregierung die Gemeinden massiv unterstützen.
30, ist seit 2016 Referent für öffentlichen Nahverkehr beim ökologisch orientierten Verkehrsclub Deutschland (VCD).
Im Zusammenhang mit dem Nulltarif ist davon keine Rede.
Daran sieht man, dass die Nulltarif-Idee der Bundesregierung ein aktionistischer Schnellschuss und wenig durchdacht ist. Damit es funktioniert, brauchen die Kommunen Geld aus dem Bundeshaushalt.
Nahverkehr ist eine ureigene Aufgabe der Städte. Warum soll jetzt die Bundesregierung zuständig sein?
In 70 bundesdeutschen Ballungsräumen werden die Grenzwerte der Luftbelastung mit Stickoxiden überschritten. Daran sind nicht die Stadtverwaltungen schuld, sondern in erster Linie die Autohersteller. Außerdem verhindert die Bundesregierung, dass die Städte zum Beispiel die Blaue Plakette einführen, mit der sie Fahrbeschränkungen nur für die wirklich dreckigen Diesel verhängen könnten.
Heute erwirtschaften die Nahverkehrsunternehmen etwa die Hälfte ihrer Kosten durch den Verkauf der Fahrscheine. Der Nulltarif risse eine gigantische Finanzlücke in ihre Haushalte.
Wir schlagen deshalb vor, die Preise zu halbieren und gleichzeitig das Angebot zu verdoppeln. Der Fehlbetrag wäre dann vermutlich geringer. Aber auch dafür bräuchte es eine zusätzliche Finanzierung, die die Gemeinden nicht alleine stemmen können.
Wie sollte die Bundesregierung die Lücke konkret schließen?
Bisher wird die dreckige Diesel-Technologie subventioniert, indem die Energiesteuer niedriger ist als die auf Benzin. Die Angleichung brächte Mehreinnahmen in Höhe von 8 Milliarden Euro pro Jahr. Damit ließen sich die Ticketpreise im ÖPNV in ganz Deutschland halbieren.
Nicht die Bundesregierung würde das finanzieren. Es geht zulasten der Autofahrer*innen, die Diesel fahren.
Wegen des massiven Schadstoffproblems muss man Dieseltreibstoff teurer machen und ihn damit zurückdrängen. Diesel ist dann so teuer wie Benzin. Allerdings plädieren wir auch dafür, die Autoindustrie an den Kosten zu beteiligen. Wenn der ÖPNV wegen schlechter Luft ausgebaut werden soll, müssen die Verursacher für die Kosten herangezogen werden: die Autobauer.
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