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Umzug für den JobArbeitsamt muss Mietkaution stellen

Das Jobcenter muss Arbeitslosen die Mietkaution zahlen, wenn die für eine Stelle umziehen müssen. So urteilte das Landessozialgericht Niedersachsen.

Das Jobcenter fährt manchmal die besten Berufsaussichten gegen die Wand Foto: Jan Zier

Bremen taz | Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat mit einem Urteil die Rechte von Langzeitarbeitslosen gestärkt. Sie dürfen nicht dazu gezwungen werden, einen Job anzunehmen, zu dem sie nicht pendeln und für den sie nicht umziehen können. Wenn das Jobcenter Bedürftige bei einem berufsbedingten Umzug aber „allein lässt“, dürfen diese nicht hinterher noch vom Amt bestraft werden.

Und zwar auch dann nicht, wenn ein Hartz-IV-Empfänger seinen neuen Job gleich wieder verliert, weil er mangels Geld gar nicht erst in die neue Stadt zog (Aktenzeichen: L 11 AS 336/21). Das Jobcenter hatte dem Betroffenen dies als „sozialwidriges Verhalten“ ausgelegt, obwohl es vorher die Übernahme einer Mietkaution verweigerte – und so letztlich verhinderte, dass der Arbeitssuchende wieder in Lohn und Brot kam.

Im konkreten Fall ging es um einen 1962 geborenen Osnabrücker, der bis 2003 als Buchhalter gearbeitet hatte. Seine Vermittlungschancen auf dem ersten Arbeitsmarkt waren denkbar schlecht: Er gilt als schwerbehindert, die Hauptschule verließ er 1979 ohne Abschluss, später wurde er dann Industriekaufmann.

In den vergangenen 20 Jahren schlug er sich als Gebäudereiniger und Auslieferungsfahrer durch, als Helfer im Lager, im Supermarkt, im Büro. Zwischendurch war er immer mal arbeitsunfähig, auf Weiterbildung oder in anderen Maßnahmen des Jobcenters untergebracht.

Ein scheinbar hoffnungsloser Fall

2017 entschied das Amt, dem Mann keine Fahrkosten mehr zu Vorstellungsgesprächen als Buchhalter zu bezahlen. Bei Bewerbungen im Öffentlichen Dienst musste er als schwerbehinderter Mensch eingeladen werden. Er selbst ging aber davon aus, dass Arbeitgeber ihn ohne Behinderung wohl gleich abgewiesen hätten – weil mittlerweile zu viele Jahre vergangen waren, in denen er nicht mehr als Buchhalter gearbeitet hatte. Bewerbungen in seinem gelernten Job seien „nicht weiter erfolgversprechend“, befand auch das Amt.

In der Folge kam es immer wieder zu Streitigkeiten, wenn es um die Übernahme von Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen ging. In sechs Fällen zwischen 2017 und 2020 lehnte das Jobcenter das ab. Stets klagte der Arbeitslose erfolglos vor dem Sozialgericht.

Überraschenderweise erhielt er 2019 dennoch einen Arbeitsvertrag als Buchhalter und zwar in Düsseldorf als „Regierungsbeschäftigter in Haushalts- und Rechnungsangelegenheiten“ beim Polizeipräsidium I mit einem Nettogehalt von 1.711,32 Euro. Also beantragte er Umzugskosten, Fahrtkosten für eine Wohnungsbesichtigung und die Übernahme einer Mietkaution.

Die ersten beiden Anträge wurden auch genehmigt – im übrigen aber beschied ihm das Jobcenter, eine Mietkaution könne „nicht gefördert“ werden. Sein Einwand, dass ein Umzug nach Düsseldorf dann aber „nur schwer möglich“ sei, wurde ignoriert. Am Ende wurde er in der Probezeit gleich wieder gekündigt, weil er gar nicht erst zur Arbeit erschien.

Was das Amt sozialwidrig fand, ist für das Gericht fast schon vorbildlich

Er war ja auch gar nicht erst umgezogen. Er habe kein Geld für die Kaution gehabt und war zudem noch nicht aus seinem alten Mietvertrag entlassen worden, sagte er zur Begründung. Und zum täglichen Pendeln war die Entfernung mit knapp 200 Kilometern zu weit.

2020 forderte das Jobcenter rund 6.800 Euro von dem erneut arbeitslosen Mann: Er müsse die Grundsicherungsleistungen zurückzahlen, weil er aufgrund seines „sozialwidrigen Verhaltens“ den neuen Job nicht angetreten habe.

Das Landessozialgericht gab ihm nun recht: Von ihm konnte nicht verlangt werden, den Mietvertrag zu unterschreiben, obwohl er kein Geld für die Kaution hatte. Im Gegenteil: Das zu tun, wäre ein „Eingehungsbetrug“ und also strafbar gewesen, stellte das Gericht fest.

Und dass der Mann nach vielen Jahren, in denen er von Sozialleistungen abhing, über Rücklagen für eine Kaution verfügen könnte, „sei weder ersichtlich noch vom Jobcenter vorgetragen worden“, heißt es im Urteil. Es bedürfe „keiner weiteren Begründung“, wieso der Mann völlig richtig und nicht „sozialwidrig“ gehandelt hatte. Eine Revision wurde nicht zugelassen.

Am Ende stellt das Urteil klar, was selbstverständlich sein sollte: „Die sozialadäquate Reaktion“ eines Leistungsempfängers auf ein solches „rechtswidriges Behördenhandeln“ stellt „kein sozialwidriges Verhalten“ dar. Das Jobcenter hätte dem Mann die Mietkaution bezahlen müssen. So aber sei er vom Jobcenter „vollkommen 'allein gelassen’“ worden: Der Mann sei nicht unterstützt worden, obwohl er darauf Anspruch gehabt hätte.

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24 Kommentare

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  • Da kann man nur hoffen, das für die zukünftige Sachbearbeitung eine fachkompetentere Mitarbeiter*In eingesetzt wird. Eine Entschädigung wäre gerechtfertigt, da die erfolgreiche Vermittlung durch die schlechte Sachbearbeitung vereitelt wurde; zum Schaden unser aller.

  • taz: "Wenn das Jobcenter Bedürftige bei einem berufsbedingten Umzug aber „allein lässt“, dürfen diese nicht hinterher noch vom Amt bestraft werden."

    Die Jobcenter "kämpfen" eben um jeden Arbeitslosen, damit er/sie dieser "Behörde" auch ja erhalten bleibt. Man stelle sich doch nur einmal den Super-GAU vor, dass es auf einmal keine Arbeitslosen in Deutschland mehr gäbe. Was soll man dann mit den ca. 100.000 Jobcenterangestellten machen, die dann nämlich selbst arbeitslos wären? Okay, zunächst einmal würde der Steuerzahler bzw. der Staat sehr viel Geld sparen, denn diese sinnlosen Jobcenter, die mit einem unglaublichen Bürokratismus einen egozentrischen Aufwand betreiben, der in gar keinem Verhältnis zu den Vermittlungserfolgen steht, kostet dem Staat nämlich jährlich ein paar Milliarden Euro Steuergelder. Viel Geld, was man sicherlich besser anlegen könnte; z.B. könnte man damit unsere kaputten Schulen endlich mal sanieren oder die Fahrradwege in Innenstädten ausbauen, damit der klimaschädliche Verkehr etwas reduziert wird. Es wäre für den Staat sicherlich besser, wenn man die Jobcenter endlich einmal dicht machen beziehungsweise sie durch zeitgemäße Digitalisierung "verschlanken" würde, aber dann könnten viele Firmen sich ja keine billigen "Lohnsklaven" mehr von den Jobcentern schicken lassen und müssten dann vielleicht sogar mal ihren Angestellten richtige Löhne zahlen. Die 'Armutsverwaltung', die man BA-Jobcenter nennt, wird uns also weiterhin erhalten bleiben, auch wenn deren Mitarbeiter nicht einmal ihre eigenen Vorschriften und die BA-Gesetze kennen, und ein Sozialgericht jetzt "wieder einmal" einschreiten musste.

  • Das Schlimmste an diesem Vorgang ist doch, dass der Herr wieder einen Job hatte, dadurch hätte auf eigenen Füßen stehen und selbstbestimmt leben können. Meiner Meinung nach müsste ihm auch ein Schadenersatz gezahlt werden!

  • Wäre es nicht möglich gewesen, er nimmt für 3 oder 4 Monate erst mal ein WG-Zimmer und zieht dann um? Dann hätte er genügend Geld für die Kaution gehabt und hätte sich in der Zwischenzeit vor Ort nach einer Wohnung umschauen können.

    • @Horst Flugfeld:

      Jahrgang 62 ist bestimmt voll begehrt bei WGs.

    • @Horst Flugfeld:

      Auch für WG-Zimmer muss - je nach mietrechtlichem Modell - evtl. ebenfalls Kaution bezahlt werden. Und auch die kann vierstellig werden.

      Abgesehen davon ist es als (zum damaligen Zeitpunkt) 57-Jähriger Schwerbehinderter vielleicht auch nicht ganz einfach, zum richtigen Zeitpunkt eine passende WG zu finden...

    • @Horst Flugfeld:

      Mit 57 Jahren 2019 in Düsseldorf ein WG Zimmer finden?



      Ich halte das für noch unwahrscheinlicher, als dort eine bezahlbare Wohnung mieten zu können!

      • @felixul:

        Spekulatius. Der Artikel kling so, als wäre diese Möglichkeit nicht mal in Erwägung gezogen worden.

        • @Horst Flugfeld:

          Das ist doch jetzt wieder Spekulatius von Ihnen selber.

  • Hallo? Das sollte doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Ist es aber nicht. Die Reichen zwingen die Armen zum Betteln. Das ist die Realität.

    • @V M:

      Ob das in diesem Fall die Reichen waren, sein dahingestellt. Hier liegt eher ein Amtsvergehen vor, aufgrund schlechter Arbeitsleistung des angestellten Mitarbeiters. Oder war es gar ein Beamter?



      Es ist ein systemischer Fehler, oder brechen wir es auf die persönliche Eben runter, die Sachbearbeitung gönnte dem Arbeitssuchenden die erfolgreiche Vermittlung nicht. Möglicherweise liegt auch ein psychische Problemlage vor, da sich durch die langjährige Bearbeitung ein Abhängigkeitsverhältnis ergeben hat, eine sogenannte scheinselbständige Arbeitslosigkeitssituation und die Vermittlungsstelle vereitelt ganz bewusst die erfolgreiche Vermittlung, trotz aller Versuche des Arbeitswilligen aus diesem Teufelskreis ausbrechen zu können.

  • Wer bezalht denn jetzt die ganzen Gerichtskosten?

    Die Verantwortlichen im Jobcenter ganz gewiss nicht.

    Und genau da liegt der Hase im Pfeffer.

    Da unter den Jobcentern regelmäßig Wettbewerbe im "wer zahlt am Wenigsten" ausgetragen werden, kommt es dann zu solchen Auswüchsen.

    • @Bolzkopf:

      Am Sozialgericht fallen keine Gerichtskosten an. Die notwendigen Auslagen des Klägers gehen zu Lasten der Beklagten.

      • @felixul:

        Das heisst ja nicht, das keine Kosten entstanden sind.

        Oder arbeiten die Menschen in den Gerichten jetzt ohne Lohn ?

        Die Sozialgerichte sind völlig und total überlastet.



        Und wenn man dann im Auge hat, dass rund ein Drittel der Klagen stattgegeben wurden (2019) muss man sich doch Fragen was die Leute in den Jobcentern denn so beruflich machen ...

  • Auch wenn mich das Verhalten des "Job-Centers" aka. Härtefallverwaltungsanstalt aus eigener Erfahrung nicht im Mindesten überrascht, so musste ich doch kurz innehalten, um zu begreifen wie gef**** man in deren Obhut gewesen wäre, hätte man 30 Jahre mehr auf dem Buckel gehabt. Das "Job-Center" sowie das "richtige" Arbeitsamt sind Biotope für Soziopathen (abseits anstrengender Tätigkeiten wie Polizei oder Security oder Politik) und verstrauchelte Geisteswissenschaftler. Wehe dem vernünftigen Menschen der auf Dauer in diese Mühlen gerät, egal auf welcher Seite der Schreibtisches!

    Eine schlechtbezahlte, entwürdigende Position in der freien Wirtschaft ist imho allemal besser als sich auch nur 30min/Monat mit einerm Sachbearbeiterin zu verbringen. Und ich schätze, das ist Absicht. Wahrscheinlich werden die sozial-unverträglichsten 5% an Studienabbrechern im geisteswissenschaftlichen Bereich beim Job-Center untergebracht und die asozialsten 5-10% dann bei der Agentur für Arbeit. Der ganze Aufwand, so er denn wirklich betrieben wird - und nicht einfach automatisch passiert - dient der maximalen Abschreckung, und bei mir hat es gewirkt! Bis heute ist die Abscheu und der Ekel beim Gedanken an einen ARGE-Besuch so stark, die Angst in diese unheiligen Hallen zurückkehren zu müssen so ausgeprägt, dass ich selbst ärgerlichste Probleme löse und immer nett bin auf Arbeit. :)

    • @Fabian Wetzel:

      Ich stimme Ihnen im Wesentlichen zu, aber in der Agentur für Arbeit habe ich ganz andere Erfahrungen gemacht. Behandelt wurde ich tatsächlich wie ein Kunde, in ernsthaften Gesprächen wurde erodiert, ob es für mich mit 58 Jahren und Schwerbehinderung mit Berufsunfähigkeit im Baugewerbe noch Beschäftigungsmöglichkeiten gäbe. Meine Beraterin und ich waren uns einig, dass das eh Unsinn wäre und so hat sie mich sehr freundlich und ohne irgendeinen Druck aufzubauen durch die zwei Jahre bis zur Rente begleitet. Es waren so ca. alle vier Monate sehr nette Gespräche.

      • @felixul:

        ....na, da haben Sie sich doch ganz erwartungsmässig verhalten, was meinen Sie, wäre passiert, Sie hätten eine Weiterbildung beantragt oder eine Wiedereingliederungsmassnahme....ob " Ihre " Sachbearbeiterin dann wohl noch weiter so freundlich geblieben wäre, hätte sie für Sie einen " Handschlag " tätigen sollen ?

      • @felixul:

        Aus Erfahrung der Rechtsberatung heraus habe ich das auch häufig erlebt. Aber ist das wirklich ein Argument?



        AfA und Jobcenter sind in ein System eingebunden, Sachbearbeiter der AfA sind nicht auswählbar, sie werden zugewiesen und ein wirkliches Recht auf einen Wechsel gibt es nicht. Kann es da sein, dass ein "Kunde" willkürlich an einen fachlich gebildeten, stressfreien und auch noch engagierten Mitarbeiter gelangt, der nächste erhält den Schwarzen Peter? So was bezeichnet man regelmäßig als einen systematischen Fehler. Was man zu Recht von der Polizei fordert, eine niedrigschwellige, unabhängige Beschwerdestelle, müsste für Bürgergeldempfänger und Arbeitslose selbstverständlich sein (und ich meine bewusst nicht das Kundenreaktionsmanagement, dies ist nur ein Alibi-Feigenblatt und in der Regel das Porto nicht wert, welches man für die Beschwerde verschwendet...).

        • @Cerberus:

          Sie haben vollkommen recht.



          Das Problem ist das System und nur, weil sich einzelne besser darstellen können und besser informiert sind, haben sie einen Vorteil und diejenigen, die eh schon benachteiligt sind, werden auch so behandelt.



          Ich wollte nur sagen, dass es auch anders ginge.

  • Die Behörde hätte die Kaution zahlen und sich den Betrag aus dem Lohn zurück zahlen lassen sollen.

    Wäre er dennoch während der Probezeit gekündigt worden, wäre das Jobcenter zumindest örtlich nicht mehr zuständig.

    • @DiMa:

      Das macht es weder für den Betroffenen noch für das Sozialsystem ansich besser. Was ist das denn für ein Beitrag?

      • @Diana Klingelstein:

        Selbstverständlich wäre das für alle Beteiligten besser gewesen. Der Arbeitssuchende hätte die Chance auf einen Job gehabt, hätte die Kauion vorübergehend erhalten und aus seinen Bezügen abbezahlt.

        Das Jobcenter hätte dagegen lediglich die Kosten für die Kaution kurzfristig vorfinanzieren müssen und halt lediglich das Risiko, dass diese im Falle eines Jobverlustes uneinbringbar wird.

        Weshalb sollte das Jobcenter dauerhaft auf die Kaution verzichten. Ein Gehalt von ca. 1.700 netto liegt weit über der Pfändungsfreigrenze.

        • @DiMa:

          Selbst wenn der Betreffende den Job wieder verloren hätte nach Umzug, das Kautionsdarlehen hätte so oder so zurückgezahlt werden müssen - auch aus dem Leistungsbezug heraus. Ich kenne es so, dass das JC (Bremen) 10% der Leistungen der Erwachsenen einer Bedarfsgemeinschaft einbehält bis das Kautionsdarlehen abgezahlt ist.



          Verstehe auch nicht ganz, was @Diana Klingelstein meint.

        • @DiMa:

          Ich bezog mich auf Ihren letzen Teilsatz, nicht auf den Artikel. Natürlich hätte das Amt die Kaution übernehmen sollen.