Überarbeitet und unterbezahlt: Pflege bloß nicht ausbrennen lassen
Zum Tag der Pflege am 12. Mai gibt es einiges zu bemängeln: Versicherungen sind faktisch pleite, es gibt Personalmangel und zu niedrige Löhne.
E s ist kaum ein halbes Jahr her, da versprach Gesundheitsminister Karl Lauterbach einen „Neustart“ in der Pflege. Im ambulanten Bereich sieht es gerade so aus, als könnte das regional auch heißen: alles zurück auf Null. Seit Anfang diesen Jahres, berichtet David Kröll vom BIVA-Pflegeschutzbund dem epd, beobachte man „ganz massiv, dass ambulante Pflegedienste den Pflegevertrag kündigen und die Versorgung kurzfristig einstellen.“
Die Gründe dafür sind einerseits der Personalmangel und andererseits die gestiegenen Personalkosten. Da es keinen gesetzlichen Anspruch gegenüber Pflegediensten gibt, versorgt zu werden, können sich die Dienste aussuchen, welche Patient*innen sich lohnen. Die marktradikalen Liberalisierungen Ende der 90er, die Lauterbach mit zu verantworten hat, kommen jetzt voll zum Tragen.
Diese vorläufige Krise ist vermutlich nur ein Vorbeben. Der BKK-Dachverband, ein Zusammenschluss betrieblicher Krankenkassen, hat in einem Thesenpapier festgestellt, dass die Soziale Pflegeversicherung Ende des Jahres faktisch pleite sei – und das obwohl die Auswirkungen des demografischen Wandels sich erst in den kommenden Jahren bemerkbar machen werden.
Ein großes Armutsrisiko
Die BKK sind nicht allein mit ihrer Einschätzung, auch AWO-Präsidentin Kathrin Sonnenholzner sagte anlässlich der vorstellungs des DAK-Pflegereports: „Die Probleme werden kosmetisch und kurzsichtig angegangen und es wird billigend in Kauf genommen, dass letztlich die pflegebedürftigen Menschen mit ihrem Hilfebedarf allein gelassen werden. Pflegebedürftigkeit wird für immer mehr Menschen zum Armutsrisiko.“ Die Liste der Mahner*innen ließe sich beliebig fortsetzen.
Karl Lauterbach hatte, als er vom Neustart in der Pflege sprach, das Bohren dicker Bretter versprochen. Vermutlich wird er zum internationalen Tag der Pflege am 12. Mai auf sein Pflegestärkungsgesetz verweisen, das Fachkräften mehr Kompetenzen einräumt und insgesamt die Position der Pflege stärkt. Das Gesetz ist gut, aber es ist zu wenig und kommt auch reichlich spät. Gleiches gilt für die Ansätze, durch stambulante (also stationär-ambulante) Mischformen die Versorgung zu stabilisieren. Alles okay, aber wir rennen der Krise hinterher.
Unfair wäre, sich allein auf Lauterbach einzuschießen: es ist klar, dass er von seinen Vorgängern wie einem majestätisch auf höhere Aufgaben wartenden Jens Spahn einen ganzen Berg an Herausforderungen zugeschoben bekommen hat.
Die FDP blockiert
Es ist ebenso klar, dass insbesondere die FDP in der aktuellen Regierung jedes ambitionierte Vorhaben weitgehend abwürgt; selbst die steuerliche Querfinanzierung der Pflegeversicherung, wie sie im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, blockiert. Das größte Problem für den Sozialstaat sind sicherlich Christian Lindner und sein Adjutant, Olaf Scholz.
Aber diese Feststellung hilft den Leidtragenden der Versäumnisse akut nicht weiter. Das sind einerseits jene Gepflegten, die ihrem Schicksal überlassen werden. Und es sind andererseits pflegende Angehörige, die die Versorgungslücken auffangen; mit letzter Kraft auffangen. 84 Prozent der Menschen, die zu Hause gepflegt werden, werden von An- oder Zugehörigen versorgt, und trotzdem spielen sie in der Debatte kaum eine Rolle.
Zu den lauterbachschen dicken Brettern gehört auch, sie stärker zu entlasten: durch einen Pflegelohn, durch einen massiven Abbau bürokratischer Hürden, durch eine solide Pflegeinfrastruktur in den Kommunen. Denn- um es im Redewendungsdeutsch des Gesundheitsministers zu sagen – brennen sie aus, brennt das ganze Haus.
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