Umgang mit Obachlosigkeit: Der akzeptierte Missstand
Obdachlose brauchen keine Almosen. Sie bräuchten eine warme Wohnung, ein Bett, einen gefüllten Kühlschrank und jemanden, der sich um sie kümmert.
E s ist kalt geworden im Norden, und Menschen, die auf der Straße übernachten, können erfrieren. In Hamburg sind in diesem Winter schon 12 Menschen gestorben. Obdachlose Menschen scheinen in einer anderen Welt als der unseren zu leben, nach anderen Regeln und unter Umständen, die für uns unvorstellbar sind, aber sie leben hier, bei uns, in unserer Stadt. Sie haben kein Zuhause, kein Bett, kein Badezimmer, keinen Kleiderschrank, keine Bilder an der Wand, keine Bücher und keinen Fernseher, sie haben keine Zuflucht und keine Sicherheit.
Ein solches Leben ist für mich unvorstellbar. Und immer wenn ich mit jemandem darüber zu reden versuche, betrete ich vermintes Gelände. Viele Dinge sind nur schlecht anzusprechen, obwohl sie nun mal so sind, wie sie sind. Aber in diesem Zusammenhang sind die meisten Leute sehr dünnhäutig, vielleicht, weil sie mit diesem Thema, mit diesem Sachverhalt einfach nicht klarkommen, und so ähnlich geht es mir auch.
Ich komme damit einfach nicht klar, ich bin darüber sehr ratlos und auch wütend. Warum es anscheinend so sein muss, warum eine Gesellschaft, die ganze Firmen über die Coronazeit retten kann, Milliarden zur Rettung von Unternehmen auszahlen kann, warum diese anscheinend so solvente, leistungsfähige, krisensichere Gesellschaft nicht in der Lage ist, sich um wirklich bedürftige Menschen zu kümmern?
Ich war in Planten un Blomen spazieren, es war wirklich kalt, da lag ein Mensch auf einer Bank, in viele Schichten Stoff eingewickelt wie eine Puppe und stank so stark, dass mir schlecht wurde. Es war mitten am Tag, der Mensch war wach und bei Sinnen und er wollte keine Hilfe, sondern nur seine Ruhe. Seine Ruhe in dieser Kälte in diesem schrecklichen, würdelosen Zustand, in dem er sich befand. Was nützen da fünf Euro, was nützt ein Kaffee oder ein Brötchen, das ist nett gemeint, aber was nützt es ihm denn?
ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Sicherheitszone“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
Ich sehe hier bei der Überdachung hinter dem Lessingtunnel immer ein verlassenes Schlaflager eines obdachlosen Menschen. Und jetzt, wo es so kalt ist, legen manche Menschen Sachen dort hin, Spenden, Geld, etwas zu essen, ein Fell, Dinge, die dem obdachlosen Menschen vielleicht helfen könnten, der Wille ist da, das Mitleid. Ich sehe, wie sich meine Facebookfreunde um die obdachlosen Menschen sorgen, sie teilen die Nummer vom Kältebus (0151 / 65 68 33 68) oder Tipps, wie man mit Menschen umgehen soll, wenn sie einem gefährdet vorkommen. Sie fühlen sich schlecht, weil es anderen Menschen schlecht geht, weil sie im Kalten wohnen, während sie selber es warm haben.
Die Mitarbeiter des Kältebusses bitten allerdings darum, die obdachlosen Menschen erst zu fragen, ob und welche Hilfe sie überhaupt wollen. Man kann Menschen nicht zwingen. Diese ganzen Hilfen, Spendenaktionen, privaten Initiativen, die gut und vor allem leider sehr notwendig sind, auch die kleinen Dinge, das Brötchen, der Kaffee, die netten Worte, sie können das Problem aber nicht wirklich lösen, sondern nur Löcher flicken, Stege bauen, wo ein Abgrund klafft.
Ist das Ausdruck unserer gesellschaftlichen Freiheit, dass Menschen ohne Unterkunft erfrieren können? Ein Mensch, wie ich ihn im Planten un Blomen auf der Bank liegen sah, in so schlechter körperlicher Verfassung, kann dafür tatsächlich der Mensch selbst die ganze Verantwortung tragen und sind wir als Gesellschaft nur der Mildtätigkeit verpflichtet? So ein Mensch bräuchte eine warme Wohnung, ein Bett, einen gefüllten Kühlschrank, er bräuchte auch jemanden, der sich um ihn kümmert und keinen Euro.
Die Sache ist die, wir haben uns damit arrangiert, wir arbeiten an unseren Arbeitsplätzen innerhalb dieses Systems, das Armut und Reichtum hervorbringt, und wir suchen selbst, in diesem System, ein Stück weiter nach oben zu gelangen, damit wir uns möglichst weit von der Gefahr der Armut entfernen. Aber es ist kein gutes System, in dem Freiheit auch die Grausamkeit der Gewöhnung bedeutet, solche Missstände zu akzeptieren, ohne dass es eine gesellschaftliche Verpflichtung gibt, ihnen grundlegend und umfassend abzuhelfen.
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