Urteil zu Polizeikontrollen in Hamburg: „Gefährlicher Ort“ ist rechtswidrig

Laut Verwaltungsgericht darf die Polizei auf St. Pauli nicht anlasslos Personalien prüfen. Geklagt hatte ein Schwarzer wegen Racial Profiling.

Plakat mit "Racism kills"-Aufschrift vor demonstrierender Menge

Wütend auf die Polizei: Demo im Park Fiction gegen Racial Profiling und Polizeigewalt Foto: Jannis Große/Imago

HAMBURG taz | Werden Sie auch häufig, etwa auf dem Heimweg vom Sport, von der Polizei angehalten? In Ihrer Sporttasche könnten sich ja Drogen befinden, mit denen Sie dealen. Barakat H. weiß gar nicht mehr so genau, wie häufig die Polizei bei ihm schon eine Identitätsfeststellung durchgeführt hat wegen dieser Vermutung. Der gebürtige Togolese wohnt seit einigen Jahren auf St. Pauli und hat diese Woche gerichtlich bestätigt bekommen, dass er in der Vergangenheit mehrfach unrechtmäßig von der Polizei kontrolliert wurde.

Zwar wurde nicht geklärt, ob der Anlass der Kontrollen seine Hautfarbe war, dafür jedoch kam das Gericht zu dem Schluss, dass Hamburgs bisherige Polizeipraxis an „gefährlichen Orten“ verfassungswidrig ist.

Im Februar 2017 hatte H. beschlossen, die Stadt Hamburg wegen einer rassistischen Kontrolle zu verklagen – und Recht bekommen. Deshalb erweiterten H. und sein Anwalt Carsten ­Gericke die Klage von damals um drei – exemplarische – Fälle und brachten sie erneut vor Gericht. Einen davon erkannte die Stadt zuvor als rechtswidrig an, einen weiteren zog H. zurück. Blieben zwei übrig.

Dem Gericht schilderte H. etwa einen Fall, als er im November 2017 mit einem Freund zurück vom Sport kam. Kurz nachdem sie die S-Bahn-Station Reeperbahn verließen, wurden sie von zwei Polizisten angehalten. „Ich sah sie schon auf uns zukommen“, sagte H. vor Gericht.

Polizisten verneinen Racial Profiling

Die beiden Freunde hätten von dem Beamten wissen wollen, warum sie kontrolliert werden. Auch sein Freund sagte später aus, dass die Polizisten darauf nicht geantwortet hätten. „Ich fragte sie, warum sich immer wieder das Gleiche wiederholt“, sagte H. Erklärt habe es ihm keiner der Polizisten.

Währenddessen kamen weitere Polizist*innen hinzu. „Ich empfand die Situation als zunehmend bedrohlich“, sagte H.s Freund. Erst als beide ihre Ausweispapiere vorzeigten, habe sich die Situation entspannt. Auch er glaubt, dass die beiden nur wegen H.s Hautfarbe kontrolliert wurden. „Ich als Weißer werde nie kontrolliert, außer ich bin mit Schwarzen unterwegs“, sagt er.

Dass H.s Hautfarbe Anlass für die Kontrolle gewesen sei, verneinten wiederum beide Polizisten vor Gericht. Im Rahmen ihres sogenannten Präsenzauftrags hätten sie beim Kläger und dessen Freund ein „auffälliges Verhalten“ erkannt – so hätten sie etwa in ihren Sporttaschen gewühlt.

Präsenzauftrag meint: Der Süden St. Paulis ist von der Polizei als „gefährlicher Ort“ eingestuft, weil es dort intensive Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz gebe. Deshalb dürfen Polizeibeamt*innen die Identität von Menschen feststellen und sie sogar durchsuchen, sofern „tatsächliche Anhaltspunkte dies erforderlich machen“. Anderswo ist das der Polizei so nicht erlaubt.

„Freiheitsrechte grundlegend gestärkt“

Ursprünglich ging es in dem Prozess also um die Frage, ob Hamburger Polizist*innen Racial Profiling betreiben. Ob also die Entscheidung zur polizeilichen Kontrolle zumindest auch von der Hautfarbe H.s abhängt. Diese Frage beantworteten jedoch die Richter*innen nicht – weil die Kontrollen, sozusagen einen Schritt vorher, ohnehin schon rechtswidrig waren.

„In beiden Fällen lagen die Voraussetzungen einer Identitätsfeststellung nicht vor“, teilt das Gericht mit. Für H.s Anwalt Carsten Gericke ist das ein großer Erfolg: „Das Verwaltungsgericht hat die Freiheitsrechte grundlegend gestärkt.“

Denn, das betonten die Richter*innen, einfach so oder nur auf vagen Verdacht dürfe niemand kon­trolliert werden. Auch nicht an einem „gefährlichen Ort“: „Es müssen auch gewisse Anhaltspunkte für einen Bezug der kontrollierten Person zur entsprechenden Gefahr – hier also der Betäubungsmittelkriminalität – vorliegen“.

Weil es in den Fällen nicht einmal vage Anhaltspunkte gab, brauchte das Gericht auch kein Urteil mehr darüber zu fällen, ob die Polizei Racial Profiling betreibt. Gericke sieht das jedoch nicht als Makel: „Damit sind verdachtsunabhängige Kontrollen generell unzulässig.“ Egal also, welche Hautfarbe jemand hat.

Polizei: Fälle sind nur „Ausnahmen“

Wird sich durch das Urteil etwas am viel kritisierten Verhalten der Polizei zumindest an den „gefährlichen Orten“ ändern? Gericke sieht vor allem die Politik in der Pflicht. „Wir erwarten nun, dass die Hamburger Politik diesen neuerlichen gerichtlichen Denkzettel ernst nimmt“, sagt der Anwalt.

Auf Nachfrage der taz an die Innenbehörde, ob sie nun dafür sorgen wolle, dass sich die polizeiliche Kontrollpraxis ändert, damit derartige rechtswidrige Kontrollen künftig verhindert werden, verweist diese an die Hamburger Polizei.

Die gibt sich unbeeindruckt von der Entscheidung des Gerichts. Es seien nicht einmal eine Handvoll Fälle von den insgesamt mehr als 170.000 Kontrollen, die die Polizei im Rahmen der Drogenbekämpfung an den „gefährlichen Orten“ durchgeführt hat, als rechtswidrig erkannt. „Diese Ausnahmen bestätigen eher die ‚Regel‘, als dass sie sie infrage stellen“, sagt Sandra Levgrün von der Hamburger Polizei. Außerdem prüfe die Polizei noch, ob sie Berufung einlegen werde.

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