Ukraine nach der Wahl: „Keine Gespräche mit Terroristen“
Wahlsieger Poroschenko verweigert Gespräche mit gewaltbereiten Separatisten. Ukrainische Truppen versuchen, den Flughafen Donezk zurückzuerobern.
MOSKAU/KIEW/DONEZK rtr/afp/dpa | Die Präsidentenwahl in der Ukraine hat nach Angaben der OSZE-Beobachter trotz der Gewalt im Osten des Landes weitgehend die internationalen Standards erfüllt.
„Die Wahlleiter haben sich tatkräftig bemüht, die Abstimmung im ganzen Land möglich zu machen – trotz anhaltender Unruhen und Gewalt im Osten“, heißt es in dem am Montag veröffentlichten vorläufigen Bericht der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die Wahlbeobachter kritisierten die erzwungene Schließung von Wahlkommissionen durch bewaffnete Gruppen, Entführungen, Todesdrohungen sowie die Beschlagnahme von Abstimmungsmaterialien. All dies habe darauf gezielt, den Bürgern ihr Wahlrecht vorzuenthalten.
Die außergewöhnliche Qualität der Abstimmung verleihe dem neuen Präsidenten Petro Poroschenko die Legitimation, sofort den Dialog mit allen Bürgern im Osten aufzunehmen und deren Vertrauen und Zuversicht wiederherzustellen, erklärten die Beobachter.
Poroschenko will rasch in den Osten reisen, um das Land auszusöhnen. Prorussische Separatisten hatten dort in den Verwaltungsbezirken Donezk und Luhansk nach umstrittenen Referenden eigenständige Volksrepubliken ausgerufen. In der Bergarbeiterstadt Donezk war deshalb am Sonntag kein Wahllokal geöffnet.
Poroschenko will Regierungschef Jazenjuk im Amt halten
Petro Poroschenko will den bisherigen Regierungschef Arseni Jazenjuk im Amt behalten. Die gesamte Regierung solle ihre Arbeit fortsetzen, sagte Poroschenko am Montag vor Journalisten. Er hatte die Präsidentschaftswahl am Sonntag ersten Ergebnissen zufolge mit rund 54 Prozent der Stimmen gewonnen und wurde damit gleich im ersten Wahlgang ins Amt des Staatschefs gewählt.
Poroschenko kündigte zugleich an, dass er mit den prorussischen Kämpfern im Osten des Landes nicht verhandeln wolle. „Es gibt keine Gespräche mit Terroristen.“ Er werde nicht zulassen, dass die Ostukraine „zu einem Somalia wird“, fügte der Wahlsieger mit Blick auf das nordostafrikanische Bürgerkriegsland hinzu.
Ukrainische Truppen starten Großangriff auf Flughafen Donezk
Ukrainische Truppen haben am Montag einen großangelegten Angriff begonnen, um den internationalen Flughafen im ostukrainischen Donezk von prorussischen Separatisten zurückzuerobern. Nach Angaben der Streitkräfte flogen zunächst Kampfflugzeuge und ein Hubschrauber Angriffe auf Separatistenstellungen. Danach seien Fallschirmjäger auf dem Flughafen gelandet. Schon vorher hatten Zeugen von anhaltendem Gewehrfeuer berichtet. Von dem Gelände sei Rauch aufgestiegen, hieß es weiter.
Prorussische Separatisten hatten die Schließung des Flughafens der Industriemetropole erzwungen. Dutzende Vertreter der sogenannten Volksrepublik Donezk seien auf dem Flughafengelände erschienen und hätten den Abzug ukrainischer Soldaten verlangt, sagte ein Flughafensprecher. Aus Sicherheitsgründen sei der Betrieb eingestellt worden. Nach Ansicht der Separatisten gehören die Regionen Donezk und Luhansk nicht mehr zur Ukraine. Am Sonntag verhinderten sie in weiten Teilen des Ostens die Präsidentenwahl.
Poroschenko hatte den prorussischen Separatisten im Osten des Landes zuvor den Kampf angesagt. Er kündigte noch am Sonntagabend an, als erstes in den Osten des Landes zu reisen. Vor dem Hintergrund hat die Besetzung des Flughafens von Donezk besondere Brisanz.
Russland bereit zum Dialog
Russland hat sich nach dem Sieg von Poroschenko bei der Präsidentenwahl in der Ukraine zu Krisen-Gesprächen mit dem Politiker bereiterklärt. „Wir sind bereit zum Dialog mit Poroschenko“, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Montag der Agentur Interfax zufolge. Russland respektiere den Willen des ukrainischen Volkes, betonte der Chefdiplomat. Russland spricht aber ausdrücklich weiterhin nicht von einer Anerkennung des Ergebnisses der Wahl vom Sonntag.
Auch Poroschenko bot einen Dialog an. „Wir haben etwas vorzuschlagen“, sagte der Milliardär in Kiew. So solle etwa die russische Sprache einen offiziellen Status in den russisch geprägten Gebieten der Ostukraine erhalten. Eine Stabilisierung der Lage in der Unruheregion sei „ohne russische Vertreter, ohne ein Treffen mit der russischen Führung unmöglich“, fügte Poroschenko hinzu. Allerdings lehnte er erneut Gespräche mit militanten Separatisten ab. „Wir verhandeln nicht mit Terroristen.“
Lawrow forderte Poroschenko auf, die „Anti-Terror-Operation“ gegen prorussische Kräfte im Osten zu stoppen und zu den in Genf gefassten internationalen Beschlüssen zurückzukehren. Dazu gehört die Entwaffnung aller nicht staatlichen Truppen sowie die Räumung des Unabhängigkeitsplatzes – des Maidan – in Kiew. Poroschenko sprach sich hingegen für eine Fortsetzung der „Anti-Terror-Operation“ aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland