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Unterbringungskrise in BerlinKrisenmanagement ist keine Lösung

Kommentar von Susanne Memarnia

Die durch den Ukraine-Krieg erneut verschärfte „Unterbringungskrise“ zeigt wieder einmal: Es braucht eine radikale Wende in der Wohnungspolitik.

Gut gemeint: Der „Weihnachtsmann“ im Ankunftszentrum hilft auch nur temporär Foto: dpa

K eine Frage: Die Herausforderungen waren und sind immens. 360.000 Ukrai­ne­r*in­nen strandeten im vergangenen Jahr als Kriegsflüchtlinge in Berlin, mussten erstversorgt und dann großenteils weiterverteilt werden in andere Bundesländer. Unwillkürlich dachte man bei den Bilder von Menschentrauben am Hauptbahnhof an Szenen von 2015, als tausende Sy­re­r*in­nen über Österreich in Zügen nach Deutschland kamen. Aber anders als damals musste dieses Mal niemand tage- und nächtelang vor dem Flüchtlingsamt kampieren, um Obdach zu bekommen. Weil die Politik in der Tat schnell reagierte und in Tegel ratzfatz ein Ankunftszentrum als Notaufnahme und Verteil-HUB aus dem Boden stampfte. Noch schneller war die Zivilgesellschaft, die quasi von Tag 1 an den Bahnhöfen das Willkommen organisierte und sich hunderte Menschen Tag und Nacht mit freiwilliger Hilfe überschlugen.

Und es blieb nicht bei Teddybären und Trinkpäckchen für die erschöpften Ankömmlinge, die es damals auch für die Sy­re­r*in­nen gab: Sofort entstanden neue Bürger*innen-Netzwerke zur Vermittlung von Gastgeber*innen, von denen sich tausende, ja sogar zigtausende meldeten, die bereit waren, für Tage, Wochen oder gar Monate Geflüchtete bei sich aufzunehmen. Bis heute ist daher ein Großteil der 60.000 Ukrainer*innen, die in Berlin geblieben sind, privat untergekommen. (Nur in Klammern sei hier kurz die Frage erlaubt: Warum gab es diese Solidarität eigentlich damals bei den Sy­re­r*in­nen nicht?)

Zwar erkennt die Politik diese große Leistung der Ber­li­ne­r*in­nen an, in quasi keiner Rede von Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) oder Noch-Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) zum Thema fehlt derzeit ein dickes Lob für das großartige Engagement der Zivilgesellschaft. Gleichzeitig werden Po­li­ti­ke­r*in­nen aber auch nicht müde zu betonen, dass es angesichts dieser schieren Menge an Menschen, die zu uns kommen, leider unvermeidlich war, dennoch erneut massenhaft Notunterkünfte aufzubauen. Immerhin habe man „gelernt“ aus 2015/16 und könne die Geflüchteten – statt wie seinerzeit in Turnhallen – heute in „modernen“ Notunterkünften in Leichtbauhallen, mit neuen Sanitäranlagen, abschließbaren Spinden etc. unterbringen. Und wenn schon wieder in den Hangars von Tempelhof, dann immerhin in neuen Containern, die „Privatspähre“ bieten.

Doch das Argument der schieren Größe der Aufgabe, die keine andere Möglichkeit lasse, ist nur die halbe Wahrheit. Die grundsätzliche Krux liegt – wieder einmal – in der verfehlten Wohnungspolitik der letzten Jahrzehnte. Weil es nicht genug „sozialen“, also für Menschen mit geringem Einkommen bezahlbaren Wohnraum gibt, gibt es eben eine steigende Zahl von Obdachlosigkeit, die nur teils dadurch verdeckt wird, dasss immer mehr Menschen auf den Sofas von anderen leben, sich Zimmer und zu kleine Wohnungen teilen müssen. Sichtbarer ist das Problem in der zunehmenden Zahl von Obdachlosen- und Flüchtlingsheimen.

Auch viele Sy­re­r*in­nen von 2015/16 leben noch immer in den Unterkünften des Landesflüchtlingsamts – obwohl sie doch nach so vielen Jahren längst keine Geflüchteten mehr sind sondern einfach Bür­ge*­innen dieser Stadt. Für die „neue Generation“ von Geflüchteten, die Ukrainer*innen, ist da kein Platz mehr. Für sie ist man darum wieder hektisch auf der Suche nach neuen Heimen, neuen Großunterkünften, die man nun möglichst rasch aus dem Boden stampfen muss, damit die Leichtbauhallen in Tegel irgendwann auch wieder leer werden.

Von Notlösung zu Notlösung

Ein Konzept ist das natürlich nicht, wieder einmal hangelt sich die Politik von Notlösung zu Notlösung – weil sie zu einem radikalen Umschwenken nicht bereit ist. Dies könnte, meinen viele mit guten Arguemten, in einer Enteignung großer Wohnungsbaukonzerne liegen. Das müsste zudem auch in massiven zusätzlichen Investitionen des Staates in wirklich sozialen Wohnungsbau liegen – bei gleichzeitiger Befreiung der landeseigenen Wohnungsbaubetriebe von der Verpflichtung Gewinn zu machen. Und kann man bitte schön nicht endlich auch über die „Enteignung“ der vielen leerstehenden Wohnungen nachdenken, die als „Ferienwohnungen“ so manchen Bür­ge­r*in­nen hübsche Gewinne bereiten?

Und wenn man sie schon nicht enteigenen will oder kann: Warum mietet das Land sie nicht an für die Obdachlosen, seien sie Deutsche, Syrer*innen, Ukrai­ne­r*in­nen oder noch anderer Nationalität? Er zahlt ja auch 30 Euro pro Mensch und Tag für „Läusepensionen“, mit denen die Bezirke nach wie vor Verträge machen um ihrer gesetzlichen Pflicht Menschen vor Obdachlosigkeit zu bewahren nachkommen zu können. Da kommen schon mal monatliche „Mietkosten“ von mehreren tausend Euro für eine Familie zustande – die könnte man besser ausgeben.

Die aktuelle Unterbringungskrise, die nicht neu ist, sondern durch die Ukrai­ne­r*in­nen nur mehr zusätzlich verschärft wird, macht erneut deutlich: Es ist allerhöchte Zeit für eine mutige Politik, die alten Tabus der „sozialen Marktwirtschaft“ zu brechen. Leider wird das mit den derzeit im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien nicht möglich sein – egal wie die nächste Koalition zusammen gesetzt sein wird. Es braucht daher nicht viel prophetische Gabe um vorherzusagen: Die Containerdörfer, Massenunterkünfte (Neubau und Altbau) und Läusepensionen werden eher mehr werden als weniger.

Aber die Politik wird jubeln, wenn irgendwann die Leichtbauhallen von Tegel wieder leer sind und sie die Menschen irgendwo anders „untergebracht“ hat. Man wird sich auf die Schulter klopfen und von einem erfolgreichen Meistern auch dieser Krise sprechen. Darum an dieser Stelle ein zynischer Tipp: Lassen Sie die Zelte in Tegel doch einfach stehen. Die nächste „Flüchtlingskrise“ kommt bestimmt.

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Redakteurin taz.Berlin
Jahrgang 1969, seit 2003 bei der taz, erst in Köln, seit 2007 in Berlin. Ist im Berliner Lokalteil verantwortlich für die Themenbereiche Migration und Antirassismus.
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6 Kommentare

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  • Der Artikel wirft der Berliner Politik vor, sich von Notlösung zu Notlösung zu hangeln und macht einen Vorschlag, der noch weniger hilft. Ferienwohnungen, die "manchen Bürger*innen hübsche Gewinne bereiten", stehen nicht leer. Und bis über Enteignungen entschieden ist, vergehen Jahre. Das hilft den Menschen nicht, die jetzt in Notunterkünften sitzen, oder auf der Straße leben.

  • @DIMA

    "Du kennst mich doch, ich hab' nichts gegen Fremde. Einige meiner besten Freunde sind Fremde. Aber diese Fremden da sind nicht von hier!" [1]

    www.comedix.de/lex...s_gegen_fremde.php

    • @tomás zerolo:

      Der Zuzug ist ungeachtet der jeweiligen Staatsbürgerschaft das Problem. Zu viele Menschen bei zu wenig Wohnraum (und zu wenig Schulen, Kitas, Behörden, u.s.w.) Da sich Berlin in der Fläche nicht ausgehen kann, müsste halt über eine Begrenzung des Zuzuges nachgedacht werden. Das gab es ja schon mal.

  • Etwas ungewollt und dennoch vollkommen richtig beschreibt die Autorin den Kern des Problems. Der Zuzug.

    Wenn immer mehr Menschen in Berlin wohnen wollen, als Wohnraum vorhanden ist, dann wird der Wohnraum halt immer knapper.

    Da hilft dann auch der Neubau nichts, wenn gleichzeitig der Zuzug hoch bleibt.

  • Enteignen!

    Im Moment sinken mal wieder die Immobilienpreise: eine gute Gelegenheit, mit den Haien mit harten Bandagen zu verhandeln.

    Und, oh, wo wir schon dabei sind: auf Bundesebene Druck gegen diese halbseidenen Share Deals zu machen. Steuerhinterziehung unter einem anderen Namen.

  • Mal eine Frage an die Kommentatorin; sie schreiben: "Weil es nicht genug „sozialen“, also für Menschen mit geringem Einkommen bezahlbaren Wohnraum gibt,..."

    Ja gibt es denn überhaupt genügend bezahlbaren Wohnraum? Und was ist denn ein geringes Einkommen und bezahlbar?