Überlastete Frauenhäuser: Hilfe suchend vor verschlossener Tür
Frauenhäuser sind seit Jahren so überlastet, dass sie Schutzsuchende abweisen müssen. Ministerin Giffey will nun die Finanzierung verbessern.
Ein Imam, dem Güngör vertraut, fährt das Auto. Er hilft ihr, einen Platz in einem türkischen Frauenhaus zu finden. Das Problem: Güngör hat zwei kleine Kinder, beide leben zu diesem Zeitpunkt bei ihrem Vater in einer deutschen Stadt, die zum Schutz der Frau hier nicht genannt werden soll. Dort hatte Güngör mit ihm zusammen gelebt, bevor ihre Familie sie in der Türkei einsperrte. Ihr Mann hat sie jahrelang geschlagen. Mit den Papieren, die ihr eigener Vater ihr abgenommen hat und die sie mithilfe des Imams wiederbekommen konnte, fliegt sie nach Deutschland. Dort jedoch ist im entscheidenden Moment kein Platz in einem der Frauenhäuser der Stadt frei.
„Dass wir ausgebucht sind, ist ein Dauerzustand“, sagt Rita Stein*, Projektleiterin in dem Haus, in dem Güngör nach etwa zwei Wochen schließlich unterkommt – eine lange Zeit für eine Frau, die kein eigenes Einkommen hat und unter enormem Druck steht. Laut dem Schlüssel der Istanbul-Konvention, einem Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, fehlen bundesweit derzeit mehr als 14.600 Schutzplätze für Frauen. Bei einem Bestand von nur 6.800 Plätzen ist also nicht mal ein Drittel des Bedarfs gedeckt. Deutschland hat die Konvention im Oktober 2017 ratifiziert, im Februar ist sie in Kraft getreten.
Die Bundesregierung ist dadurch verpflichtet, die Situation der Frauenhäuser zu verbessern. „Die Istanbul-Konvention hat auf den Punkt gebracht, was wir aus der Praxis seit Jahren kennen“, sagt Sylvia Haller, Koordinatorin bei der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF). Die vertritt rund 100 der insgesamt mehr als 350 bundesweiten Häuser, darunter auch Steins Haus.
„Frauenhäuser retten Leben“
Dort mussten 2017 an 65 Tagen Frauen abgewiesen werden, in manchen Jahren waren es bis zu einem Drittel der Tage. Und auch an den übrigen Tagen waren die Kapazitäten des Hauses am Limit. „Frauen mit mehreren Kindern finden oft gar nichts“, sagt Stein. Auch für Frauen mit Behinderung oder ältere Frauen, die barrierearme Häuser brauchen oder eine Assistentin, sieht es in vielen Häusern schlecht aus. „Frauenhäuser retten Leben“, sagt Stein. „Aber um das tun zu können, brauchen wir Plätze.“
Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD ein Aktionsprogramm zur Unterstützung gewaltbetroffener Frauen und einen runden Tisch von Bund, Ländern und Kommunen zum Thema angekündigt. Das Ziel: der bedarfsgerechte Ausbau und die angemessene finanzielle Absicherung von Frauenhäusern und entsprechenden Beratungsstellen.
Neben dem akuten Platzmangel ist nämlich eines der größten Probleme der Häuser, dass die Finanzierung auf wackligen Füßen steht. Es gibt unterschiedliche Pauschalen nach jeweiligen Landesgesetzen oder Tagessätze, also Einzelfallfinanzierung. Aber gerade die, sagt Haller, sei ein viel zu hoher Aufwand.
Wenn eine Frau in ein Haus komme und erst einmal stabilisiert werden müsse, koste es viel zu viel Kraft und Zeit, Anträge zu stellen und zum Teil vor Gericht durchzufechten. „Gewalt gegen Frauen ist kein singuläres, sondern ein strukturelles Problem“, sagt Haller. „Deshalb brauchen wir auch strukturelle Lösungen.“
Runder Tisch
Nun tut sich tatsächlich etwas auf dem Weg zu einer sicheren Finanzierung: Am 18. September wird sich zum ersten Mal der im Koalitionsvertrag angekündigte Runde Tisch treffen, wie eine Sprecherin von Frauenministerin Franziska Giffey (SPD) der taz sagte. An diesem werden VertreterInnen des Bundesfrauenministeriums, des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, VertreterInnen der Länder und der kommunalen Spitzenverbände teilnehmen. Auch NGOs wie die ZIF sollen in Workshops einbezogen werden, um gemeinsam über Ausbau und finanzielle Absicherung von Frauenhäusern zu sprechen. Ab 2019, so die Sprecherin, soll es ein Bundesförderprogramm geben, über dessen Höhe sie allerdings erst nach der Verabschiedung des Haushalts für 2019 Auskunft geben könne.
Klar ist, dass die ZIF eine einzelfallunabhängige Finanzierung fordern wird. „Wir wollen drei Säulen“, sagt Haller: Erstens einen Sockelbetrag unabhängig von den besetzten Plätzen, um Kosten etwa für geschäftsführende Aufgaben zu decken. Zweitens eine Pauschale pro vorgehaltenem Platz. Und drittens die Abdeckung der tatsächlichen Kosten zum Betrieb der Häuser, also etwa der regional sehr unterschiedlich hohen Mieten. „Erst wenn die Finanzierung steht, können wir juristisch abgesichert auch die Anzahl der Plätze ausbauen“, sagt Haller.
Was die Autonomen Frauenhäuser außerdem wollen, ist bessere Kommunikation: Bislang arbeiten nur Hessen und Nordrhein-Westfalen mit öffentlichen Websites, auf der die Anzahl der freien Plätze in den Häusern einsehbar ist. Die ZIF fordert eine bundesweite Homepage, auf der sich sowohl Betroffene als auch Mitarbeiterinnen von Beratungsstellen oder Frauenhäusern über freie Plätze informieren können. Das sei auch deshalb wichtig, weil viele Frauen, wenn sie untertauchen, den Ort wechseln. In solchen Fällen ist die Platzsuche besonders schwierig.
Noch schwieriger ist es, wenn Frauen wie Melek Güngör aus einem anderen Land kommen und kaum Deutsch sprechen. Güngör hatte Glück, dass eine Freundin ihr half – ihre einzige in Deutschland. Bei ihr konnte sie übergangsweise unterkommen.
„Behandelt wie einen Putzlappen“
Güngörs Geschichte ist vielschichtig, aber typisch für die Geschichte von Frauen in Gewaltbeziehungen: Die Situation wird über Jahre immer schlimmer. Die junge Frau in grauer Trainingshose und weißem Shirt wirkt freundlich und offen, während sie erzählt, muss aber ab und zu Pausen machen, weil ihr die Tränen kommen.
Mit 16 wird sie in der Türkei verheiratet, mit 17 bekommt sie ihr erstes Kind. Erst danach holt ihr Mann sie zu sich nach Deutschland, wo er seit Jahren lebt. Güngör spricht kaum Deutsch, sie putzt und kocht, sowohl zu Hause als auch bei ihrer Schwiegermutter, die in der Nachbarschaft lebt. Die kontrolliert sie, es gibt Streit. Schließlich beginnt ihr Mann, sie zu schlagen.
Sie will sich trennen, hat aber niemanden, der sie unterstützt: „Meine Eltern sagten, ich dürfe mich nicht scheiden lassen“, sagt sie. „Aber mein Mann hat mich behandelt wie einen Putzlappen.“ Während eines Aufenthalts in der Türkei macht ihr Mann gemeinsame Sache mit ihren Eltern: Sie nehmen ihr die Papiere ab, er fliegt mit den beiden Kindern zurück nach Deutschland. „Ich war wie erstarrt“, sagt Güngör.
Rita Steins Haus, in dem Güngör vor zweieinhalb Monaten schließlich Zuflucht fand, ist schmucklos, aber freundlich eingerichtet. Im grünen Innenhof spielen zwei kleine Jungen. Aber die Eingangstür zu Haus und Hof ist fest verschlossen. Zwanzig Zimmer zwischen 9 und 26 Quadratmeter gibt es hier, mit insgesamt 53 Plätzen für Frauen und ihre Kinder. Die Hälfte der Frauen bleibt im Schnitt zwischen einem Tag und drei Monaten, ein wachsender Teil bis zu einem halben Jahr.
Frauen aus 40 Ländern
„Frauenhäuser sind keine schnelle Durchlaufstation“, sagt Projektleiterin Stein. Die Frauen seien traumatisiert, im schlimmsten Fall körperlich schwer verletzt. Sie bräuchten Zeit, um gesund zu werden, sich zu orientieren und durch die Bürokratie zu kämpfen, die eine solche Entscheidung fast immer mit sich bringt. Und der angespannte Wohnungsmarkt mache es ihnen nicht leichter, den Schritt hin zum selbstständigen Leben zu schaffen.
Güngörs Geschichte ist noch aus einem weiteren Grund typisch für die Situation vieler Frauen in Frauenhäusern: In Rita Steins Haus kamen letztes Jahr Frauen aus rund 40 Herkunftsländern. „Deutsch-deutsche Frauen sind durch alle Milieus hindurch genauso oft von Gewalt betroffen wie Frauen mit Migrationshintergrund“, sagt Stein. „Sie haben aber oft andere Möglichkeiten, sich zu orientieren: Sie haben einen gesicherten Aufenthaltsstatus und ein funktionierendes soziales Umfeld, sie sprechen die Sprache, und es ist leichter für sie, einen Job zu finden.“
Für Stein ist das ein weiterer Grund, bald Rechtssicherheit über die Finanzierung zu bekommen: „Ich möchte mir nicht ausmalen, was passieren würde, wenn die AfD in einer Koalition säße“, sagt sie. „Wenn die sagen, ihr habt zu viele Migrantinnen, müssen wir um die Existenz der Häuser fürchten.“
Melek Güngör hat nun, ein halbes Jahr nach ihrer Flucht, entscheidende Schritte geschafft, die ohne den Platz im Frauenhaus nicht möglich gewesen wären. Sie hat eine Aufenthaltsgenehmigung und kann ihre Kinder an den Wochenenden sehen. Der Prozess um das Sorgerecht steht an. Sie hat einen Minijob als Reinigungskraft und muss lachen, als sie das erzählt: „Ich hab so viel geputzt bei meiner Schwiegermutter, dass ich jetzt Profi bin.“ Sie will einen Deutschkurs machen, ein paar Worte spricht sie schon, und eine Wohnung finden. „Niemand soll mich jemals wieder so klein machen dürfen.“
*Namen geändert, damit Melek Güngörs Wohnort nicht identifizierbar ist
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz