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Unmut gegen CoronamaßnahmenSchaum vor der Maske

Doris Akrap
Kommentar von Doris Akrap

Die Coronabeschränkungen sind nicht immer durchdacht. Aber eine Diktatur ist nicht in Sicht – nur die Vernebelung des „gesunden Menschenverstands“.

Auch in Zukunft wird man wohl noch Masken tragen müssen Foto: Joel Saget/afp

D er gesunde Menschenverstand (GMV) ist ein Werkzeug, das vergleichsweise gerecht unter den Menschen verteilt ist. Blöderweise ist der GMV aber ein Werkzeug, das sich für Ausnahmesituationen wie die Covid-Pandemie nur begrenzt eignet. Obwohl niemand wirklich wissen konnte, ob es irgendwas bringt, wurde verboten, Freunde, Familie oder Unbekannte zu treffen, in die Schule, in den Park oder auf ein Bier vor die Türe zu gehen, einfach zu machen, worauf man Lust hat.

Nur angesichts der Zahlen und Bilder aus China und Italien sprach einem der GMV ins Gewissen: „Na gut, so was muss ja nicht unbedingt sein. Dann bleib halt zu Haus.“ Nicht unwahrscheinlich, dass der Beweis nie erbracht werden wird, ob das Stillstellen der gesamten Welt wirklich nötig gewesen ist. Es gibt nur viele Indizien, die dafür sprechen.

Dass man in einer superfragilen Situation wie dieser kurz mal Atemnot kriegte oder einem die Tränen kamen, ist völlig normal. Dass Leute, die die DDR oder Schlimmeres erlebt haben, angesichts von Kampfbegriffen wie „Durchseuchung“, „Ausgangssperre“ oder „unsichtbarer Feind“, angesichts der Einschränkungen von Grundrechten und Toilettenpapier- und Hefemangel sich an gruselige Zeiten erinnert fühlten: normal. Dass man sich im Westen an Hollywoodfilme wie „Das siebente Siegel“, „Outbreak“ oder „Contagion“ erinnert fühlte: normal. Dass der GMV jetzt sagt: „Hätte das wirklich sein müssen? Wegen ein paar tausend Toten Millionen Menschen in die Pleite zu schicken?“: normal.

Aber fragen Sie Ihren GMV mal, was denn die Alternative gewesen wäre. Sicher, die überstürzt aufgestellten Ausnahmeregelungen waren so grobschlächtig, dass die Polizei erst mal mit Interpretationsarbeiten beschäftigt war, was den Eindruck verstärkte, hier wisse die eine Hand nicht, wem sie die andere waschen soll.

Wäre aber etwas gewonnen gewesen, wenn die Regierung gesagt hätte: „Wir wissen es im Moment leider auch nicht so ganz genau und brauchen noch ’ne Weile, sorry! Wir melden uns, sobald wir mehr sagen können. Bitte haben Sie Geduld und Verständnis dafür, dass in der Zwischenzeit erst mal ein paar Leute über den Jordan gehen werden, bevor wir rausgefunden haben, was zu tun ist.“

Sehr wahrscheinlich hätte das diejenigen, die sich jetzt „für dumm verkauft“, „verarscht“, „bevormundet“ und von einer Diktatur regiert fühlen, noch viel weniger abgehalten von ihrer abgrundtiefen Verachtung der freien Presse und einer offenen Gesellschaft. Das nämlich würde bedeuten, sich für sein Weltbild aus allen zur Verfügung stehenden Farben aus dem bunten Wasserfarbmalkasten zu bedienen und nicht nur auf die zwei Tuben mit Schwarz und Weiß zu drücken.

Ich finde Maske auch Mist und zweifle an der Wirksamkeit des Stofffetzens. Aber ich schnalle mir lieber etwas Textil vor den Mund, wenn ich dafür selbst entscheiden darf, wen ich wo treffe. Außerdem beruhige ich meinen GMV damit, dass der Mundbeutel mich und andere zumindest vor der zurzeit weit verbreiteten feuchten Aussprache schützt. Die kommt von dem ganzen Schaum vorm Mund, dessen Produktion auf Hochtouren läuft, weil sich gerade alle so furchtbar über alles aufregen müssen.

Dabei wissen wir noch gar nicht wirklich, wer seinen Job, seinen Laden, seinen Hausstand oder seinen Verstand verlieren wird. Was wir aber wissen, ist, dass es weder in der Gegenwart noch in naheliegender Zukunft darum gehen wird, eine Diktatur zu bekämpfen. Die gibt es in diesem Land nicht, und außer Rechtsradikalen hat weit und breit niemand die Absicht, eine solche zu errichten.

Worum es aber heute und morgen noch viel mehr als gestern gehen wird: die Regaleinräumerin mit dem Profifußballer gleichzusetzen, Abwrackprämien statt Kameraleute anzugreifen und so lange keine Ruhe zu geben, bis es Kaufprämien für Fahrräder, kostenlosen Nahverkehr und Managergehälter für Pflegepersonal gibt. Fragen Sie mal Ihren gesunden Menschenverstand, was der davon hält.

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Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.
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9 Kommentare

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  • Die Schreihälse, die jetzt ggn. die Corona-Schutzmaßnahmen auf die Straße gehen, übenehmen für die Umsetzung ihrer Forderungen leider nicht die Verantwortung und sind daher nicht vertrauenswürdig.

    Die Maßnahmen für alle dienen dem Schutz von Wenigen. Das wird oft genau so wenig verstanden, wie dass der Mund-Nasenschutz ein Fremdschutz ist. Daher sind die Demonstranten für mich unsoziale Egomanen und kein Leitbild.

    Wenn in einem der reichsten und freiesten Länder Menschen auf die Straße gehen, weil sie durch die aktuellen Schutzmaßnahmen gerade ihre Persönlichkeitsentfaltung bedroht sehen, dann ist ihnen die Konsumgesellschaft zu Kopf gestiegen. Hedonismus ist kein Grundrecht aber jeder hat gegenüber der Gesellschaft Pflichten.

    Eine Freundin ist Krankenschwester auf der Intensiv und sagt: Wenn sich diese Idioten durchsetzen, lass ich mich die nächsten Monate wg. Depression krankschreiben. Dann sollen die doch die nächste Welle an Corona-Patienten retten. So denken nicht wenige Kolleginnen."

  • 0G
    0103 (Profil gelöscht)

    Danke.

  • Was es in jedem Fall nicht geben darf, ist eine weitere Amtszeit für Frau Merkel. Ich habe gelesen, dass sie in der CDU intern darüber diskutieren, sie noch einmal antreten zu lassen. Erinnert sich noch jemand an den letzten Wahlk(r)ampf?

    Ich möchte ernsthafte Debatten im Wahlkampf, nie wieder so ein Mutti-macht-das-schon, bleibt-bitte-alle-so-schön-im-Bett-liegen...

  • Dass der im Schlusssatz empfohlene Rückgriff auf den GMV wirklich ratsam ist würde ich doch sehr bezweifeln. Der sog. GMV ist nämlich keineswegs eine autonome Logikmaschine, sondern eher ein eher schwammartiges Teil, dass sich während seiner Sozialisation mit allem was ihm an hegemonialen Diskursen, Ressentiments und Vorurteilen begegnet vollsaugt und seine Ratschläge dann aus diesem Reservoir schöpft. Ein Erfahrungswissen also, dass nur beständig das schon immer Bekannte reproduziert taugt aber nicht zum Erkenntnissgewinn, am wenigsten in einer Krisensituation die grundegende Veränderungen im Alltäglichen erfordert. Und für einen Diskurs ist der GMV auch nicht zu haben, da die abweichende Meinung eben keine Antithese, sondern geisteskrank ist und mit dieser Zuschreibung von gesunder/kranker Position erübrigt sich dann auch die inhaltliche Auseinandersetzung.

  • 8G
    80198 (Profil gelöscht)

    Hauptsache der Daimler kriegt Knete wegen Unfähigkeit und Dieselskandal, jetzt durch Corona

  • Wir sollten ehrlich mit einander umgehen. Es gab eine Alternative. Allerdings muss auch dazu gesagt werden, das sie bei ihrem ersten Einsatz versagt hat.



    Wen das nicht abschreckt der sollte sich Zarah Leanders Platte "Davon geht die Welt nicht unter" im Fachhandel bestellen oder im Internet downloaden. Mehr sage ich dazu jetzt nicht.

  • Besten Dank für den Artikel/Kommentar. Besser kann den Verschwörungstheorien nicht begegnet werden. Ich bin froh mal für eine Zeit "Demoverbot" zu haben - tut der Seele gut und hilft, mal wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Der "Lockdown" sollte verlängert werden - die wirklich großen Pandemien kommen erst noch.

  • Eigentlich finde ich den Artikel ziemlich gut. Ich finde auch, dass wir unsere Prioritäten, was gefördert werden sollte, welche Gehälter angemessen sind neu überdenken sollten.

    Was mir aber nicht gefällt, ist, dass den Lockdowngegnern angedichtet wird, eine Diktatur gründen zu wollen. Ich glaube, gerade diejenigen, die wegen den Freiheitsrechten auf die Strasse gehen, angst vor einer Diktatur haben. Dass sie hier eine Überschneidung mit einigen Rechten haben und daher "gemeinsam" demonstrieren heißt ja nicht, dass sie auch die gleiche Gesinnung haben. Hier würde ich mich über etwas mehr Differenzierung freuen. An anderer Stelle weisst die Autorin ja auch darauf hin, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gibt.

    • @Meine_Meinung:

      Lesen Sie den Text einfach noch mal. Ich habe nirgendwo die Behauptung gefunden, dass die Lockdowngegner eine Diktatur gründen wollen.

      Die, die gegen den Lockdown demonstrieren, dichten der Regierung oft an, eine Diktatur zu sein oder begründen zu wollen. So steht das zumindest nach meinem Verständnis im Text.