Umkämpfter Wald in Hamburg: Der „Völli“ ist gerettet
Der Vollhöfner Wald, ein wilder Wald in Hamburg, fällt nicht dem Hafen zum Opfer, sondern wird Naturschutzgebiet. Ein Erfolg für die Bürgerbewegung.
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Kurz vor dem Ende der Legislaturperiode hat es doch noch geklappt: Der rot-grüne Hamburger Senat hat den „Völli“, also den Vollhöfner Wald, in seiner dienstäglichen Sitzung als Naturschutzgebiet ausgewiesen – das 38. des Stadtstaates. Das sei „ein großer Erfolg für den Naturschutz“, kommentierte der Vorsitzende des Hamburger Naturschutzbundes (Nabu) Malte Siegert, nicht zuletzt weil hier „die Natur erstmals Vorrang vor der Hafenentwicklung“ habe.
Der Nabu, der BUND und eine Bürgerinitiative hatten fast zehn Jahre lang darum gekämpft, dass das 74 Hektar große Areal, das zum Erweiterungsgebiet des Hafens gehörte, nicht für Lagerhallen plattgemacht wird. Über 60 Jahre hatte sich auf dem ehemaligen Spülfeld für Hafenschlick ein Wald entwickelt – weitgehend ungestört vom Menschen.
Nach Bekanntwerden der Pläne der städtischen Hafenbehörde HPA veranstalteten Umweltschützer Protestspaziergänge im Wald. 15.000 Menschen unterstützten einen Aufruf des Nabu an Hamburgs Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), den Wald nicht anzutasten. Auf dem Höhepunkt des Protests bauten Aktivisten ein Baumhaus im Dickicht, das die Polizei allerdings nach einer Woche räumte.
Bei den Koalitionsverhandlungen Anfang 2020 vereinbarten die Grünen mit der SPD, dass der Wald erhalten bleiben sollte. Im Gegenzug gaben sie ihren Widerstand gegen die geplante A26 Ost quer durch den Hamburger Süden auf. Sie soll die A7 mit der A1 verbinden.
Die zwei Kompromisse der Grünen
Um das Gebiet zu schützen, mussten sich die Grünen auf weitere Kompromisse einlassen: Am Rande des Gebiets werden zwei Windkraftanlagen errichtet; außerdem wird wildes Grün in ähnlichem Umfang auf dem Gebiet des ehemaligen Fischerdorfes Altenwerder für eine Erweiterung des dortigen Containerterminals freigegeben.
Es sei keine Kleinigkeit gewesen, den Vollhöfner Wald aus dem Hafengebiet herauszulösen, sagte Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne). „Wir haben vom ersten Tag der Koalition daran gearbeitet.“ Die Flächen direkt am Containerterminal dagegen wären wohl über kurz oder lang ohnehin dessen Erweiterung zum Opfer gefallen, spekulierte der Senator.
Der Erfolg auf den letzten Metern vor der Bürgerschaftswahl in zwei Wochen war eine Art Abschiedsgeschenk des Senators – Kerstan tritt nicht wieder an – und zugleich ein Geburtstagsgeschenk an sich selbst, denn er wurde am Tag der Verkündung 59 Jahre alt.
Kerstan zeigte sich zufrieden, dass es ihm in seiner zehnjährigen Amtszeit gelungen sei, fünf neue Naturschutzgebiete in Hamburg auszuweisen und sechs andere zu erweitern. Damit habe Hamburg mehr als 10 Prozent seiner Landesfläche unter Naturschutz gestellt – der Spitzenwert unter allen Ländern, allerdings dadurch begünstigt, dass zu Hamburg auch ein Teil des Nationalparks Wattenmeer gehört.
Frei von menschlichen Eingriffen
Der Nabu-Vorsitzende Siegert nannte die Unterschutzstellung ein Beispiel, an dem zu sehen sei, wie bürgerschaftliches Engagement zu guten Entscheidungen führe. Der Vollhöfner Wald sei das erste Prozesschutzgebiet Hamburgs – die Röhrichte, Laub- und Auwälder mit ihren vielen Höhlen und dem vielen toten Holz können sich weitgehend frei von menschlichen Eingriffen wie etwa der Forstwirtschaft entwickeln. Ausnahmen gibt es für bestehende Anlagen wie ein Spülrohr der HPA und Arbeiten für die künftigen Bahngleise in der Nähe des Gebiets.
Ohne wesentliche Eingriffe sollte das Gebiet mit zunehmendem Alter immer wertvoller im Sinne des Naturschutzes und der Artenvielfalt werden. Schon heute bewohnen acht in Hamburg gefährdete Fledermausarten die Bäume in dem Gebiet. In der Gewässersohle der angrenzenden Alten Süderelbe gräbt sich der ebenso gefährdete Schlammpeitzger gerne ein und in den Ufergehölzen nistet die Beutelmeise.
Die Biologen fanden auch zwei „Urwaldrelikt-Arten“: den Stutzkäfer Abraeus parvulus, der im Mulm unter der Baumrinde lebt, und den Kurzflügler Quedius trunicicola. Dem Entwurf der Schutzgebietsverordnung zufolge gehören sie zu „den bundesweit anspruchsvollsten Alt- und Totholzbewohnern“.
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