Ungewollt Schwangere in Uganda: Zerstörte Zukunft
Wegen Corona verhängte die ugandische Regierung einen strikten Lockdown. Viele Teenager wurden schwanger – vor allem weil geschützte Räume fehlten.
Ihre Lieblingsfächer waren einst Sport und Chemie, berichtet die 15-jährige Grace Mirembe (Name geändert) während sie ihr krankes Baby im Arm wiegt. Der kleine, sechs Monate alte Junge kam mit einer Lungenkrankheit zur Welt, die ihm das Atmen erschwert. Er röchelt und hustet. Die junge Mutter wirkt sichtlich überfordert. Wenn sie von ihrer Zeit in der Schule vor der Coronapandemie erzählt, kullern ihr Tränen über die Wangen.
Wie so viele junge Uganderinnen, so hat die fast zwei Jahre anhaltende Schließung sämtlicher Schulen im Land auch Graces Leben radikal verändert. Vor Corona war die junge Teenagerin mit den Pubertätspickeln im Gesicht gern in die Schule gegangen. Sie war eine der Klassenbesten, dabei kam sie aus armen Verhältnissen. Sie lebte bei ihrer Cousine in einem großen Haushalt, weil ihre Mutter krank und der Vater unauffindbar war. Doch sie hatte Hoffnung auf eine gute Zukunft: In Englisch, Chemie und Physik „war ich richtig gut“, sagt sie. Sie wollte Ärztin werden, oder Anwältin.
Dann kam Corona. Von einem Tag auf den anderen schloss Ugandas Regierung im März 2020 alle Bildungseinrichtungen im Land als Präventivmaßnahme, auch Graces Sekundarschule im Bezirk Wakiso am Stadtrand von Ugandas Hauptstadt Kampala. In jenen Monaten zu Beginn der Pandemie stand in Uganda quasi das Leben still. Alle Läden bis auf Supermärkte und Apotheken waren geschlossen, der Transportsektor wurde dichtgemacht. Nicht einmal ein Privatfahrzeug durfte mehr fahren ohne Ausnahmegenehmigung – Millionen von Menschen waren von heute auf morgen plötzlich zu Hause gestrandet und arbeitslos.
So auch Graces Cousine und deren Mann, in deren Haushalt sie lebte. Es fehlte an Geld selbst für eine einzige Mahlzeit am Tag. Sie mussten improvisieren, um zu überleben: „Sie schickten mich zu unserem Nachbar, der auch unser Vermieter war, um ihm zu helfen“, erzählt Grace leise wispernd. Dieser hatte einen kleinen Verschlag, aus welchem heraus Grace nun für ihn Holzkohle verkaufen sollte. Der Nachbar vergewaltigte sie. Grace wurde schwanger und ihre Cousine warf sie aus dem Haus. „Ich dachte, mein Leben ist nun vorbei“, schluchzt die junge Mutter. Sie stand schwanger allein auf der Straße.
Wie Grace erging es unzähligen Mädchen in Uganda. Wie vielen genau, das ist noch immer nicht statistisch erfasst. Die Schulen und Kindergärten im Land haben erst im Januar diesen Jahres wieder eröffnet – nach knapp zwei Jahren. Die Schulkinder strömten in den vergangenen Monaten nur allmählich in die Klassenzimmer zurück. Vielen Eltern mangelte es nach zwei Jahren Lockdown an Geld, die teuren Schulgebühren zu bezahlen. Die Wirtschaft kam nur langsam in Schwung.
Im April war nun das erste Trimester nach dem Lockdown zu Ende gegangen. Und allmählich veröffentlichen einige Verwaltungsbezirke und Schulen ihre Statistiken: Was sich aus diesen Zahlen herauslesen lässt, ist erschreckend. Fast ein Viertel aller Mädchen in Uganda sei nach dem Lockdown aufgrund ungewollter Schwangerschaften nicht in die Schule zurückgekehrt, meldet Fredrick Makumbi, Professor für Epidemiologie und Biostatistik an der staatlichen Universität Makerere, die versuchte, Zahlen zu erheben. An einigen Schulen, deren Zahlen in die Studie einflossen, war es sogar ein Drittel der Schülerinnen. Und: Die Zahl der registrierten Schwangerschaften bei Minderjährigen ist höher als die Zahl der seit 2020 gemeldeten kumulativen Covid-19-Fälle.
Bildungsministerin ist gegen Aufklärung an Schulen
Laut dem Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (Unfpa) wurden während des Lockdowns in Uganda mindestens 644.955 Teenagerschwangerschaften registriert. Die Zahlen der UN-Agentur zeigen, dass seit März 2020, als Covid-19 die Welt traf, schätzungsweise 354.736 Teenagerschwangerschaften gemeldet wurden, nachdem alle Schulen des Landes für mindestens acht Monate geschlossen waren. Zwischen Januar und September 2021 wurden weitere 290.219 Schwangerschaften erfasst. Der Report zeigt auch: Zuvor war in Uganda die Zahl der Teenagerschwangerschaften lange rückläufig, stagnierte jedoch seit fast 15 Jahren auf einem weltweit relativ hohen Niveau. Eine landesweite Gesundheitserhebung hatte vor Corona gezeigt: Bei rund 1,2 Millionen Schwangerschaften im Jahr ist rund ein Viertel der Schwangeren minderjährig.
Aktivisten und Nichtregierungsorganisationen verlangen in Uganda schon seit Langem mehr Sexualaufklärung in Schulen. Doch das Bildungsministerium ist strikt dagegen. Der Grund: Bildungsministerin Janet Museveni, die Gattin von Präsident Yowerie Museveni, ist streng religiös und erzkonservativ. Als 2007 mit Unterstützung des UN-Kinderhilfswerks Unicef Lernmaterialien für Sexualkunde in den Schulen verteilt wurden, die auch das Thema gleichgeschlechtlichen Sex behandelten, beschuldigte die Regierung internationale NGOs, Homosexualität zu fördern. Daraufhin wurde die Sexualkunde landesweit quasi abgeschafft.
Auch jetzt weist Janet Museveni alle Verantwortung für die Langzeitfolgen der zweijährigen Schulschließung von sich: „Die Eltern müssen auch aktiv werden und ihre Rollen einnehmen“, sagte sie und schimpfte: „Es ist eine Schande!“ Viele NGOs hoffen nun, dass die Debatte darüber nun wieder in Gang kommt. Im November vergangenen Jahres, kurz nachdem Bildungsministerin Museveni die Öffnung der Schulen für den Januar bekannt gab, hatte das Hohe Gericht in Uganda ihr Ministerium angewiesen, einen Fahrplan für Schülerinnen mit Baby für die Schulen aufzustellen – und in Zukunft das Thema Sexualkunde ins Curriculum aufzunehmen.
Grace will zurück zur Schule
Auch Grace wünscht sich, wieder zur Schule gehen zu können, sagt sie. Doch das Baby sei noch zu krank: „Ich kann ihn doch nicht allein lassen.“ Sie warte auf eine Operation an der Lunge, damit der Junge besser atmen kann. Grace legt das kleine, röchelnde Bündel sanft auf ihr Bett in einem großen Schlafsaal. Sie hatte Glück im Unglück. Nachdem ihre Cousine sie aus dem Haus geworfen hatte, fand sie über Bekannte den Weg nach Natete, ein Armutsviertel von Kampala. Dort hat die NGO The Remnant Generation in ihren Büroräumen eine Auffangstätte für junge Schwangere und Mütter wie Grace eingerichtet. Gemeinsam mit elf anderen jungen Mädchen und deren Neugeborenen lebt sie nun dort wie in einer Wohngemeinschaft, betreut von zwei Hebammen. Gemeinsam lernen die Mädchen, sich um ihre Babys zu kümmern.
„Die Zahl der Mädchen, die zu uns kommen, hat sich während des Lockdowns verdoppelt“, sagt Doris Kimuli, Sprecherin von The Remnant Generation. Bis 2019 waren es rund 200 im Jahr. Seit Beginn des Lockdowns seien es weit über 400. Die meisten seien wie Grace ungewollt, meist durch Vergewaltigung, schwanger geworden und seien dann auch noch von ihren Familien entweder zwangsverheiratet oder verbannt worden. Sie landen wie Grace schwanger allein auf der Straße.
Die NGO hilft ihnen, Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erhalten, gibt ihnen eine Unterkunft, versucht Kontakt mit ihren Familien aufzunehmen. Sie sucht auch nach Schulen landesweit, die stillenden Müttern mit Kleinkindern den Unterricht ermöglichen. „Das ist nicht einfach“, klagt Kimuli und zeigt auf eine Broschüre des Bildungsministeriums. In dieser werden sämtliche staatlichen Schulen angewiesen, den Müttern Räume zur Verfügung zu stellen, in welchen sie stillen und Windeln wechseln können. „Doch die meisten Schulen haben nicht einmal genug Klassenzimmer – wie soll das gehen?“, fragt Kimuli. Zudem seien die Mädchen einem enormen Stigma ausgesetzt.
Nur zwei der elf Mädchen, die derzeit in den Schlafsälen wohnen, seien nun zurück in der Schule, zumindest für wenige Stunden am Tag. Währenddessen passen die anderen Mädchen und Hebammen auf die Babys auf. „Ich wünsche mir das auch so sehr“, flüstert Grace, während sie ihr Baby zudeckt.
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