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Über die grüne Wiese zur weißen Weste

Milch gehört für die meisten Menschen selbstverständlich zur Ernährung. Der hohe Bedarf wirkt sich negativ auf die Klimabilanz aus und gefährdet das Tierwohl. Es geht auch anders. Einige machen es bereits vor

Milchkühe können das natürliche Gleichgewicht stabilisieren. Dabei kommt es auf die richtige Haltung an Foto: Daniel Schoenen/imageBROKER/picture alliance

Von Cordula Rode

„Die Milch macht’s“ – aber wer macht die Milch? Laut Milch-Industrieverband gab es 2024 rund 3,7 Millionen Milchkühe in Deutschland. In den letzten 70 Jahren ist die Zahl der Milchkühe um mehr als zwei Millionen gesunken, ebenso die Zahl der Milchviehhalter, die bei rund 50.000 Betrieben liegt. Aber: Die durchschnittliche Milchleistung der Kühe ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Heute erzeugt eine Kuh im Durchschnitt etwa 8.950 Kilogramm Rohmilch pro Jahr. Statista gibt den Pro-Kopf-Verbrauch von Frischmilcherzeugnissen mit rund 82 Kilogramm an.

Schon lange steht die Massentierhaltung, nicht nur bei Rindern, stark in der Kritik. Neben dem meist eher über­schaubaren Tierwohl gilt die Kritik besonders den immensen Emissionen, die durch diese Form der Landwirtschaft entstehen. Das Umweltbundesamt legte im März aktuelle Zahlen vor, nach denen die deutsche Landwirtschaft 2023 für die Freisetzung von 54,8 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid-Äquivalenten verantwortlich war.

Das sind 8,2 Prozent der gesamten Treibhausgas-Emis­sionen Deutschlands des Jahres 2023. Die Methan­emissionen des landwirtschaftlichen Sektors (rund 62 Prozent der Emissionen) stammen hauptsächlich aus der Verdauung und dem Wirtschaftsdünger­management aller Nutztiere. Eine aktuelle Studie von Greenpeace kommt sogar auf deutlich höhere Zahlen und erweitert den Aspekt des Klimaschutzes auch auf Emissionen, die entlang der Lieferketten entstehen.

Es gibt zahlreiche Ansätze, die durch Tierhaltung bedingten Emissionen zu verringern, die zum Teil auch schon Erfolge zeigen. So gibt der Verein „Land. Schafft. Werte“, der 2016 gegründet wurde und sich als Sprachrohr und Vermittler unterschiedlicher Meinungen und Interessen der deutschen Agrar- und Ernährungsbranche sieht, an, dass zwischen 1990 und 2020 die jährlichen Emissionen aus der Landwirtschaft um 24 Prozent zurück­gegangen sind.

Die ökologische Landwirtschaft hat sich bereits sehr viel früher um Lösungen bemüht. Diese Art der Produktion beruht auf dem Respekt vor den natürlichen Systemen und Kreis­läufen und fördert den Zustand von Boden, Wasser und Luft, der Gesundheit von Pflanzen und Tieren sowie das Gleichgewicht zwischen ihnen.

Auch in der Milchkuhhaltung geht sie andere Wege als die kon­ventionelle Landwirtschaft. Das beginnt bereits bei der Haltung der Tiere – ihnen stehen größere Ställe zur Verfügung, und sie haben darüber hinaus auch die garantierte Möglichkeit zum Weidegang, der in der konventionellen Landwirtschaft eine freiwillige Leistung ist.

Demeter-Höfe gehen sogar noch weiter: Sie lehnen die Enthornung von Kühen grundsätzlich ab, die häufig vorgenommen wird, um Verletzungen der Tiere, die zu eng gehalten werden, zu vermeiden. Dadurch brauchen die Rinder deutlich mehr Platz, der ihnen auch gegeben wird. So heißt es von Demeter: „Der Stall wird also an die Kuh angepasst und nicht die Kuh an den Stall. Und wir finden: genauso muss es auch sein!“

Demeter-Höfe waren auch Pio­niere bei der kuhgebundenen Kälberaufzucht in Milchviehbetrieben. Die rund vier Millionen Milchkühe in deutschen Ställen müssen jedes Jahr kalben, damit die Milch­produktion gewährleistet ist. Während die weiblichen Kälber zu Milchkühen herangezogen werden, ist die Verwendung der männlichen Tiere schwierig. Sie werden oft, auch in der Bio-­Landwirtschaft, früh an Mast­betriebe verkauft. Und weil diese Mastbetriebe meist im Ausland liegen, erwartet die Kälber ein qualvoller Transport, den ein Teil von ihnen nicht überlebt.

Weltmilchtag

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und der Internationale Milchwirtschaftsverband (International Dairy Federation, IDF) haben den Weltmilchtag 2001 ins Leben gerufen.

Er wird am morgigen Sonntag in über 30 Ländern begangen. Im Fokus steht dabei Milch als natürliches und gesundes Getränk für alle Altersstufen – bis hin zu weiteren Produkten, die daraus gewonnen werden, wie etwa Joghurt und Käse.

Auch Viehhaltung und Ökologie sind Thema. Mehr Kühe auf der Weide heißt zum Beispiel auch: mehr Insekten. Auf einem Kuhfladen können sich 200 bis 300 Gramm Insektenmasse entwickeln.

Der Weltmilchtag ist nicht mit dem Weltschulmilchtag der FAO zu verwechseln, der am letzten Mittwoch im September stattfindet.

Dies wollte Anja Frey nicht hinnehmen. Die Landwirtin sah darin einen Bruch mit der Ethik und entschied sich vor ­vielen Jahren, auf ihrem damaligen Milchbauernhof die kuhgebundene Kälber­aufzucht einzusetzen. Das bedeutet, dass die Kälber nicht, wie sonst üblich, sofort nach der Geburt von der Mutter­ ­­getrennt werden, sondern in der Herde bleiben und von der ­Mutterkuh aufgezogen werden.

Anja Frey gründete 2019 die „Bruderkalb-Initiative Hohenlohe“ für Bioland- und Demeter-Betriebe, der inzwischen zahlreiche Betriebe angehören. Die Balance zwischen Tierwohl und Ökonomie ist dabei nicht immer leicht zu halten, wie Anja Frey erklärt: „Die Aufzucht am Euter ist kostenintensiver, da das Kalb dabei sehr viel mehr Milch trinkt als bei der Fremdaufzucht.“ Aber: „Diesen Aufwand gebietet der Respekt vor den Tieren.“ Die Bruderkalb­initiative stellt nach Aufzucht der Kälber bei ihren Müttern außerdem sicher, dass das Fleisch gut und regional vermarktet werden kann – sodass qualvolle Transporte vermieden werden.

Einen neuen Weg beschreitet auch Ralf Loges, der seit neun Jahren auf dem Bio-Versuchsgut Lindhof bei Eckernförde ein Projekt der Universität Kiel zur ökoeffizienten Weidemilch koordiniert. Darin wurde für Schleswig-Holstein ein Bio-Weidekonzept entwickelt, das hohe Milchleistungen ermöglicht und in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit mit konventionellen reinen Stallhaltungssystemen mithalten kann. Darüber hinaus bietet es deutliche Vorteile bezüglich der Umweltwirkungen, insbesondere bei der Reduzierung klimaschädlicher Gase. „Das ganze System ist auf die Maximierung der Leistungen aus Weidefutter ausgelegt“, erklärt der Futterbauexperte. Die 110 Milchkühe des Betriebs beweiden kein Grünland, sondern Kleegras auf Ackerflächen. Im Vergleich zu intensiven Systemen mit überwiegender Stallhaltung und einer Fütterung auf Basis hoher Anteile an Mais­silage und Kraftfutter hat Weidehaltung eine wesentlich bessere Umweltbilanz. Und auf die Qualität des Getränks Milch wirken sich solch nachhaltige Ansätze auch aus.

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