Ungerechte Verhältnisse: Ein repariertes Aufstiegsversprechen wird es nicht richten
Die Fortschrittsverheißung der Sozialdemokratie sitzt tief im Gemüt. Aber von rechts macht sich eine gesellschaftliche „Ich zuerst“-Mentalität breit.

D a war es wieder, das gebrochene Aufstiegsversprechen. Und das Wissen, dass es unseren Kindern nicht besser gehen wird. Aus dem sozialökonomischen Thesentopf sind das die beliebtesten Erklärungen dafür, warum so viele Leute so voller schlechter Gefühle stecken, dass sie sich nicht anders zu helfen wissen, als rechtsextrem zu wählen.
So auch diese Woche bei einer Diskussionsrunde in einem Saal voller engagierter Nachwuchs-SozialdemokratInnen. Ein ganz junger, gemäßigt gepiercter Mann aus Sachsen-Anhalt rief: „Die Menschen wissen, dass es ihren Kindern nicht besser gehen wird! Sie sind enttäuscht, dass das Aufstiegsversprechen der Bundesrepublik sich nicht erfüllt!“ In seinen Worten, aber auch im zustimmenden Raunen im Raum hallten die Studien der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung und vieler Wirtschaftsforschungsinstitute nach, die mit dieser Botschaft schon erschienen sind, die aber vermutlich kaum jemand hier gelesen hatte.
Das ist ja das Besondere an der Sozialdemokratie: Ihre Fortschrittsverheißung sitzt tief im Gemüt, sie ist eher kulturell eingepflanzt als angelesen und sie ist längst davon abgekoppelt, ob Leute sich selbst für sozialdemokratisch halten oder die entsprechende Partei wählen. Zitiert werden das gebrochene Aufstiegsversprechen und das Dass-es-den-Kindern-nicht-besser-gehen-wird so auch quer durchs politische Spektrum, nur eben mit unterschiedlichen Arbeitsaufträgen versehen („mehr Umverteilung“ vs. „mehr Wettbewerb“).
Doch frage ich mich, ob das überhaupt hinhaut. Der erwähnte Mann aus Sachsen-Anhalt erzählte lebhaft, wie er von rechtsradikalisierten Mitbürgern angeschrien wird, dass „Ausländer alles, Deutsche nichts!“ bekämen. Fürchten die wirklich, ihre Kinder würden keinen Job finden? Und da die AfD sogar noch mehr als bisher gedacht von Männern im mittleren Erwerbsalter gewählt wird, wie die frische repräsentative Statistik der Bundeswahlleiterin zeigt: Haben nicht gerade die vom Boom im Osten seit den nuller Jahren besonders profitiert?
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Klima, Inflation, die nächste Generation
Dieselben Schreier mögen ja in einer wissenschaftlichen Erhebung ankreuzen, dass sie fürchten, ihren Kindern werde es schlechter gehen – vielleicht aber nur, weil sie diese originelle Antwortmöglichkeit noch nie gehört haben, sie aber spontan plausibel finden. Vielleicht ahnen sie sogar, dass ihre Kinder es tatsächlich deshalb schwerer haben könnten, weil sie ihr ganzes Leben gegen den Klimawandel und seine ökonomischen und biologischen Folgen ankämpfen werden. Aber im Internet wird gesagt, daran seien die Grünen schuld, und deshalb müssten die Ausländer raus, und das sagt die CDU ja irgendwie auch.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Die Inflation hat die Klein- und Mittelverdiener seit vier Jahren voll erwischt. Das ist nicht bloß ein Gefühl, dass speziell Nahrungsmittel viel teurer geworden sind. Die Reallöhne – Inflation rausgerechnet – sind gerade einmal auf dem Vor-Corona-Niveau von 2019 angekommen, wie der Experte vom Institut für Weltwirtschaft in der FAZ mit einem verzückten „sogar“ ausführt. Was ihn nur dann so freuen kann, wenn er die wesentlich vorteilhaftere Vermögensstatistik kurz aus dem Auge verloren hat.
Die Verhältnisse, soll das heißen, sind in der Tat zum Schreien ungerecht. Und ich verstehe, wenn SozialdemokratInnen ihren historischen Auftrag mit dem Kampf gegen rechts anreichern oder sogar erneuern wollen: Aufstiegsversprechen – nur mit uns und bitte hier entlang! Ich fürchte bloß, das ist nicht die Gerechtigkeit, um die es den Rechtsradikalisierten geht. Die wollen eine „Ich zuerst!“-Gerechtigkeit. Und das hat die gesamtgesellschaftliche Linke inklusive Sozialdemokratie nicht im Angebot.
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