Über das Gefühl der Gleichgültigkeit: Das Kriegsenkelsyndrom
Wenn nach Anschlägen kein Raum für Emotionen ist, sondern einem abgekühlte Analysen entgegen schlagen, dann ist das Kälte, nicht Coolness.
E ine sonst überaus gutartige Freundin hinterfragt sich, weil sie beim Anblick von Beatrix von Storch nur blanken Hass verspüre. Ich versichere ihr, das sei völlig okay. Sie solle sich die gesunde Empfindung bitte nicht verderben lassen.
Von heiliger Empörung über echte gesellschaftliche Schieflagen könnte ich mir eine Scheibe abschneiden: Klima, Moria, you name it. Anstatt mich immer nur wegen ichbezogener Lappalien aufzuregen. Wenn mir einer die Vorfahrt nimmt oder mein Team verliert, bin ich auf einmal lebendig. Sonst ist mir immer alles egal. Das ist schon bitter.
Meistens köchelt die Empathie bei uns Mittelalten nämlich auf Sparflamme – in der Hölle wird es später eh noch heiß genug. Zum Beispiel nach einem Attentat: Die Opfer sind noch nicht kalt, da setzt in den sozialen Hetzwerken bereits das Androsplaining ein: Man müsse jetzt sofort dieses oder jenes abwägen und unbedingt kühlen Kopf bewahren. Emotionen seien grundsätzlich fehl am Platz, Trauer und Entsetzen die manieristischen Marotten halbdebiler Jungmenschen und Frauenzimmer; am Ende wird noch über die Ausstattung des Lkws gefachsimpelt, mit dem der Mörder die Leute zu Brei fuhr.
Jeder zwischenmenschliche Aspekt scheint ausgeblendet. Nicht, dass ihre Analysen falsch wären, zuweilen sind sie sogar ganz gut. Denken können sie ja. Aber sie lassen den geschockten Mitmenschen keine Atempause für ihre Anteilnahme. Denn was sie selbst nicht besitzen, kann nur ein Fehler sein. Also feiern die Andropausenmänner ihre eigenartige Seelenkälte noch als Coolness ab und nageln sich daraus eine höhere politische Vernunft oder „allgemeingültige“ Moral zusammen.
Eine Seele wie ein Kühlschrank
Sie sehen sich als neutrale Überinstanz; ein alarmierender Defekt wird zur altersweisen Abgeklärtheit geadelt – „das Lied der lebenden Leichen“ nennt mein Urologe Zbigniew unser lautes Ansingen gegen die Angst vor dem eigenen Sentiment. Mit üblen Folgen auch für uns selbst: Was weich ist, biegt sich; was hart ist, bricht.
Zunächst ist dieses typische „Kriegsenkelsyndrom“ ja eher bedauernswert. Mitgefühl kann man nicht einfordern. Die Seele vieler in den 1960ern Geborenen ist nun mal in einem Kühlschrank ohne Griff und Licht gefangen. Aber ein bisschen mehr Krankheitseinsicht wäre zu wünschen. Man könnte versuchen, den exotischen Emokram wenigstens rational zu begreifen.
Wir könnten uns menschliche Regungen von anderen abschauen, sie wie eine Fremdsprache notdürftig erlernen. Das spräche immerhin von gutem Willen. Man kann doch zumindest so tun, als wäre man ein Mensch.
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