Umfrage unter EU-Bürgern: Knappe Mehrheit gegen Brexit
54 Prozent der Befragten wünschen sich einen Verbleib Großbritanniens in der EU. Die Brexit-Kampagne verliert unterdessen eine prominente Unterstützerin.
Auch Gegner des Brexits blieben bei einem Austritt des Vereinigten Königreichs gelassen. Auswirkungen für ihr eigenes Land befürchten nur wenige: Über zwei Drittel der befragten EU-Bürger erwarten keine Konsequenzen. „Auch wenn vielen Bürgern ihre Alltagssorgen näher sind als die Wahlergebnisse aus London – ein Austritt Großbritanniens wäre ein Verlustgeschäft für alle Europäer“, sagte Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung.
Konsequenzen für die EU als Ganzes aber befürchten deutlich mehr EU-Bürger. 45 Prozent der Befragten außerhalb Großbritanniens erwarten, dass sich die Lage der Union durch einen Austritt Großbritanniens verschlechtern würde. 45 Prozent gehen von einer wirtschaftlichen Schwächung aus. 26 Prozent sehen einen Machtverlust der EU ohne die Briten.
Dabei lohnt sich ein Blick in die einzelnen Länder. 51 Prozent der Polen und 48 Prozent der Deutschen machen sich Sorgen um die Konsequenzen eines möglichen Brexits für die EU. Franzosen, Spanier und Italiener sind da deutlich gelassener. Eine Mehrheit in diesen Ländern sieht keine negativen Auswirkungen.
Laut Studie haben Alter und Wissen der Befragten wenig Einfluss auf die Meinung zum möglichen Brexit. Entscheidend sei die Grundeinstellung zur EU. Mit 72 Prozent wünscht sich eine große Mehrheit der EU-Fans den Verbleib der Briten. Bei den Europaskeptikern sind es nur 30 Prozent. In dieser Gruppe aber gibt es nach Ansicht der Bertelsmann-Forscher eine Überraschung. Nur 38 Prozent der EU-Kritiker wünschen sich den Austritt des Königreichs. Mit 32 Prozent wissen fast ebensoviele der Skeptiker nicht, was sie sich wünschen sollen.
„Die Grenzen des Anstands überschritten“
Unterdessen hat eine prominente Unterstützerin aus Protest gegen die fremdenfeindliche Rhetorik der britischen Brexit-Kampagne den Rücken gekehrt. Wenige Tage vor dem Referendum warf die frühere Vorsitzende der Konservativen Partei von Premierminister David Cameron, Sayeeda Warsi, den Befürwortern eines EU-Austritts vor, die Grenzen des Anstands überschritten zu haben. „Wollen wir wirklich Lügen erzählen und Hass und Fremdenfeindlichkeit verbreiten, nur um eine Kampagne zu gewinnen?“, fragte die pakistanischstämmige Politikerin in einem am Sonntag verbreiteten Interview mit der Times.
Sie könne die Kampagne nicht länger unterstützen, fügte Warsi hinzu. Den letzten Ausschlag für die Entscheidung habe ein Plakat gegeben, auf dem Flüchtlinge und der Slogan „Breaking Point“ (Bruchstelle) zu sehen waren. „Dieses Plakat war für mich persönlich die Bruchstelle“, sagte Warsi. Unterstützer der Brexit-Kampagne zogen nach Warsis Ankündigung umgehend über den Kurznachrichtendienst Twitter in Zweifel, ob die Politikerin die Kampagne zuvor tatsächlich mit voller Überzeugung unterstützt habe.
Am Sonntag hatten die Politiker in Großbritannien ihre Kampagnen zu dem Referendum über den EU-Verbleib wieder aufgenommen. Sie waren nach dem tödlichen Attentat auf die Labour-Abgeordnete Jo Cox in der vergangenen Woche vorübergehend ausgesetzt worden.
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