Überwachung in den USA 2015: Freedom my ass
Nach Snowden ist vor Snowden: 2015 beantragte die US-Regierung 1.500 Überwachungen. Warum lehnte das Geheimgericht keine einzige davon ab?
Wie egal sind eigentlich die Snowden-Enthüllungen? Leider heißt die Anwort darauf für viele Bereiche: Ziemlich egal. Das zumindest legen politische Konsequenzen nahe, die den NSA-Enthüllungen folgten.
Beispiel? Ein Kritikpunkt nach dem Bekanntwerden der totalen, verdachtsunabhängigen Überwachung durch westliche Geheimdienste war, dass zahlreiche Überwachungsanträge der US-Regierung von einem Geheimgericht einfach abgenickt wurden. Die einzige Anstrengung, die Regierungsbehörden für eine Genehmigung zur „Analyse“ leisten mussten, war vor Gericht erscheinen.
2015 sollte sich das mit dem „USA Freedom Act“ ändern. Das Gesetz war eine Reaktion auf Snowdens Enthüllungen. Es sah vor, dass ein Anwalt vor dem Geheimgericht für die Rechte der Überwachten eintreten sollte. Neue Zahlen zeigen nun, wie gut das funktioniert: Gar nicht.
Die Nachrichtenagentur Reuters veröffentlichte einen Bericht dazu: 2015 winkten die Richter von den 1.457 Überwachungsanträgen der amerikanischen Regierung genau 100 Prozent durch. Keinen einzigen Antrag auf Analyse der Kommunikation lehnte das Geheimgericht ab. In Worten: Null. Es waren sogar fast 100 durchgewunkene Anträge mehr als 2014.
Die FreundInnen von TerroristInnen
Die Electronic Frontier Foundation, eine amerikanische Bürgerrechtsbewegung für Datenschutz, hatte bereits kritisiert, dass aus dem USA Freedom Act keine wirkliche Verpflichtung hervorging. Die nun bekannt gewordenen Zahlen belegen die Kritikpunkte der Datenschützer.
Viele Menschen denken, dass sie von Überwachungen nicht betroffen sind. Um zum Umfeld eines potentiellen Terroristen zu gehören reicht es für die NSA jedoch, wenn man ganz entfernt mit jemanden befreundet ist, der im theoretischen Verdacht steht, gefährlich zu sein.
Am Beispiel von Facebook: Die Snowden-Enthüllungen belegten, dass es für eine tiefer gehende Analyse von abgeschöpften Daten reicht, über drei Ecken mit jemandem befreundet zu sein, der theoretisch einmal Kontakt zu TerroristInnen hatte.
Oder einfacher: Wenn man die durchschnittlichen 190 Facebook-FreundInnen hat und mit eineR TerroristIn spricht, darf die NSA auf alle FreundInnen meiner FreundInnen zugreifen. Im Schnitt sind das dann schon 31,046 Personen. Auch deren FreundInnen wiederum zählt die NSA zu potentiell Verdächtigen. Damit sind gut fünf Millionen Menschen das nähere Umfeld.
Das ist ziemlich viel Beifang. Unnötig zu erwähnen, dass nicht jede Überwachungs-Maßnahme gerechtfertigt ist. Selbst wenn es nach den Snowden-Enthüllungen dem Papier nach die erklärte Absicht gab, an der Praxis etwas zu ändern. Passiert ist nichts.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht