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Umstrittener Bahnhofsbau immer teurerStuttgart 21 knackt neuen Rekord

Der Bahnhofsbau Stuttgart 21 leidet unter weiteren Kostensteigerungen, deren Finanzierung ist ungeklärt. Die Eröffnung verschiebt sich wohl auf 2027.

Der Preis steigt: Bahnhofsbaustelle im November Foto: dpa

Karlsruhe taz | Die ersten Protagonisten des umstrittensten Bahnhofsbaus Europas sterben schon, während sich die Eröffnung von Stuttgart 21 weiter verzögert und die Kosten die 10-Milliarden-Marke durchbrechen. Im Frühjahr starb Dietrich Wagner, Symbolfigur des Widerstands gegen Stuttgart 21, und erst vor wenigen Tagen verschied der frühere Bahnchef und Motor des Tiefbahnhofs in den 90ern, Heinz Dürr. Seit der jüngsten Sitzung des Lenkungsausschusses des Bauprojekts, bei der schon von Verteuerungen die Rede war, sickerten nun neue konkrete Zahlen durch.

Nach Recherchen verschiedener Medien sollen die Kosten für das Gesamtprojekt nach derzeitigem Stand um 1,8 Milliarden auf 11 Milliarden Euro steigen. Die Bahn bestätigte die Zahlen nicht. Unklar ist, wer die gestiegenen Kosten trägt, denn die Kostenverteilung ist nur für den 2009 bei Baubeginn veranschlagten Preis in Höhe von 4,5 Milliarden Euro geregelt.

Seitdem beharrt die Landesregierung darauf, nur die versprochenen 930 Millionen Euro zu bezahlen. Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) versicherte am Freitag nach der Sitzung des Lenkungsausschusses, dass sich Baden-Württemberg nicht an den Mehrkosten beteiligen werde.

Nach Recherchen des SWR soll sich zudem die Eröffnung des Riesenprojekts verzögern. Der Sender beruft sich auf Insider des maßgeblichen Zulieferunternehmens Thales. Danach sei Dezember 2025 als Eröffnungstermin kaum noch realistisch, da sich die Digitalisierung des Bahnhofsknotens als schwierig erweist. Die Thales Group, die für die Digitalisierung zuständig ist, steckt selbst in einem Umstrukturierungsprozess. Maßgebliche Unternehmensteile wurden an den japanischen Konzern Hitachi Rail verkauft.

An der Digitalisierung hakt es

Dass es ausgerechnet an der Digitalisierung hakt, dürfte Kritiker bestätigen. Die aufwändige digitale Koordination des Verkehrs soll sicherstellen, dass der Bahnhof, der weniger Gleise haben wird als der überirdische Kopfbahnhof, überhaupt erst die notwendige Leistungsfähigkeit für den Bahnverkehr erreicht. Deshalb warb Verkehrsminister Herrmann auch um Geduld: „Von einem Holperstart haben wir alle nichts“, sagte er am Rande des Lenkungskreistreffens.

Das Stuttgarter Bahnprojekt steht seit der Vertragsunterzeichnung massiv in der Kritik. Proteste der Bevölkerung, die dem unterirdischen Bahnhof Sinn und Wirtschaftlichkeit absprachen, fanden bundesweit Beachtung. Nach gewalttätigem Eingreifen der Polizei bei Demonstrationen im Hofgarten im September 2010, das die Regierung von Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) veranlasst hatte, kam es zu einem Schlichtungsverfahren, in dem Verbesserungen des Projekts von der Bahn verlangt wurden.

Im November 2011 mussten die Gegner des Bahnhofsprojekts bei einer Volksabstimmung eine Niederlage hinnehmen. 58,8 Prozent stimmten für den Bau, nicht einmal in Stuttgart selbst hatten die Gegner die Mehrheit. Seit damals wurden immer neue Veränderungen des Projekts vorgenommen, die den Bau verteuerten. Die Kosten zusammen mit der inzwischen eröffneten Schnellbahnstrecke Wendlingen-Ulm haben sich seit damals mehr als verdoppelt.

Immerhin gibt es auch eine positive Nachricht: Wie der Lenkungskreis bekannt gab, soll der Flughafenbahnhof, der Teil des Gesamtkonzepts ist, schon ein Jahr früher als geplant in Betrieb gehen.

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7 Kommentare

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  • Wenn die Stuttgarter den Bahnhof wollten, dann sollen sie ihn auch bezahlen. Die Fakten lagen ja auch damals schon auf dem Tisch.

  • Bravo Bravo Bravo!

    Leider gibt es für dergestaltige Bestleistungen nicht den Nobelpreis.

    Wie schade.

    Aber das Bundesverdienstkreuz!



    Das müsste doch dransitzen!



    Am Bande natürlich!

  • Es sind ja nur Steuergelder !



    Bei Projekten dieser Art erleben wir doch immer eine immense Kostenexplosion. Jeder der Beteiligten weiss das bereits in der Ausschreibung, das die Preise so nicht haltbar sind. Wir benötigen eine regelung, wonach die Planer bei groben Fehlplanungen und grobe Budgetverfehlungen zur Rechenschaft gezogen werden. Sollte in den Jahren der bBauzeit der eine oder andere Rohstoff teurer werden, ok. Wir wissen doch jetzt schon, wenn in voraussichtlich 25 Jahren der Bahnhof endlich fertig ist beginnen wir wieder von vorne, da die ersten Bauabschnitte dann renoviert werden müssen.

  • Da muss man sich natürlich schon fragen ob dieses strikte Festhalten an der Bahn als bevorzugtes Zukunftsmodell der Mobilität wirklich so seine Rechtfertigung hat.

    • @Andere Meinung:

      Hat sie. Idiotische Einzelprojekte ausgenommen.

      Bei Stuttgart2X wurde von Anfang an mit Lug und Trug gearbeitet, um dieses Projekt durchzuboxen. Bei der oben erwähnen Abstimmung wurde z.B. (in Schwaben!) gelogen, dass der Ausstieg teurer würde, als ein Weiterbau. Raten Sie mal, wie die Schwaben gestimmt haben.

  • Entschuldigung, aber wenn ich in der taz einen Satz wie diesen lesen muss, muss ich würgen: "Seit damals wurden immer neue Veränderungen des Projekts vorgenommen, die den Bau verteuerten."

    Im Zusammenhang mit der "Kostenexplosion" die Sprachregelung der S21 Protagonisten zu übernehmen ist unangemessen. Schließlich hat der Bundesrechnungshof bereits vor der Abstimmung die Zahl von 10 Milliarden in den Raum gestellt. Das ist ein dutzend Jahre her... und es macht mich weiterhin fassungslos, dass niemand von denen, die damals das "bestgeplante Eisenbahnprojekt Europas" herbeigelogen haben, jemals dafür Rechenschaft ablegen musste.

    Da wurde eine untaugliche Idee zum Wohl der Immobilienwirtschaft durchgedrückt. Die dauernden "Veränderungen" sind ja bereits dadurch angelegt, dass der "Plan" gar nicht funktionieren konnte, wie in der Schlichtung auch umfassend dargelegt wurde.

    • @Helmut Fuchs:

      Auf den Punkt gebracht, auch was die TAZ betrifft.