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Unterstützung für TafelnGefahr der Vereinnahmung

Immer mehr Tafeln werden öffentlich gefördert. Ta­fel­ver­tre­te­r:in­nen und Politik warnen vor falschen Signalen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder weiß sich in Szene zu setzen und besucht die Münchener Tafel Foto: imago

Berlin taz | Ein krasses Beispiel politischer Vereinnahmung passierte der Tafel in Salzgitter: Die örtliche AfD hatte kurz vor der Landtagswahl in Niedersachsen eine halbe Tonne Barilla-Nudeln angeliefert. Es sei ihm eine „große Ehre“, der Tafel Salzgitter die Nudeln „übergeben zu dürfen“, postete AfD-Direktkandidat Thomas-Peter Disselhoff auf Facebook. Auf den Nudelpackungen klebten AfD-Sticker. Nach viel Protest wurden die AfD-Aufkleber abgekratzt.

Empörung in den sozialen Medien erntete auch Markus Söder, bayerischer Ministerpräsident (CSU), als er bei der Münchner Tafel, bekleidet mit einer blauen Schürze, den Kun­d:in­nen Brotlaibe überreichte. Auf Twitter postete er das Foto und verkündete, dass Bayern die finanzielle Förderung der Tafel aufstocke. Pikanterweise gehört Bayern zu den Bundesländern, die kürzlich das Gesetz zum Bürgergeld für die Betroffenen verschlechterten.

In mehreren Bundesländern, so etwa in Sachsen, Bayern, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, werden Tafeln vor Ort aus staatlichen Mitteln unterstützt, wobei sich die Fördersummen im Vergleich zu sonstigen öffentlichen Ausgaben eher bescheiden ausnehmen.

In Nordrhein-Westfalen beispielsweise „hat das Land in einem Pilotprojekt den Aufbau von Verteilzentren mitfinanziert“, berichtet Petra Jung, Sprecherin des Landesverbandes Tafel Nordrhein-Westfalen. Das Umweltministerium sagte dem Landesverband eine Projektförderung über drei Jahre bis zum Februar 2023 zu, mit einer Zuwendungshöhe von 740.000 Euro. Mit der Förderung solle unter anderem die Logistik, etwa der Einsatz von Sattelschleppern, von Kühlfahrzeugen und Kühlhallen, finanziert werden, sagt Jung. Man sei zuversichtlich, dass die Förderung auch nach dem Februar 2023 verlängert werde.

Zahl der Kun­d:in­nen steigt, Lebensmittelspenden sinken

„Im Thema öffentliche Förderung der Tafeln ist Bewegung drin“, heißt es beim Dachverband Tafel Deutschland, in dem 960 Tafeln organisiert sind. Der Verband fordert schon seit Längerem staatliche finanzielle Unterstützung bei der Grundfinanzierung unter anderem für den Dachverband und für den Ausbau der Logistik in den Ländern. Die zusätzliche Förderung ist nötig, nicht nur weil die Zahl der Kun­d:in­nen inzwischen auf zwei Millionen gestiegen ist. Auch die Logistik der Spendenakquise hat sich weiterentwickelt und verändert.

„Die Spenden von den Herstellern sind wichtiger geworden“, sagt Karltheodor Huttner, Landesvorsitzender der Tafel Sachsen. Die Spenden aus dem Handel hingegen seien rückläufig. Supermärkte verkaufen ihre Waren mit ablaufendem Mindesthaltbarkeitsdatum inzwischen selbst verbilligt. Durch die digitale Warenwirtschaft in den Supermärkten entstehen zudem weniger Überschüsse.

Die Hersteller seien abhängig von den Vorgaben der Supermärkte, berichtet Huttner. Die Märkte verlangten von den Herstellern, gewünschte Waren sehr kurzfristig liefern zu können. Die Hersteller produzieren daher viel auf Vorrat, bleibt die Nachfrage von den Supermärkten aus, entsteht plötzlich ein Überschuss bestimmter Waren in den Fabriken selbst, der dann von den Tafeln kurzfristig abgeholt werden muss. „Da braucht man Fahrzeuge, Möglichkeiten der zentralen Lagerung, der Kühlung“, erklärt Huttner.

Die Tafel Sachsen war der erste Landesverband, der vor sechs Jahren staatliche Förderung in Anspruch nahm. „Wir erhalten etwa eine Million Euro im Jahr an staatlicher Unterstützung“, sagt Huttner. Mit dem Geld werden unter anderem Fahrzeuge, Kühllaster, Lagerräume finanziert und auch die Arbeit der Ehrenamtlichen mit einer minimalen Aufwandsentschädigung unterstützt.

Berge von Backwerk, kaum Gemüse

Mehr staatliche Förderung für die Lebensmittelausgabestellen wird aber auch kritisch gesehen. Die Berliner Tafel, als erste Tafel Deutschlands im Jahre 1993 gegründet, lehnt eine konstante öffentliche Förderung ab und erklärt in ihren Leitlinien: „Staatliche Gelder werden bewusst nicht in Anspruch genommen.“ Man wolle „den Staat nicht aus der Pflicht entlassen, die Grundversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten“, so die Leitlinien.

Bei einer konstanten staatlichen Förderung bestehe die Gefahr, „von politischen Mehrheiten abhängig oder auch politisch vereinnahmt zu werden“, sagt Antje Trölsch, Geschäftsführerin der Berliner Tafel, „eine Förderung für uns würde zudem gleichzeitig weniger Förderung für andere Vereine und soziale Einrichtungen bedeuten“. Der Verein finanziert seine Arbeit durch Mitgliedsbeiträge und Spenden auch von Unternehmen. Der Versuch einer unliebsamen politischen Vereinnahmung zeigte sich in Berlin auch im Oktober, als die AfD im Berliner Abgeordnetenhaus einen Antrag auf einen staatlichen „Fördertopf“ für die Tafeln stellte, der aber keine Mehrheit fand.

In den Grundsätzen der Tafel steht die Lebensmittelrettung im Vordergrund und erst dann kommt die Armenversorgung. Schließlich ist der Staat dafür zuständig, den Bür­ge­r:in­nen durch die Grundsicherung ein finanzielles Existenzminimum zu garantieren, und er sollte sie nicht auf Lebensmittelspenden verweisen dürfen, um ihren täglichen Bedarf zu decken.

Überdies hängen die Spenden der Tafeln von der Logistik und den Lieferbedingungen in der Branche ab und orientieren sich keineswegs an den konkreten Bedarfen der Armen. Dies weiß jedeR Tafelkund:in, die zu bestimmten Zeiten vor einem Berg von süßem Backwerk steht, während die Gemüseregale halbleer sind und kaum noch Milchprodukte zu haben sind.

Der Finanzbedarf der Tafeln bringt auch die Politik in einen Zwiespalt. In Brandenburg hatte die rot-schwarz-grüne Landesregierung in diesem Frühjahr einen Antrag der oppositionellen Linken abgelehnt, die Tafeln mit einer finanziellen Grundförderung konstant zu unterstützen. Sozialministerin Ursula Nonnenmacher (Grüne) hatte erklärt, der Staat dürfe neben der Grundsicherung, die das Lebensnotwendige sicherstellen solle, keine „konkurrierenden Hilfesysteme“ aufbauen. Im Herbst wurden den Tafeln in Brandenburg immerhin 120.000 Euro aus Lottomitteln zugesichert.

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3 Kommentare

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  • Entweder muss der Staat ein Bezugsscheinsystem (auch für Energie) einführen, das Einkommsabhängig ist, oder ein auskömmliches Grundeinkommen einführen, das dynamisch an die Inflationsrate gekoppelt ist. Die Tafeln waren nicht als Armenspeisung gedacht, sondern sollten der Lebensmittelverschwendung entgegen wirken. Dabei sollte es auch bleiben.

  • Je öfter die Polits versuchen sich bei den Tafeln ranzuwanzen je offenbarer wird deren bewusstes und absichtliches Versagen.

    Man wird das wieder genau daran erkennen, wie lange diese Schnachnasen eine Erhöhung der Grundsicherung hinauszögern werden - trotz der immensen Inflation.



    Vermutllich genau so lange, bis ein Gericht mit dem Zeigefinger winkt.

    Der Wähler winkt ja schon lange mit dem Finger - auch wenn es genau gerade nicht der Zeigefinger ist, der da nach oben zeigt.

    Und das es Arbeitsscheues Pack und Gammler sind, die sich bei den Tafeln sattfressen und lieber arbeiten gehen sollten ist ein nicht nur von Rechtsaußen verbreitetes Narrativ - und errecht das macht es nicht wahrer.

    Denn Kunden der Tafeln sind vornehmlich Rentner und Rentnerinnen die ihr Leben lange gearbeitet haben und jetzt nich tüber die Runden kömmen.

    Und ich kann mir nicht vorstellen, dass gerade ein Seehofer sich tatsächlich in die Nähe einer Tafel traut - das Risiko dass einem der Kunden dort die Hand ausruscht oder ein Schnotten seinen Weg fände wäre viel zu groß.

  • Jup. Lieber für eine anständige Grundsicherung sorgen als medienwirksam mit der Bayernschürze den Helfer*innen im Weg stehen.

    Und überhaupt: das geht in Frankreich, warum nicht bei uns?



    www.cec-zev.eu/de/...ung-in-frankreich/



    taz.de/Neue-Regelu...ankreich/!5200318/

    Auch Spanien ist dran:



    taz.de/Gesetz-gege...hwendung/!5856790/

    Können wir auch Fortschritt -- oder nur Grossmaul? Na los!