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Übers HeimkommenLifehack: einfach nicht zurückkehren

Was ist das Schlimmste am Reisen? Die Reise beenden zu müssen, findet unsere Autorin. Und hat Ideen, wie man das umgehen könnte.

Über den Wolken ist die Freiheit nicht grenzenlos, sondern der Nachhauseweg Foto: Kathrin Deckart/dpa

H eimgekommen bin ich nie gerne. Ich bin nicht gut darin. Die Rückkehr nach Hause war für mich lange Jahre das Schlimmste am Reisen. Stunden im Flieger oder Auto und am Ende steht was? Deutschland. Schule. Lohnarbeit. Dasselbe Elternhaus oder dieselbe Wohnung. Es war wie der Tag nach einem richtig guten Rausch, nur dass der Rausch zwei Wochen dauerte und der Tag danach ein Jahr. Ein endloser, grauer Tag. Es hat ein halbes Leben gebraucht, bis ich dafür zwei Lifehacks gefunden habe. Der erste: Ich kehre nicht zurück. Ich bin so viel unterwegs, und wenn es nur für Vorträge zwischen München, Frankfurt und Bielefeld ist, dass der graue Tag mich nicht fangen kann. Er ist zu langsam. Der zweite Lifehack: Süditalien.

Ich war kürzlich in einem winzigen Urlaub. Es war eigentlich keiner, denn er dauerte – ja – einen Tag. Ich hatte meinem Freund einen Aufenthalt auf den Tremiti-Inseln im süditalienischen Apulien geschenkt. Sie sehen aus wie eine Miniaturversion der Karibik. Türkisfarbenes Wasser, leuchtende lilafarbene Grotten, Unterwassertorbögen mit Fischen in allen Farben. Es war das grandioseste Schnorchel­erlebnis meines Lebens. Leider hatte ich übersehen, dass auch die Mini-Karibik sauteuer ist, deshalb fuhren wir nur einen Tag.

Dann zurück nach Südapulien, wo wir einen Teil des Jahres leben. Eine Rückkehr, aber sie fühlte sich anders an. Ich konnte es nicht erwarten. Ich sah aus dem Fenster die Weinreben und Felder vorbeiziehen, und ich wusste, das sind noch nicht wir. Unser Apulien hat mehr Olivenbäume, mehr Kalkfarbe, einen anderen Geruch. Fremde könnten es leicht für dasselbe halten, aber das ist es nicht. Es ist zu Hause.

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Warum mir das ausgerechnet hier passiert ist, kann ich nicht sagen. Klar, Meer, Sonne, gute Pasta und besser gelaunte Nachbar:innen. Aber ich vermute, es hängt auch mit der Landwirtschaft zusammen. Wir haben Oliven- und Obstbäume, und von jedem könnte ich aus dem Gedächtnis zeichnen, wie seine Äste geformt sind, wie viel er trägt und welche Krankheiten er gerade hat. Mit Bäumen geht Bindung leichter als mit Häusern. Sie helfen, Wurzeln zu schlagen, ganz wörtlich. Ich fühle mich nicht verwurzelt im konservativen Dorf. Aber mit diesem Stück Erde.

Und etwas an der Art des Lebens lässt mich besser atmen. Ich höre das von vielen Nachfahren von Gastarbeiter:innen, in Kroatien, Griechenland oder Italien. Deutschland ist fürs Geldverdienen, sagen sie, und der Süden ist fürs Glücklichsein. Der graue Riese Deutschland hatte mich so lange umklammert. Heute erzähle ich mir Fahrten nach Deutschland nicht mehr als Rückkehr, sondern als Reise. Ich habe immer die Freiheit, zu gehen. Seitdem schaffe ich, es zu vermissen.

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Alina Schwermer
freie Autorin
Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum und Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen und übers Reisen. Autorin mehrerer Bücher, zuletzt "Futopia - Ideen für eine bessere Fußballwelt" (2022), das auf der Shortlist zum Fußballbuch des Jahres stand.
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2 Kommentare

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  • Rückkehr.



    Die ist in einem solchen Leben nicht vorhanden.



    Das Phänomen ist nicht neu, allerdings passt es zur jetzigen Generation, die mit kurzen tiktok videos lebt - Alles was länger dauert, wird schon langweilig.



    "Auf einem trip hängen bleiben" ist eben auch drogenfrei möglich.



    Natürlich ist es ein Gegenentwurf zum üblichen Arbeitsmodell, das in sechs Wochen Urlaub in Jahr, seine Fluchten sucht.



    Aber bedeutet immer weiter Reisen nicht auch immer auf der Flucht zu sein?



    Tauchen erste Probleme auf, wird ein neues, "packendes Ziel" wird gefunden.



    Dieser , wie im Artikel genannte "Rausch" ist dem stofflichen nicht unähnlich.



    Es wird aber nicht der Weg zum Ziel, sondern die Suche nach den nächsten Höhepunkten der Reise Pflicht.



    Das ist letztlich traurig, weil es irgendwann kein Zurück mehr gibt.



    Die Sorgen und Verpflichtungen, die ein sesshaftes Leben mit sich bringen wurden ja umgangen. Natürlich ist eine "Rückkehr" zu ihnen grau. Je länger die Reise umso schwieriger wird ein Ankommen im



    " normalen Leben".



    Backpacker, die den Sonnenuntergang mit dem anderswo vergleichen - traurig!

  • So poetisch der Text auch ist - ein "Lifehack" ist das nicht, sondern ein Privileg. Wer das Geld und die Freiheit hat, zwischen Zweitwohnsitz mit Olivenhain und Vortragssaal zu pendeln, kann sich den "grauen Riesen Deutschland" vom Leib halten. Aber es wird etwas zu sehr verklärt, was in Wirklichkeit Ausdruck sozialer Spaltung ist: Für die meisten bleibt das eine schöne Illusion, weil Alltag, Familie und eben - auch in Deutschland - finanzielle Zwänge sie binden.

    Eine Spur weniger "Aus dem Weg, Geringverdiener!" hätte dem Artikel sicherlich nicht geschadet ;).