Überwiegend männliche Chefredaktionen: Wo sind die Frauen?
In den vergangenen Wochen haben viele Verlage neue Chefredakteure engagiert. Fast alle sind mittelalte, weiße Männer.
Er sei der „neue starke Mann an der Spitze des Nachrichtenmagazins“, schrieben MedienjournalistInnen in der vorletzten Woche über Steffen Klusmann. Klusmann wird neuer Chefredakteur des Spiegel. Recht überraschend erschien diese Meldung am vorvergangenen Mittwoch. Da wussten selbst die Redakteurinnen und Redakteure von Spiegel und Spiegel Online noch nicht Bescheid.
Klusmann wird den Spiegel anders als sein Vorgänger Klaus Brinkbäumer nicht allein führen. Die bisherige Spiegel-Online-Chefin Barbara Hans und der Spiegel-Reporter Ulrich Fichtner werden ebenfalls ChefredakteurInnen. Die neue Chefredaktion werde sich als „ein Team“ formieren, heißt es aus dem Verlag. Klusmann werde „Vorsitzender des Teams“ sein.
Fast zeitgleich verschickte auch die Funke Mediengruppe eine Pressemitteilung. Neuer Chefredakteur der zu Funke gehörenden Thüringer Allgemeinen wird Jan Hollitzer.
Am Tag zuvor hatte der Tagesspiegel bekannt gegeben: Neuer Chefredakteur wird Mathias Müller von Blumencron, der zuletzt Digitalchef der FAZ war. Er wird die Holtzbrinck-Zeitung künftig gemeinsam mit Lorenz Maroldt leiten. Der bisherige Ko-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff wechselt in den Kreis der Herausgeber, wo er mit Giovanni di Lorenzo und Sebastian Turner auf zwei männliche Kollegen trifft.
Männer sind auf dieser Welt einfach unersetzlich
Und damit nicht genug der neuen „starken Männer“ in den Medienchefetagen. Allein in den vergangenen zwei Monaten wurde bekannt: Die Mediengruppe Oberfranken, in der unter anderem der Fränkische Tag und die Bayerische Rundschau erscheinen, befördert Thomas Mydlach und Boris Hächler zu Chefredakteuren. Die Mediengruppe Frankfurt, die die Frankfurter Neue Presse und die Frankfurter Rundschau herausgibt, wird künftig von einer Doppelspitze aus Matthias Thieme und Max Rempel geführt. Der Südkurier macht Andreas Ambrosius und Jörg-Peter Rau zu Chefredakteuren und wird damit künftig von vier Männern geleitet. Die Zeitungsgruppe Ostfriesland bekommt ab November Joachim Braun als neuen Chefredakteur.
Dagegen verdampfen die Beförderungen von Barbara Hans beim Spiegel und von Laura Himmelreich bei Vice, wo sie zukünftig die deutschen, österreichischen und schweizerischen Ableger verantwortet, wie der Tropfen im ansonsten leeren Wasserkocher. Der Tagesspiegel schob zwar ein paar Tage später noch hinterher, dass Anna Sauerbrey (neben Christian Tretbar) auch Mitglied der Chefredaktion werde, aber eben nicht Chefredakteurin – und auch nicht Stellvertreterin, sondern nur „Mitglieder der …“. Ein wichtiger Unterschied.
Wiebke Ankersen, Allbright-Stiftung
Die Spitzenpositionen in deutschen Zeitungsverlagen werden halt noch immer überwiegend mit Männern besetzt. Zwar tragen viele Medienhäuser die Schlagworte Frauenförderung und Diversity vor sich her, verfolgt man aber, wer wo Chef ist und wird, so sind das immer noch vor allem Männer. Oder sind die Personalmeldungen der vergangenen zwei Monate nur eine zufällige Häufung von Männernamen und gar nicht repräsentativ für die Medienszene?
„Ich fürchte nicht“, sagt Sabine Stamer von ProQuote Medien. Ihr Verein zählt in einem Kamel- und einem Straußenrennen, wie hoch der Frauenmachtanteil in deutschen Redaktionen ist. Ausgewertet werden die Impressen der Medien. Je höher die Position, desto stärker fällt sie ins Gewicht. Eine Ressortleiterin zählt also mehr als eine Stellvertretende Ressortleiterin. Die Onlineredaktionen sind die Strauße. Da liegt ganz hinten bild.de (15,1 Prozent). Derzeit in Führung: stern.de mit 52,4 Prozent. Die Kamele sind die Printredaktionen: Beim Focus lag bei der letzten Zählung im Juli 2018 der Frauenmachtanteil bei 9,1 Prozent. Das langsamste Kamel im Stall. Vorne liegt der Spiegel mit 37,5 Prozent.
Deutschland auf dem letzten Platz
Gerade dort, an der Hamburger Ericusspitze, lasse sich eine positive Tendenz beobachten, sagt Stamer. Vor sechs Jahren, bei der ersten Zählung, lag der Frauenmachtanteil laut ProQuote noch bei 5,9 Prozent. Sechs Jahre später sind es ebenjene 37,5 Prozent.
Und auch bei der aktuellen Neubesetzung wird mit Barbara Hans ja zum ersten Mal eine Frau Chefredakteurin des Hauses. Zumindest auf dem Papier. Schließlich sind sie, Klusmann und Fichtner alle ChefredakteurInnen, worauf der Spiegel auf Nachfrage großen Wert legt. Aber: Klusmann ist in der Chefetage der Primus inter pares.
„Ich sehe das gern, dass Barbara Hans da ist“, sagt Stamer. „Vor ein paar Jahren wäre deren Position auch noch von einem Mann besetzt worden.“ Aber noch lieber würde sie es sehen, „dass in so einer Dreierkonstellation auch mal eine Frau ganz oben steht und sie eine Stellvertreterin hat und der Dritte im Bunde ein Mann ist.“
Allerdings sind die Medienhäuser mit dieser bemerkenswerten Art der Frauenförderung in Deutschland nicht allein. Wiebke Ankersen ist Geschäftsführerin der Allbright-Stiftung, die sich für mehr Frauen und Diversität in den Führungspositionen der Wirtschaft engagiert. Sie hat ausgewertet, wie viele Frauen es an den Spitzen der jeweils 30 größten börsennotierten Firmen in Frankreich, Großbritannien, Polen, Schweden, den USA und Deutschland gibt. Ihr Fazit: Nirgendwo sind so wenig Frauen in Führungspositionen wie in Deutschland.
Divers besetzte Unternehmen sind produktiver
„Das liegt daran, dass die deutsche Wirtschaftselite, anders als die angelsächsische oder skandinavische, sehr stark an Traditionen hängt: Das haben wir schon immer so gemacht, das hat sich bewährt“, sagt Ankersen.
Generell lasse sich in allen Ländern beobachten: Wenn Unternehmen sich nicht klar zum Ziel setzen, einen bestimmten Anteil an Führungspositionen mit Frauen und divers zu besetzen, ergebe sich das nicht von allein. „Es liegt in unserer Psychologie, dass wir am liebsten mit Menschen arbeiten, die uns ähnlich sind. Weil das so schön einfach ist. Das heißt aber auch: Der weiße, mittelalte, westdeutsche Mann – also der Durchschnittsmanager in Deutschland – rekrutiert vor allem weiße, mittelalte, westdeutsche Männer.“
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Dabei ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen, dass Unternehmen produktiver sind, mehr Gewinn erwirtschaften und seltener in Krisen geraten, wenn ihre Führungsteams möglichst divers besetzt sind. Das meint nicht nur: mit Frauen, sondern auch mit Menschen mit Migrationshintergrund, mit Behinderungen, unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher sexueller Orientierung.
„Unternehmen sind immer auf der Suche nach den Besten. Wenn also wirklich nur Talent und Leistung zählen würden, dann müssten Führungsteams automatisch relativ divers sein. Denn weiße westdeutsche Männer sind ja nicht durch Geburt geeigneter als andere Menschen“, sagt Ankersen.
Das Standard-Argument
Warum haben sich in den vergangen zwei Monaten dennoch so viele Geschäftsführer und Gesellschafter von Verlagen für männliche Chefredakteure entschieden?
Die Zeitungsgruppe Ostfriesland will sich dazu nicht äußern. Auch der Südkurier verweigert eine Antwort, genauso wie die Mediengruppe Frankfurt.
Andere betonen, wie wichtig ihnen Frauenförderung sei: „In … der gesamten Mediengruppe Oberfranken … sind wir sehr daran interessiert, noch mehr Vielfalt in unsere Teams zu bringen.“ Und: „Das ist uns in den letzten Jahren zunehmend besser gelungen, obwohl es im Wettbewerb um die besten Köpfe nicht immer einfach ist“, schreibt die Mediengruppe Oberfranken auf taz-Nachfrage. Funke teilt mit: „Wir haben uns nicht gegen eine Frau, sondern für Jan Hollitzer entschieden. Hätte es eine geeignete Kandidatin mit denselben Qualitäten und einem vergleichbaren Lebenslauf gegeben, hätten wir sie selbstverständlich gerne als neue Chefredakteurin verpflichtet.“
Das Argument: Man hätte gern eine Frau engagiert, habe aber keine geeignete gefunden, hört auch Sabine Stamer von ProQuote immer wieder. „Auf die Nachfrage, wo denn genau gesucht worden sei, gibt es dann meistens keine Antwort“, sagt sie.
Außen hart und innen ganz weich
Dass Führungspositionen oft mit dem gleichen Typ Mann besetzt werden, prägt, was viele Menschen noch immer von einem Chef erwarten, sagt Wiebke Ankersen von der Allbright-Stiftung. „Bisher gilt: Der Chef muss laut sein und durchsetzungsstark.“ Das konnte man selbst nach Brinkbäumers Abberufung aus der Spiegel-Chefredaktion lesen. Die Neue Zürcher Zeitung berichtete, Brinkbäumers Kritiker hätten bemängelt, er sei „im Umgang nett und sanft“ gewesen, „Eigenschaften, die einen angenehmen Kollegen, aber nicht unbedingt einen guten Chefredaktor“ ausmachten. Daran, dass Brinkbäumer mal gebrüllt habe, könne sich niemand in der Redaktion erinnern, schreibt die NZZ weiter.
Als könne nur Chef sein, wer brüllt und hart ist. Als entscheide ein Choleriker-Gütesiegel darüber, wer führen kann – und wer nicht.
Doch diese Denke scheint tief bei den zumeist männlichen Entscheidern verankert zu sein. Auch deswegen kommen seltener Frauen an die Spitze. „Männer sind häufig alten Rollenbildern verhaftet und trauen Frauen einen Führungsjob nicht zu“, sagt Sabine Stamer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus