Unterschriften übergeben: Rad-Begehren geht durch die Decke
Unglaublich: Die Initiative „Volksentscheid Fahrrad“ hat 105.425 Unterschriften für ein Volksbegehren gesammelt – in weniger als einem Monat.
Noch immer ist die Katze nicht aus dem Sack. Zwar hat der „Volksentscheid Fahrrad“ am Dienstagvormittag ins Restaurant Ampelmann am Monbijoupark geladen, um die Zahl der gesammelten Unterschriften zu verkünden, aber die Spannung wird genüsslich aufgebaut. Als ein Helfer referiert, wie viele Menschen wie lange unterwegs waren, ruft einer von hinten: „Jetzt hau das Ding endlich raus!“ Und dann wirft der Beamer die Zahl „105.425“ an die Wand. Die Ausführungen versinken in frenetischem Jubel.
Gut 100.000 Unterschriften in dreieinhalb Wochen – dabei gibt das Gesetz sechs Monate Zeit, um nur 20.000 Unterschriften für den Antrag auf ein Volksbegehren einzuwerben. Vor diesem Hintergrund ist es ein bombastisches Ergebnis, selbst wenn noch ein paar tausend UnterzeichnerInnen als nicht berechtigt abgezogen werden. Ein einsamer Rekord aber auch verglichen mit früheren Volksbegehren (siehe Kasten).
An einen Tisch mit Geisel
Mit dieser Zahl in der Tasche werden sich die VertreterInnen der Initiative am 18. Juli an einen Tisch mit Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel und Verkehrs-Staatssekretär Christian Gaebler (beide SPD) setzen. Es wird darum gehen, ob beide Seiten zu Kompromissen bereit sind und ein Volksbegehren überflüssig machen.
In der Geschichte der Berliner Volksbegehren ist bislang keine Initiative so erfolgreich gestartet wie die zum Radverkehr. Selbst abzüglich der üblichen 15 bis 20 Prozent ungültiger Unterschriften liegt die genannte Zahl von rund 105.000 Unterstützern weit über dem bisherigen Rekordwert. Den hielt die Kita-Initiative von 2008 mit 58.720 gültigen Unterschriften, mit weitem Abstand vor den Begehren zum Tempelhofer Feld (ca. 33.000) und günstigen Mieten (ca. 40.000).
Um die zweite Phase der dreistufigen Volksgesetzgebung zu erreichen, wären nur 20.000 nötig gewesen. Um einen Volksentscheid als dritte Phase zu erzwingen, sind in einem zweiten Sammelzeitraum rund 175.000 Unterstützer erforderlich. Bei der Kita-Initiative übernahm der damals rot-rote Senat, der das Begehren erst für unzulässig hielt, aber vom Verfassungsgericht korrigiert wurde, die meisten Forderungen vor dem Start von Phase 2. (sta)
Wo die Initiative Zugeständnisse machen würde, will Sprecher Heinrich Strößenreuther am Dienstag nicht sagen, er verlangt erst klare Ansagen vom Senat: „Von dem haben wir bislang nichts außer Jammern und Klagen gehört.“ Die jüngst vom Senator geäußerte Kritik am „Volksentscheid Fahrrad“, dieser sei bisher nicht gesprächsbereit gewesen, weist er scharf zurück: Wenn Geisel behaupte, er habe die Initiative zum Gespräch eingeladen, sei das eine glatte Lüge.
Bei dem Gespräch werden auch die Kosten eine Rolle spielen. Im Ampelmann zerpflücken die Fahrrad-Fans noch einmal Punkt für Punkt die amtliche Schätzung, die mit über 2 Milliarden Euro gut das Fünffache der eigenen Rechnung beträgt. Besonders bei der Ausstattung von Hauptstraßen mit Radverkehrsanlagen habe die Verwaltung getrickst, so Evan Vosberg vom Volksentscheid. Sie habe der Kalkulation eine viel weitere Definition von „Hauptstraßen“ zugrunde gelegt – und damit die Anzahl der betroffenen Straßenkilometer künstlich verdoppelt. Außerdem sei immer die bestmögliche Ausbauvariante veranschlagt worden, Vosberg spricht vom „Deluxe-Zuschlag“.
Jetzt darf Heinrich Strößenreuther eines seiner typischen Bonmots zum Besten geben: „Wir freuen uns, dass der Senat Berlin zur Fünf-Sterne-Fahrradstadt machen will“, sagt er, „uns würden auch drei Sterne reichen.“ Sollten die Milliarden doch nicht so locker sitzen, könne die Landesregierung gerne auf die Volksentscheids-Variante zurückkommen – da sei „sicheres und entspanntes Radfahren“ schon für 380 Millionen zu haben.
„Nicht alles versprechen“
Im Anschluss bringen die AktivistInnen die Unterschriften im Fahrradkorso zur Innenverwaltung. Über die Straße, im Roten Rathaus, tagt gerade der Senat. Auf der anschließenden Pressekonferenz sagt der Regierende Bürgermeister, der Volksentscheid habe auf der Sitzung keine Rolle gespielt: „Weil es ja jetzt die Gespräche gibt.“
Als er gefragt wird, ob der Senat nun die Forderungen übernehme, wie nach der vergleichsweise erfolgreichen ersten Phase des Kita-Volksbegehren, sagt Michael Müller, man wolle ja Verbesserungen. „Aber wir können nicht allen alles versprechen. Das mache ich auch bei anderen Themen nicht.“
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