Wohnungsnot in Berlin: Ausbeutung oder letzte Zuflucht

In Treptow-Köpenick leben 150 Menschen in illegalen Camps, sie sollen bald geräumt werden. Der AK Wohnungsnot fordert eine Debatte über „Safe Places“.

Mann steht vor einem Zelt im Wald

Diese Alternative kommt wohl nur für wenige Wohnungslose in Frage Foto: dpa

BERLIN taz | Der Arbeitskreis (AK) Wohnungsnot kritisiert den Umgang der Stadt mit informellen Wohnsiedlungen und fordert in einem offenen Brief eine „Debatte, die klärt: Wann hören Räumungen auf und wo fängt der Safe Place an?“ Anlass ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, eine vom Bezirk Treptow-Köpenick angeordnete Räumung von zwei kommerziellen, nicht genehmigten Wohnwagen-Camps zu bestätigen.

Der AK, ein Zusammenschluss von engagierten Menschen der Wohnungsnothilfe, erklärt dazu: „Zwar verurteilen wir alle Bestrebungen, Profit mit von Wohnungslosigkeit betroffenen Menschen zu machen, denn die Zustände in vielen dieser Anlagen sind häufig mehr als fragwürdig.“ Doch seien solche Camps, wie es sie an zahlreichen Orten der Stadt gibt, für viele Menschen die bessere Alternative als die Wohnungslosenunterkünfte der Bezirke – und nicht einmal dort gebe es derzeit freie Plätze. „Die anstehende Räumung dieser Anlagen kann und wird daher direkt in die Obdachlosigkeit führen“, befürchten die Verfasser*innen.

Der Bezirk hatte im vorigen Sommer die Nutzung zweier Grundstücke in Adlergestell und Moosstraße als Wohnwagensiedlung aus baurechtlichen Gründen untersagt – offenbar gibt es weder eine Baugenehmigung, noch war ein Antrag darauf je gestellt worden. Einen Einspruch des Eigentümers, der auf eine Anfrage der taz bis Redaktionsschluss nicht reagiert hat, wies das Verwaltungsgericht vorigen Mittwoch per Eilentscheid zurück.

155 Menschen leben dort nach Bezirksangaben derzeit – teilweise seit Ende 2021, wie ein Bericht im RBB feststellt. „Auf den betreffenden Grundstücken sind unhaltbare Zustände zu verzeichnen, welche ein Leben in gesunden Lebensumständen für die sich dort befindlichen Menschen fast unmöglich erscheinen lassen“, sagte Umweltstadträtin Claudia Leistner nach der Gerichtsentscheidung.

Wenn ein Heimplatz keine Option ist

Eine Sprecherin des Bezirks führte auf taz-Anfrage aus: Es habe Beschwerden von Nachbarn über „Müllablagerungen“ gegeben, teils hätten die Wohneinheiten keine oder nur sehr kleine Fenster, zudem seien bauordnungsrechtliche Anforderungen wie Feuerwehrzufahrten nicht erfüllt.

Christian Fender, Sprecher des AK Wohnungsnot, sagte der taz, man sehe durchaus die Beweggründe des Bezirks. „Auch wir wollen ja keine Slums.“ Doch seien solche Camps Ergebnis der desolaten Wohnsituation in Berlin, die zunehmend Menschen vom regulären Wohnungsmarkt verdränge, sodass sie auf staatliche Unterbringung angewiesen seien. Die sogenannten Asog-Heime aber bedeuteten in der Regel: Mehrbettzimmer, nur einen Schrank zum Abschließen, meist keine Haustiere, meist ohne Partner, keine Mieter*innenrechte.

Für viele sei dies keine Option, so Fender, „dann lieber selbstbestimmt in einem Container, mit eigener Einrichtung, Mietvertrag, Haustier und Partner“. Dies gelte zumal für Wohnungslose, die Arbeit haben: Denn sie, erklärt Fender, müssten ihr Bett im Asog-Heim voll mit ihrem Einkommen bezahlen. Und so ein Bett kann 30 bis 50 Euro pro Nacht und Person kosten. Da sind die gut 500 Euro, die Be­woh­ne­r*in­nen der Siedlungen – beziehungsweise deren Jobcenter – laut RBB für knapp 20 Quadratmeter im Container bezahlen, fast noch günstig.

Wo sollen die Menschen also hin, wenn geräumt wird? Dies stehe kurzfristig noch nicht an, so die Bezirkssprecherin. Sollte es aber so weit kommen, setze das Bezirksamt alles daran, Wohnungslosigkeit zu vermeiden. Das Sozialamt werde die Betroffenen kontaktieren und „etwaige Hilfebedarfe“ und Zuständigkeiten ermitteln. Andere bezirkliche Fachstellen, zum Beispiel Soziale Wohnhilfe, Jugendämter, „sind involviert“.

„Formale Unterbringung“

Darüber hinaus rät die Sprecherin des Bezirksamt: Um „adäquate Aus­weich­unterkünfte zuweisen zu können“, lade man die Betroffenen schon jetzt ein, mit dem Bezirksamt Kontakt aufzunehmen und die Beratung der Fachstelle Soziale Wohnhilfe aufzusuchen.

Klar ist aber schon jetzt: Es werde „natürlich nicht“ möglich sein, allen Be­woh­ne­r*in­nen Mietwohnungen zu vermitteln: „Das Bezirksamt strebt an, dies in Einzelfällen zu ermöglichen.“ Aber auch den Übrigen werde es besser gehen als im illegalen Camp, meint die Sprecherin: Die „ordnungsrechtliche Unterbringung“ erfolge in „professionellen Unterkünften“, die Mindeststandards erfüllen und regelmäßig kontrolliert würden. „Auch wenn der Umzug vielen Betroffenen verständlicherweise schwerfallen wird, wird sich deren Wohnsituation durch die formale Unterbringung, die stets auch mit einer Betreuung durch die Fachstelle des Amts für Soziales einhergeht, stabilisieren.“

AK-Wohnungsnot-Sprecher Fender befürchtet jedoch, es könnte so werden wie bei der Rummelsburger Bucht. Auch dort habe man den Be­woh­ne­r*in­nen des Camps vor der Räumung versprochen, sich um Unterbringung zu kümmern. „Dann bekamen sie tatsächlich Plätze in einem 24/7-Hostel. Aber nur für vier Monate – danach wurden alle auf die Straße gesetzt.“

Die Forderung des AK Wohnungsnot: Die Politik müsse den Kreislauf von illegalen Siedlungen und ihrer Räumung durchbrechen – aktuell steht auch infrage, wie es mit dem wilden Obdachlosencamp am Hauptbahnhof weitergehen soll, das der Bezirk Mitte laut RBB gerne weghaben möchte.

Der AK sagt: Statt zu vertreiben, was zumeist bald darauf an anderer Stelle neu entsteht, brauche es eine öffentliche Debatte darüber, wie solche Orte ­sichere Wohnorte für ein selbstbestimmtes Leben werden könnten, sprich: was die Qualitätsmerkmale für echte „Safe Places“ sind. „Bis dahin darf eine ­Auflösung dieser Anlagen nicht gegen den Willen der Betroffenen und nur im Zusammenhang mit einer adäquaten Wohnalternative durchgeführt werden!“

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