Umgang mit afrikanischen Staaten: Grün gefärbte Einflussnahme
Es gibt die Annahme, dass Arme nur in die moderne Weltwirtschaft integriert werden müssten, dann werde alles gut. Als ob sie das nicht längst seien.
Hände weg von Afrika? Den Postkolonialismus überwinden!“, hieß es kürzlich in der taz. Die Kritik bezog sich auf den Appell des Papstes, die Ausbeutung des afrikanischen Kontinents zu überwinden. Hinter dem Appell verstecke sich eine „paternalistische Attitüde“ und eine „kolonialistische Perzeption Afrikas als Opfer und Rohstofflieferant“.
Stattdessen verweist der Artikel auf das „gigantische Entwicklungspotenzial“ Afrikas und fordert eine partnerschaftliche Agrarstrategie Europas („Hand in Hand in Afrika“), gerade auch angesichts dessen, dass China seinen wirtschaftlichen und politischen Einfluss „skrupellos“ ausbaue. Ziel sei eine „nachhaltige Entwicklung“, mit der Afrika „der Sprung in die moderne, postkarbonisierte Weltwirtschaft gelingt“.
So weit, so plausibel, möchte man meinen. Bei näherem Hinsehen zeigen sich jedoch eine Reihe von Lücken und Ungereimtheiten. So mag es erstens vielleicht abgedroschen sein, aber Afrika ist tatsächlich seit dem Kolonialismus nicht aus der Rolle als Rohstofflieferant herausgekommen. Unter anderem aufgrund der Zolleskalation auch der europäischen Länder, die für verarbeitete Produkte meist deutlich höhere Zölle verlangen, und aufgrund der Investitionsabkommen, die es Regierungen verbieten, auf wertschöpfender Produktion im Inland zu bestehen.
Laut UN machen für 45 der 54 Länder Afrikas Rohstoffe über 60 Prozent der Exporte aus. Opfer ist Afrika durchaus ebenfalls, etwa im Hinblick auf die hierzulande im Überfluss gehorteten Covid-19-Impfstoffe, deren Patente durch das Beharren der EU und vor allem Deutschlands die ersten Jahre nicht freigegeben wurden, zugunsten der Gewinne der öffentlich geförderten Pharmaunternehmen.
Der Schuldenstand hat mittlerweile den Höchstwert erreicht
Oder im Hinblick auf die Finanztransfers vom Süden in den Norden: Laut dem European Network on Debt and Development fließen durch Schuldendienst, Gewinnrückführung multinationaler Unternehmen, Steuerflucht und irreguläre Überweisungen (mutmaßlich Gelder aus Kriminalität und Korruption) etwa 1000 Milliarden US-Dollar jährlich von den armen in die reichen Länder – netto, also nach Abzug von ausländischen Direktinvestitionen, offizieller Entwicklungshilfe und Rücküberweisungen von Migrant:innen. Der Schuldenstand der Länder des Südens hat mittlerweile die Höchstwerte der Schuldenkrise der 1980er Jahre erreicht, für die Länder mit mittleren und niedrigem Einkommen beträgt er im Schnitt 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Zum Vergleich: Die BRD hat 1953, zu Beginn des Wirtschaftswunders, einen umfangreichen Schuldenerlass bekommen, weil ihr Schuldenstand 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betrug. Einige Schuldner sind halt gleicher als andere. Was zweitens die eingeforderte partnerschaftliche Agrarstrategie angeht, so gab und gibt es sie bereits, etwa in Form der German Food Partnership und des Africa Agriculture and Trade Investment Fund.
Die Verlierer des globalen Kapitalismus
Hier stehen jedoch – genau wie bei den ach so skrupellosen Chinesen – die Interessen eigener Großunternehmen wie Bayer Crop Science und BASF im Vordergrund. Auch in neueren Initiativen wird immer wieder die Erzählung bedient, dass man durchaus im Süden Geschäfte machen und gleichzeitig die Armut bekämpfen könnte, über Public-private-Partnerships und Win-win-Situationen.
Genau das wurde im ersten „Entwicklungsprogramm“ 1949 auch behauptet, mit dem Ziel, die unabhängig werdenden Länder des Südens vom Überlaufen ins kommunistische Lager abzuhalten und gleichzeitig den Zugriff auf die Rohstoffe und Märkte des Südens zu sichern. Damals wie heute ist es eine höchst fragwürdige und interessengeleitete Annahme: Die Armen müssen nur in die moderne Weltwirtschaft integriert werden, dann wird alles gut – als ob sie das nicht schon längst wären, aber halt meist als Verlierer im globalen Kapitalismus. Das Entwicklungsversprechen soll sie bei Laune halten.
Daran ändert auch – drittens – ein grüner Anstrich wenig, wie er in den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen anklingt und ebenso in dem unter der Ampelregierung hierzulande forcierten Run auf die Gewinnung erneuerbarer Energien im Globalen Süden. Wenn grüner Wasserstoff in Megaprojekten des Südens nach Europa importiert wird, dient dies primär nicht der Armutsbekämpfung im Süden, sondern der Aufrechterhaltung einer imperialen Lebensweise der globalen Mittelklasse, die überwiegend immer noch im Norden angesiedelt ist.
Unseren Energieverbrauch um 90 Prozent senken
Einer Lebensweise, die auf billige Rohstoffe und billige Arbeit anderswo angewiesen und nicht verallgemeinerbar ist, also nur einer privilegierten Minderheit vorbehalten bleiben muss.
Schon 1996 hat das (des Linksradikalismus unverdächtige) Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie darauf hingewiesen, dass, wenn wir in Deutschland nur unseren gerechten Anteil an den Ressourcen des Planeten nutzen wollen, unser Energieverbrauch um 80 bis 90 Prozent sinken muss. Bundeskanzler Scholz behauptet selbst 26 Jahre später unverdrossen, die Klimaziele seien nicht durch Verzicht zu erreichen. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Zu guter Letzt ist die „Überwindung des Postkolonialismus“ eher ein von der AfD eingebrachter Slogan, der gegen die postkolonialen Studien gerichtet ist, weil sie Eurozentrismus und so weiter kritisieren. Zwar trifft es zu, dass manche sich antiimperialistisch gebärdenden Diktatoren über den Kolonialismus des Westens schimpfen, um von ihrer eigenen Verantwortung für Armut und Gewalt abzulenken.
Doch die postkoloniale Theorie selbst hat immer auch auf die Beteiligung der Eliten des Südens am Kolonialismus und Neokolonialismus hingewiesen. Letzterer, als Begriff geprägt durch Kwame Nkrumah, der feststellen musste, dass die formale Unabhängigkeit Ghanas keineswegs den vorherrschenden Einfluss westlicher Akteure beendete, wäre ein lohnenderes Ziel für einen politischen Appell: Neokolonialismus und imperiale Lebensweise überwinden!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee