Umstrittenes Straßenprojekt in Berlin: Teuerpläne aus der Klimahölle
Der Bau der TVO ist aus vielen Gründen komplett gaga. Nun ist auch die Finanzierung geplatzt. Ein Planungsstopp ist trotzdem nicht zu erwarten.
I m Zweifelsfall sind die Grünen schuld. Diese eingängige Faustregel des Populismus lässt sich eigentlich immer anwenden, wenn etwas nicht glatt läuft. In dieser Woche konzentrierte sich Wutbürgers Zorn auf die Verzögerungen beim Bau der Tangentialen Verbindung Ost (TVO). Das ist jene gut 7 Kilometer lange „kreuzungsarme Stadtschnellstraße“ zwischen Marzahn und Köpenick, die einmal quer durch die Wuhlheide führen und dort für versiegelte Flächen und die Zerstörung von 22 Hektar Wald sorgen soll.
Folgt man den Verfechter:innen des ursprünglich auf Planungen aus den 1960er Jahren zurückgehenden Straßenbauprojekts wie dem wirtschaftspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, „dann hätten wir heute wahrscheinlich bereits eine planfestgestellte Trasse zur TVO und einen Bauablaufplan mit Jahresscheiben zur Finanzierung“. Haben wir aber nicht. Denn, siehe oben: die Grünen.
„Seit Jahren“, so der Vorwurf, hätten die Ökos die Asphaltschneise „verzögert“. Zwar hat sich die ehemalige Grünen-Verkehrssenatorin Bettina Jarasch in der Vergangenheit sehr wohl für die TVO ausgesprochen, freilich in Verbindung mit einem Radweg und einer Bahnstrecke, wobei der mitgedachte Straßenbau klimapolitisch auch seinerzeit schon komplett gaga war – aber geschenkt. Heute fordern die Grünen, das im November 2023 gestartete Planfeststellungsverfahren für das aus der Zeit gefallene Projekt zu stoppen. Allein das reicht offenkundig für erhöhten Puls.
Vorausgegangen war dem aktuellen Wer-ist-schuld?-Vortrag des CDU-Manns zudem eine Stellungnahme des grün geführten (!) Bundeswirtschaftsministeriums, die sich mit der Finanzierung des nach derzeitiger Schätzung mindestens 400 Millionen Euro schweren Bauvorhabens beschäftigt. Jahrelang hingen die Befürworter:innen dem berlintypischen Glauben an, den Bärenanteil der Kosten würde schon der Bund tragen. Verwiesen wurde dabei stets auf einen Wundertopf mit dem Namen „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“.
Das hat sich seit dieser Woche erledigt. Denn wie das Wirtschaftsministerium wissen ließ, könne man lediglich einen sehr begrenzten Teil des Straßenbauprojekts aus Mitteln des GRW abgekürzten Bund-Länder-Förderprogramms unterstützen. Der eigentliche Batzen müsse „komplett aus Mitteln des Landes Berlin“ finanziert werden. Was – freundlich formuliert – angesichts der vermutlich auf lange Zeit desolaten Berliner Haushaltslage und der Jahr für Jahr weiter steigenden Baupreise etwas knifflig werden könnte.
Motto: Hauptsache, das Ding wird gebaut
Auch die Beton-und-Benzin-Fankurve weiß, dass das nicht zu stemmen sein wird. Also versucht man es mit Vorwärtsverteidigung: Erst einmal das Planfeststellungsverfahren zu Ende führen, schließlich noch die angekündigten Klagen von Umweltschützer:innen an sich abperlen lassen – und dann wird sich schon irgendwo ein anderer Bundes- oder EU-Topf finden, aus dem die vielen Millionen fröhlich sprudeln. Oder die GRW-Förderbedingungen werden eben von einer neuen Bundesregierung ohne Grünen-Beteiligung an die TVO angepasst. Egal. Hauptsache, das Ding wird gebaut.
Verkehrs- und Klimaschutzsenatorin Ute Bonde von der CDU haben sie bei dem Projekt aus der Klimahölle ohnehin auf ihrer Seite. „Wir gehen davon aus, dass sich der Bund auch an den weiteren Kosten beteiligen wird“, erklärte ihre Sprecherin nach der Absage aus dem Wirtschaftsministerium jetzt der Berliner Zeitung. Und die Kritiker:innen bekommt Bonde sicher auch noch überzeugt.
Schon mehrfach gelang es der Senatorin seit ihrem Amtsantritt vor zwei Monaten immerhin, die Berliner:innen mental aus ihrem Bullerbü abzuholen mit der Mahnung, doch jetzt mal „zu einer anderen Haltung zu kommen“. Besonders eindrücklich war in dieser Hinsicht ihre jüngste Entgegnung auf das notorische Gequengel über die unzuverlässige BVG: In anderen Städten fahre die U-Bahn schließlich auch nur „alle zehn, alle 15 Minuten“.
Ähnlich einfühlsame Worte erwarten wir von Bonde nun natürlich auch in Sachen TVO. In irgendwelchen anderen Städten wird auf Umwelt- und Klimaschutz ja ebenfalls nichts gegeben.
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