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Unternehmerinnen in AfghanistanDie Firma dem Sohn übertragen?

Für manche afghanische Firmenbesitzerin kommt Flucht nicht in Frage. Sie wollen ihre weiblichen Angestellten nicht mit den Taliban allein lassen.

Was wird aus den Näherinnen, sollte die Chefin fliehen? Foto: Sahel/Xinhua/imago

Berlin taz | „Das ist jetzt das zweite Mal, dass ich erlebe, dass die Taliban die Macht übernehmen. Das letzte Mal hatte ich gerade meinen Schulabschluss“, sagt die afghanische Unternehmerin Afsana Rahimi. Alles habe damals aufgehört: „Aber vieles war anders. Es gab noch kein Internet, wir hatten keine Handys und irgendwann nicht einmal mehr elektrischen Strom. Wir waren komplett von der Welt abgeschnitten“, erinnert sie sich. Damals sei ihr Vater derjenige gewesen, der sich habe kümmern müssen.

Seitdem hat sich viel verändert: Rahimi ist nicht nur erwachsen geworden, sondern hat Chemieingenieurwesen studiert, Berufserfahrung gesammelt und sich hochgearbeitet. Längst leitet sie ihre eigene Mediendienstleistungsfirma mit zehn Festangestellten und 34 Honorarkräften und vertritt als Regionalsprecherin den 2017 gegründeten afghanischen Unternehmerinnenverband AWCCI.

Auch die Gesellschaft habe sich gewandelt: „Die junge Generation ist zur Schule gegangen, wir alle haben neue Erfahrungen gesammelt und sind heute mit der ganzen Welt vernetzt.“ Auch lebten inzwischen viel mehr Menschen in Afghanistans Städten als während des letzten Talibanregimes vor zwanzig Jahren.

Der aktuelle Stillstand sei anderer Natur als damals. Es gebe zwar Strom, Handys und Internet, aber die Wirtschaft sei am Boden. Ihr eigenes Unternehmen befinde sich in einem abgesperrten Sicherheitsbezirk der Taliban und sei deshalb unerreichbar für sie. Die Banken arbeiteten kaum noch, die meisten Zahlungen seien unterbrochen und es sei unklar, welche Regeln gelten. „Das ist aber nicht geschlechtsabhängig, das betrifft alle Firmen gleich,“ sagt sie.

Statt eine Messe im Ausland zu planen, organisierten die Unternehmerinnen Evakuierungen

Sobald neue Regeln aufgestellt würden, stelle sich natürlich die Frage, ob sie als Frau weiterhin ihre Firma führen dürfe. „Die Taliban behaupten zwar noch, dass Frauen ganz normal weiterarbeiten können, aber vielleicht sagen sie das nur, weil aktuell sowieso niemand von uns arbeiten kann“, meint sie.

Sie traue den Aussagen der Taliban nicht. Doch auch für den Fall eines Verbotes weiblicher Führungskräfte hat Rahimi bereits einen Plan: „Wenn ich meine Firma nicht weiterführen darf, macht das eben mein Sohn. Der ist 16 Jahre alt und sagt, er kann das machen.“ Rahimi lacht kurz auf, schweigt kurz und sagt dann: „Ich bin so ein Typ Mensch, der nie die Hoffnung verliert. Ich weiß, dass es anderen anders ergeht.“

Die AWCCI-Mitgründerin und Leiterin Manizha Wafeq begleitet den Prozess aus dem Ausland heraus. Sie hat sich der Beratung und Lobbyarbeit für Unternehmerinnen verschrieben und bildete bis August mehr als 15 Jahre lang Frauen am Kabuler Institut zur wirtschaftlichen Stärkung von Frauen aus. Aus Sicherheitsgründen sagt sie nicht, wo sie sich derzeit aufhält.

Sie beschäftigt sich nach eigenen Worten fast rund um die Uhr mit der Lage ihres – inzwischen fernen – Landes: „Ich verbringe morgens mehrere Stunden damit abzufragen, wie es den Unternehmerinnen in unserem Verband geht. Wir stehen über soziale Netzwerke in Kontakt.“

Boom der letzten fünf Jahre

Viele seien noch in Afghanistan, einige wollten bleiben, andere brauchten Hilfe, um das Land zu verlassen: 2.471 offiziell frauengeführte Unternehmen gab es bisher, hinzukommen weitere rund 54.500 frauengeführte Firmen ohne Rechtsform. Die meisten seien innerhalb der letzten fünf Jahre gegründet wurden.

Wafeq kämpft mit den Tränen, als sie schildert, wie sich das afghanische Unternehmerinnentum in den letzten Jahren entwickelt hat: „In allen Gegenden Afghanistans gab es Restaurants, Handwerks- oder Dienstleistungsbetriebe, die von Frauen geführt wurden.“ Sie erinnert sich an ein weiblich geführtes Restaurant mitten in einem belebten Bazar einer nördlichen Provinz, das sie besonders beeindruckt hat.

Noch Ende Juli trafen sich Unternehmerinnen aus ganz Afghanistan für den National Women Entrepreneurs Peace Summit. „Zu der Zeit wurden schon viele Gegenden von den Taliban beherrscht und Straßen blockiert, doch haben es alle geschafft zu kommen.“ Irgendwie sei da noch diese kleine Hoffnung gewesen, dass Kabul nicht fallen werde und wenn die Hauptstadt nicht gefallen wäre, hätte sich das Blatt vielleicht noch irgendwie wenden können, sagt sie leise.

Gehofft habe sie bis zuletzt. „Aber dann kam der 16. August“, sagt sie. Seitdem sei alles anders. Statt eine Messe im Ausland zu planen, hätten sie Evakuierungen organisiert. Sicherheit sei nun von einem Tag auf den anderen das alles beherrschende Thema geworden. Und dazu natürlich die Frage, wie es weitergehe mit denen, die im Land blieben.

Erlaubnis für frauengeführte Firmen gefordert

„Wir haben Unternehmerinnen bei uns im Verband, für die arbeiten 200 bis 300 Handarbeiterinnen. Die wiederum haben gar nicht die Möglichkeit, das Land auf irgendeine Weise zu verlassen“, erklärt sie. Daher entschieden sich auch viele Unternehmerinnen zu bleiben, denn: „Sie sagen, sie können diese Frauen doch nicht im Stich lassen!“

Für sie selbst sei aktuell wichtig, einen Termin bei der Taliban-Regierung zu bekommen: „Wir wollen eine Erlaubnis für frauengeführte Unternehmen.“ Als Verhandlungsbasis hätten sie sich überlegt, zu welchem Kompromiss sie bereit wären: „Es wäre in Ordnung, müssten wir die Betriebe auf reine Frauenunternehmen umstellen oder wenn wir etwa nur Kundinnen bedienen dürften.“ Zu mehr Einschränkungen seien sie als Interessensvertretung aber bereit.

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