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Ukrainische Theatergruppe aus LübeckDer Einkaufswagen als Rednerpult

Das Lübecker Ukrainische Freie Theater bringt Stücke auf Ukrainisch für ein deutsches Publikum auf die Bühne – etwa „Fluchtgeschichten der Tiere“.

Ankommen im Supermarkt in „Die Geschichte der Fluchttiere“, gespielt vom LUFT-Ensemble Foto: Stanislav Mardarovskyi

Der Pavian will Krieg. Es werde die absurde These verbreitet, Menschen und Affen seien verwandt – Unsinn, schreit der Primatenherrscher ins Publikum. Hinter ihm steht ein Spalier seiner Gefolgsleute, bedrohlich und stumm. Der Affe, gespielt von Andrii Pielin, spricht Russisch. Nein, das sei natürlich kein Zufall, sagt Maksym Ievlev, Regisseur und Leiter des Lübecker Ukrainischen Freien Theaters (LUFT), nach der Aufführung.

Die Gruppe besteht aus Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet sind. Begonnen hat es als Spaßprojekt. Aber das Ziel sind professionelle Aufführungen. Zurzeit zeigt LUFT an wechselnden Orten „Die Geschichte der Fluchttiere“ nach den „Animal Tales“ des US-amerikanischen Autors Don Nigro.

„Für uns ist das Stück perfekt“, sagt Ievlev bei einem Treffen im Probenraum der Gruppe in einem Gebäude nahe dem Lübecker Hauptbahnhof. „Es sind kurze Szenen mit meist nur wenigen Beteiligten, sodass wir in kleineren und größeren Gruppen proben konnten.“ Und es passt auch inhaltlich: Themen wie Traumata und Flucht, das Verlassen der vertrauten Welt und das Ankommen in einem anderen Leben ziehen sich als roter Faden durch mehrere Szenen. Sei es bei den Truthähnen, die sich fragen, ob es mehr gibt als Maiskörner. Bei den Lemmingen, die ins Verderben rennen. Oder bei den Kühen, die vor einem unheimlichen Haus warten, ohne zu wissen, worauf. In Ievlevs Inszenierung hängt das rote A des Arbeitsamts auf der Bühne, und im Lauf der Szene beginnen die Kühe, mit mahlenden Kiefern ihre Papiere zu kauen.

„Die schmecken echt eklig“, verrät Schauspielerin Svitlana Fly, die mit ihrer Bühnenkollegin Angela Kapinos an dem Gespräch teilnimmt. Beide haben andere Berufe, das Theater ist nur ein Hobby. Anfangs seien die Proben eher eine Art Therapie gewesen, erinnert sich Kapinos, eine Ablenkung vom Alltag in Deutschland und den Gedanken an den Krieg in ihrer Heimat. Diese Aufgabe nennt auch die Homepage der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft Lübeck, die das Projekt ins Leben rief: „Das Theatertreiben hilft, dem Teufelskreis der Gedanken zu enfliehen, Ängste zu überwinden und Beziehungen zu anderen aufzubauen.“

LUFT – Lübecker Ukrainisches Freies Theater

Nächste Vorstellungen:

„Zhadans Land“. 9. November, Werkhof Lübeck.

„Die Geschichte der Fluchttiere“, 7. Februar 2026, ukrainisches Theater Theatromania 2.0, Hannover; vorauss. 21. Februar 2026 in Hamburg (Ort wird noch bekannt gegeben)

Den Begriff „Laientheater“ hören sie dennoch nicht gern. Maksym Ievlev ist Bühnenprofi, in seiner Heimatstadt Charkiv führte er ein eigenes Ensemble. Im Prinzip gebe es dieses Theater noch, sagt er und hebt die Schultern: Die Beteiligten sind in alle Welt verstreut, Proben und Aufführungen finden nicht mehr statt. Ievlev kam 2024 nach Lübeck und suchte nach einer Möglichkeit, weiter im und mit Theater zu arbeiten.

Spaß und Ernsthaftigkeit

Für ihn bedeutet die Bühne „die Kunst, über die man Menschen am besten zusammenführt und gleichzeitig zum Nachdenken bringt“. Theater solle und dürfe Spaß machen – aber eben nicht nur. Und: Theater soll mit Ernsthaftigkeit betrieben werden. „Oh ja“, sagt Svitlana Fly und grinst. „Max ist Perfektionist.“

Die Proben sind eine Ablenkung vom Alltag in Deutschland und den Gedanken an den Krieg in ihrer Heimat

Das zeigt sich in der „Geschichte der Fluchttiere“. Die Inszenierung arbeitet mit wenigen, aber klug eingesetzten Requisiten. Mit dabei sind zwei Supermarkt-Einkaufswagen, die je nach Szene als Mausefalle, Rednerpult, Arbeitstisch oder Papageienkäfig dienen. Sie sind nicht nur Symbol für ein Leben ohne Wurzeln, sondern auch sehr praktisch, sagt der Regisseur: „Wenn wir irgendwo anders spielen, können wir solche Wagen einfach ausleihen.“

Das LUFT ist zurzeit ein Theater ohne feste Bühne. Geprobt wird in einem Haus, in dem sich verschiedene soziale Initiativen treffen, die Aufführungen finden da statt, wo sich ein Raum in eine Bühne verwandeln lässt. Die ersten Auftritte gab es aus Anlass von Festen der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft. Den Start machte im Dezember 2023 eine Inszenierung von Wintergedichten des ukrainischen Schriftstellers Serhij Zhadan, der 2022 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt. Im August 2025 folgte ein Stück auf Basis von Gedichten unter dem Titel „Zhadans Land“. Mit der „Geschichte der Fluchttiere“ tritt das Theater erstmals außerhalb von Lübeck auf, unter anderem im Nordkolleg in Rendsburg. Aufführungen in Hannover und Hamburg sind geplant.

Eine vertraute Sprache

Gespielt wird auf Ukrainisch. Deutschsprachige Zu­schaue­r:in­nen können parallel die Übersetzungen mitlesen, die an eine Wand projiziert werden. Das sei ein bisschen schwierig für die Zuschauenden, gibt Ievlev zu, ließe sich zurzeit aber nicht anders machen einfach deshalb, weil nicht alle Beteiligten bisher genug Deutsch sprechen. Zudem herrscht Wechsel in der Gruppe: Einzelne Mitglieder kehren in die Ukraine zurück, neue kommen hinzu. Die vertraute Sprache hilft ihnen, schnell in das Projekt einzusteigen. Wichtig ist Maksym Ievlev, dass das Theater helfe, Geflüchtete in einer, buchstäblich wie im übertragenen Sinn, ungewohnten Rolle zu zeigen: „Wir wollen nicht bemitleidet werden. Aber wir wollen zeigen, dass wir hier sind.“

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