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Ich frage mich, ob die Polizisten in den USA so viel rassistischer sind als z.B. in europäischen Länden, oder liegt es auch daran, dass der Waffenbesitz so verbreitet ist und die Polizisten bei Kontrollen immer mit dem Gebrauch von Waffen rechnen müssen. Bei dem Fall George Floyd stellt sich die Frage natürlich nicht.
Pure, exzessive rassistische u. institutionell verordnete/flankierte Gewalt kann man niemals sinnvoll relativieren. Der Tod bleibt für ein wehrloses Opfer stets ohne e. begreifbaren Sinn, die Nachwelt gibt die Erklärungen posthum ab. Die KERNFRAGE ist seit Jahrtausenden: Was ist konstitutiv für potenziell bis ins Extreme GEWALTTÄTIGE GESELLSCHAFTEN? Der ubiquitäre Waffenbesitz m. Kollateralschäden allein ist stigmatisierend u. entlarvend. Sogar Kinder erschießen einander akzidentell, im Spiel mit tödlichen Waffen. Die neue Frisur der Täter im Hintergrund ändert das tradierte, internalisierte Denken nicht. Makulatur bleiben Versuche, die Probleme konservativ u. nicht CAUSAL anzugehen. Wer entsprechend fallbezogen bei den Urgründen ansetzt, kann selbst sogar RADIKAL werden in den Forderungen nach Sühne oder Vergeltung. RADIKAL aber alternativ u. progressiv abgeleitet von der sprachlichen Analogie des "an den WURZELN packen" heißt umdenken u. umstrukturieren. Soeben habe ich nach den lehrreichen Mitscherlich-Protokollen u. -Analysen "Die Nürberger Interviews" von Dr. Leon Goldensohn* zur Hand genommen. Der amerikanische Gerichtspsychiater dokumentierte in Notizen Banalität des Bösen u. Bestialität der (Zivil)Gesellschaft als Psychogramm. Pars pro toto? Wer aktuell noch oder erst neu (Frankreich) Dokumentationen von Polizeigewalt u. Zivilcourage unterdrückt, begeht Menschenrechtsverletzungen in puncto Meinungs- u. Kommunikationsfreiheit, das war immer schon Fakt. Über Wiederaufnahmen dubios abgewickelter Fälle wäre allerorten, nicht nur in den USA, noch mehr heilsame Gerechtigkeit möglich, Wiedergutmachung wohl nicht. Gerechtigkeit widerfährt nicht, sie wird ggf. wiederhergestellt u. durch aufgeklärte Zivilgesellschaften per Empowerment selbst bestenfalls eingefordert u. ALLEN garantiert. Ein weiter, aber lohnender Weg. I HAVE A DREAM.
*Chronist d. NS-Verbrecherprozesse in Nürnberg ab 1945, bekam häufig zu hören, die "eigentliche Tragödie sei die der Angeklagten", ecce!
Polizeigewalt und Rassismus sind - nicht nur in den USA - traditionell Teil des Systems. Trump hielt daran fest und leugnete doch beides immer gleichzeitig. Biden nennt diese Dinge jetzt beim Namen und erklärt ihnen den Kampf. Das allein schon macht einen großen Unterschied und zeigt einen Weg auf, das Land doch noch zusammenzuführen.
"Aber so wenig sinnvoll es ist, ausnahmslos allen im Polizeidienst Beschäftigten per se rassistisches Fehlverhalten zu unterstellen – A.C.A.B eben..."
Das tut BLM ja nicht. Nur den weißen...
Der Klimawandel – die physikalische Konsequenz unserer Blödheit – ist da. Dass das 1,5-Grad-Ziel nicht zu halten ist, macht den Kampf nicht zwecklos.
Urteil im Fall George Floyd: Ein wegweisendes Urteil
Mit dem Schuldspruch Derek Chauvins wird eine Katastrophe verhindert. Biden sagt dem systematischen Rassismus den Kampf an. Keine leichte Aufgabe.
Gianna Floyd, die Tochter George Floyds, bei der Urteilsverkündung im Verfahren gegen Chauvin Foto: Nicholas Pfosi/reuters
Die 12 Juror*innen von Minneapolis haben die USA vor einer Katastrophe bewahrt. In allen Anklagepunkten haben sie den Ex-Polizisten Derek Chauvin wegen der Tötung des Schwarzen George Floyd für schuldig befunden. Angesichts der Beweislage, der Aussagen von Zeug*innen und vor allem des Videos von seinem Todeskampf war das eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber viel zu oft ist in Fällen von tödlicher Polizeigewalt gegen Schwarze und People of Colour anders entschieden worden.
Das Motto der Bewegung „Black Lives Matter“ – Schwarze Leben zählen – ist ja gerade aus der kollektiven Erfahrung entstanden, dass das exakte Gegenteil der Fall ist. Viel zu oft zählen Schwarze Leben nicht auf der Straße beim Zusammentreffen mit der Polizei, und nicht im Gerichtssaal, den die Täter*innen ohne Strafe verlassen. Die Verurteilung von Derek Chauvin wird ja eben deshalb bei den vielen Demonstrationen in den ganzen USA so überschwänglich begrüßt, weil sie nicht die Regel ist, sondern die Ausnahme.
Für die Verurteilung des Ex-Polizisten war es wichtig, dass Chauvin keine Solidarität seiner Institution erfuhr. Ex-Kolleg*innen und auch der Polizeichef von Minneapolis verurteilten sein Verhalten. Anders als Chauvins Verteidiger behaupteten sie nicht, dass sein Vorgehen „vernünftig“ gewesen sei. Aber das war natürlich auch der Versuch, das Image der Institution selbst zu retten – schlimmer Einzelfall eben.
Aber so wenig sinnvoll es ist, ausnahmslos allen im Polizeidienst Beschäftigten per se rassistisches Fehlverhalten zu unterstellen – A.C.A.B eben –, so falsch wäre es auch, über die lebenslange Erfahrung der Schwarzen und POC-Communitiy hinweg zu sehen, für die das Auftauchen eines Streifenwagens Lebensgefahr bedeutet. Nicht alle Polizist*innen sind Mörder*innen, aber es ist ein mörderisches System.
Genau darauf ist US-Präsident Joe Biden in seiner Reaktion auf das Urteil eingegangen, als er von einem ersten Schritt im Kampf gegen den systemischen Rassismus sprach. Das ist zunächst nichts weiter als eine Hoffnung. Die Polizei ist dezentral organisiert. Auf Auswahl, Ausbildung und Einsatz der Polizist*innen hat die Bundesebene kaum Einfluss, und die großen Polizeigewerkschaften unterstützten im vergangenen Wahljahr mehrheitlich Donald Trump, der die „Black Lives Matter“-Bewegung als linksradikale Terrorist*innen zu dämonisieren versuchte.
Wenn Biden ernst meint, was er da gesagt hat, wenn er das nicht nur als Appell verstanden wissen, sondern vom Weißen Haus aus tatsächlich etwas ändern wollte, hat er eine politische Kraftanstrengung ersten Ranges vor sich. Das politische Momentum dafür wäre derzeit vorhanden. Es wäre der Versuch, dem Tod George Floyds einen Sinn zu geben.
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Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Kommentar von
Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, Nicaragua-Aktivist in den 80ern, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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