Umgang mit FDLR im Kongo: Taktische Spiele spalten Afrika
Ab Januar drohen Militärschläge gegen die Hutu-Miliz FDLR. Oder auch nicht? In Ostkongos Wäldern entsteht die Front für einen neuen Regionalkonflikt.
KAMPALA taz | Es war kein Sonntagvormittag wie jeder andere. Statt wie üblich zu beten, versammelten sich die Rebellenführer am 28. Dezember um 10 Uhr zu einer feierlichen Zeremonie. Delegierte der UN-Mission im Kongo (Monusco), kongolesische Regierungsvertreter und Beobachter waren per Hubschrauber angereist, in das Dschungeldorf Buleusa in Ostkongos Provinz Nord-Kivu. Der Anlass: Die ruandische Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) übergibt weitere 155 Kämpfer an die Monusco.
83 Kämpfer in T-Shirts legten in Buleusa 34 alte rostige Kalaschnikow-Sturmgewehre und einen Raketenwerfer nieder und überreichten 162 Schuss Munition. Weitere 72 FDLR-Kämpfer bestiegen gleichzeitig im Dorf Burhinyi in der Süd-Kivu-Provinz einen UN-Lastwagen. Es war die dritte solche Zeremonie seit Mai, als die FDLR erstmals Kämpfer an die UNO übergab.
Die FDLR gilt als eine der Hauptursachen für die fortlaufenden Konflikte im Ostkongo selbst sowie zwischen dem Kongo und den Nachbarländern, vor allem Ruanda. Die ruandische Hutu-Miliz besteht in ihrer Führungsriege aus Offizieren der ehemaligen ruandischen Armee (FAR), die 1994 am Völkermord mitgewirkt und sich danach in die Wälder des Kongos abgesetzt hatte. Von dort aus führt die FDLR bis heute Krieg gegen das Regime in Ruanda und begeht grausame Übergriffe gegen die kongolesische Bevölkerung.
Aber was jetzt schon zum dritten Mal in den Wäldern Ostkongos als „Übergabe“ von FDLR-Kämpfern stattgefunden hat, mit insgesamt etwas über 300 Milizionären, ist ein Witz. Die FDLR besteht aus mindestens 1.500 Kriegern und hat ein gut ausgestattetes Waffenarsenal. Das heißt, sie hat in sechs Monaten gerade einmal 20 Prozent ihrer Krieger übergeben. Fast alle sind einfache Fußsoldaten, kein hochrangiger Offizier ist dabei.
Alle am Sonntag übergebenen Kämpfer sollen in das große UN-Demobilisierungscamp in Kisangani geflogen werden, das derzeit ausgebaut wird. Dort leben bereits über 150 FDLR-Soldaten sowie über 500 Frauen und Kinder. FDLR-Sprecher Laforge beschwert sich gegenüber der taz über die unhygienischen Bedingungen im Lager.
Man könnte meinen, jeder einzelne übergebene Kämpfer, jede einzelne niedergelegte Waffe ist ein kleiner Schritt in Richtung Frieden im Ostkongo. Im März 2013 hatte der UN-Sicherheitsrat beschlossen, mit Waffengewalt die über 50 Milizen im Kongo zu eliminieren. Die 20.000 im Kongo stationierten UN-Blauhelmsoldaten wurden um eine 3.000 Mann starke Interventionsbrigade (FIB) erweitert, mit Kampfhubschraubern, Scharfschützen und einem robusten Kampfmandat. Gemeinsam mit Kongos Armee besiegten sie im November 2013 die Tutsi-Rebellengruppe M23 (Bewegung des 23.März). Die ganze Welt feierte diesen Sieg.
Entwaffnung als Theaterspiel
Als nächstes sollte die FDLR ins Visier genommen werden, so der Plan. Doch dann kam alles anders. Die UN-Kampftruppe FIB besteht aus südafrikanischen, tansanischen und malawischen Spezialeinheiten. Südafrika und Tansania liegen mit Ruandas Regierung im Clinch und sind der FDLR gegenüber freundlich eingestellt. Tansania bezeichnet die Milizionäre sogar als „Freiheitskämpfer“. Auch Kongos Armee kollaborierte in der Vergangenheit immer wieder mit der FDLR gegen den gemeinsamen Feind Ruanda. Keiner dieser Akteure will die Waffen gegen die FDLR richten, so scheint es.
Um sich vor Militärschlägen zu schützen, verkündete die FDLR schon Ende 2013, sie werde ihren Krieg beenden, wenn Ruandas Regierung sie als Verhandlungspartner anerkenne. Auf einem Regionalgipfel im Juli 2014 wurde schließlich der FDLR-Führung sechs Monate Zeit eingeräumt, freiwillig die Waffen niederzulegen. Dieses Ultimatum läuft am 2. Januar ab. Deswegen hat die Miliz jetzt wieder ein paar Kämpfer aufgegeben.
„Dieses Ultimatum bedeutet für uns nichts“, sagt FDLR-Sprecher Laforge Fils Bazeye der taz. Die FDLR habe schon Ende 2013 offiziell alle Waffen niedergelegt. Jetzt sei es an der Zeit, mit Ruandas Regierung „in einen politischen Dialog zu treten, um die friedliche Heimkehr zu garantieren“. Laforge warnt vor Militärschlägen: „Die UNO kann nicht einfach gegen jemanden vorgehen, der schon lange die Waffen gestreckt hat.“ So werden die Übergabezeremonien zum politischen Manöver.
Rund 300 Kämpfer plus deren Frauen und Kindern sind mittlerweile in den UN-Lagern untergebracht. Doch sie stehen nach wie vor unter FDLR-Befehlsgewalt, sagen UN-Mitarbeiter, die die Kämpfer interviewten. Ein UN-Demobilisierungsprogramm sieht eigentlich die freiwillige Rückführung nach Ruanda vor. Die Kämpfer seien nicht für dieses Programm bestimmt, erklärt FDLR-Chef Byiringiro. Es scheint, als habe er die Männer auf eine Mission geschickt: ohne Waffen, aber dafür als politische Trumpfkarte. Die Inszenierung der freiwilligen Entwaffnung scheint ein Theaterspiel zu sein, um die internationale Gemeinschaft auf ihre Seite zu ziehen – und damit die Regierung in Ruanda unter Druck zu setzen. Denn diese weigert sich strikt, mit der FDLR zu verhandeln.
„Nur Gott weiß, was am 2. Januar geschehen wird“
Derweil geht auf regionaler Ebene das Tauziehen zwischen Befürwortern und Ablehnern eines Militärschlags gegen die FDLR weiter. „Die Uhr tickt“, hat der deutsche Monusco-Chef Martin Kobler die FDLR immer wieder gewarnt. Doch ob und wie die Drohungen tatsächlich umgesetzt werden, darüber zerbricht man sich auch innerhalb der Monusco noch den Kopf. Die FIB-Truppensteller Südafrika und Tansania sind zögerlich. Südafrikas Präsident Jakob Zuma besuchte vergangene Woche seinen tansanischen Amtskollegen Jakaya Kikwete und traf sich anschließend mit Ugandas Präsident Yoweri Museveni. Gleichzeitig reiste Ruandas Präsident Paul Kagame nach Angola und sprach mit Präsident José Eduardo dos Santos, der derzeit den Vorsitz der Regionalorganisation ICGLR (Internationale Konferenz der Großen Seen) innehat. Bei all diesen Treffen ging es unter anderem um die FDLR.
Das Ultimatum am 2. Januar wird, das zeichnet sich ab, verstreichen, ohne dass ein Schuss fällt. Dies bestätigte auch Angolas Außenminister Georges Chikoti: Es werde erst am 15. Januar einen neuen Regionalgipfel geben, sagte er in einem Interview nach dem Besuch des ruandischen Präsidenten in Angola. Erst dann könne man „eventuell“ tatsächlich losschlagen.
Ruanda, Uganda und Kenia sind ungeduldiger. Im Rahmen der „Ostafrikanischen Sicherheitsstrategie“ haben sie eine Eingreiftruppe aufgesetzt, die innerhalb weniger Tage stationiert werden kann – zur kollektiven Selbstverteidigung oder zur Beilegung eines Konflikts in der Region unter Mandat der Afrikanischen Union.
Es wird gemunkelt, dass diese Eingreiftruppe in den ostkongolesische Dschungel geschickt werden könnte, sollte die Monusco untätig bleiben. Zuma soll Ugandas Präsident Museveni jetzt gebeten haben, mit einer solchen Aktion zu warten. „Nur Gott weiß, was am 2. Januar geschehen wird“, sagte FDLR-Chef Byiringiro am Sonntag in Buleusa. „Und die UNO.“
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