Urteil im Cum-Ex-Prozess: Acht Jahre Haft für juristischen Kopf
Das Landgericht Bonn hat Anwalt Hanno Berger schuldig gesprochen. Mit Steuermanipulationen soll er 275,8 Millionen Euro Schaden verursacht haben.
Beim Cum-Ex-Skandal geht es um Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividende. Die Beteiligten ließen sich Kapitalertragsteuer doppelt erstatten, obwohl sie nur einmal bezahlt wurde. Komplexe Aktienverkäufe rund um den Dividendenstichtag tarnten den Trick. Die Praxis war seit Anfang der 2000er Jahre bei zahlreichen Banken im In- und Ausland üblich.
Die Täter hatten dem deutschen Fiskus damit insgesamt rund 10 Milliarden Euro Schaden verursacht. Mitbeteiligt waren auch Anwälte und Investment-Profis. Jahrelang ließ die Politik das System laufen und ging gar nicht oder nur zurückhaltend dagegen vor. Im Juli 2021 entschied schließlich der Bundesgerichtshof, dass es sich bei Cum-Ex-Geschäften um Steuerhinterziehung handelt.
Eine zentrale Rolle in diesem Skandal spielte der Anwalt Hanno Berger. Das hat das Landgericht Bonn nun am Dienstag festgestellt. Berger war früher Bankenprüfer in der hessischen Finanzverwaltung und beriet später vermögende Kunden internationaler Steuerkanzleien. Er habe Cum-Ex zwar nicht selbst entwickelt, aber die Anwendung enorm verbreitert und damit die Schadenshöhen potenziert, sagte Richter Zickler: „Sie haben Cum-Ex 2.0 erfunden.“
Vorwurf Steuerhinterziehung
Konkret ging es vor dem Landgericht Bonn an 34 Sitzungstagen um drei Vorwürfe der Steuerhinterziehung in Zusammenarbeit mit der Hamburger Privatbank M. M. Warburg. Dabei soll in den Jahren 2007 bis 2009 ein Steuerschaden in Höhe von 166,5 Millionen Euro entstanden sein. Durch ein Fondsmodell kamen 2009 weitere 60,6 Millionen Euro Schaden hinzu und ein Jahr später durch ein Pulikums-Fondsmodell noch einmal 48,7 Millionen Euro. Insgesamt ergab sich allein im Zusammenhang mit der Warburg-Bank ein Schaden von 275,8 Millionen Euro.
„Ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung beginnt bei 50.000 Euro“, sagte Richter Zickler und rechnete vor: „Sie haben die Schwelle um mehr als das 5.000-Fache überschritten.“
Das Gericht folgte der Anklage in vollem Umfang. Berger habe als Mittäter gemeinsam mit den Verantwortlichen der Bank bei den Steuerbehörden falsche Erklärungen abgegeben und dadurch einen erheblichen Steuerausfall verursacht. Dabei habe er auch mit Vorsatz gehandelt. „Dass eine nicht bezahlte Steuer nicht erstattet werden kann, leuchtet jedem ein. Dazu muss man nicht Jura studieren oder Finanzprofi sein“, betonte Richter Zickler. Die Versuche Bergers, noch vor Gericht das Gegenteil zu beweisen, bezeichnete der Richter in seiner rund 90-minütigen Begründung des Urteils als „Blödsinn“.
Das Hinterziehungssystem
Ausführlich argumentierte das Gericht, wie es zur Strafe von acht Jahren gekommen war. Gegen Berger sprach demnach vor allem die kriminelle Energie. „Sie haben ein arbeitsteiliges, gut organisiertes internationales Hinterziehungssystem aufgebaut und am Laufen gehalten.“ Außerdem habe der Angeklagte seine eigenen Profite – mehr als 13 Millionen Euro – mit wiederum komplizierten Offshore-Konstruktionen verschleiert und bisher keinen Cent davon zurückgezahlt. Eine gewissenhafte Beamtin im Bundeszentralamt für Steuern, die ihm auf die Schliche gekommen war, habe er mit existenzbedrohenden Schadenersatzforderungen unter Druck gesetzt.
Allerdings fand das Gericht auch Gründe für eine Strafminderung gegenüber der möglichen Höchststrafe von 15 Jahren. So sei Berger nicht vorbestraft und habe im August ein Teilgeständnis für die Zeit ab 2009 abgegeben. Die Taten lägen lange zurück und Berger sei mit 72 Jahren ein alter Mann, dem die Haft zusetze. Auch die teilweise Vorverurteilung in den Medien, die Berger schon lange als „Mastermind hinter Cum-Ex“ bezeichnen, wurde berücksichtigt. Sogar die Tatsache, dass sein eigener „achtstelliger Gewinn relativ gering ist, im Vergleich zum neunstelligen Schaden“, wurde Berger zugutegehalten. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von neun Jahren gefordert. Bergers Verteidiger hatten in ihrem Plädoyer um „Güte“ gebeten.
Während der Urteilsverkündung schüttelte Berger immer wieder den Kopf. Zickler unterstellte ihm daher „Starrsinn“. Berger kann noch Revision beim BGH einlegen. Es läuft gegen ihn parallel aber auch noch ein Steuerhinterziehungsprozess beim Landgericht Wiesbaden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt