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Über China sprechenQualifikation für „westliche Werte“

Deutsche fragen Menschen mit chinesischen Wurzeln oft nach Politik in China. Statt um qualifizierte Antworten geht es darum, sich überlegen zu fühlen.

„Was sagen deine Verwandten eigentlich zu Hongkong?“ Foto: VCG/ imago

I ch schreibe hier zum fünften Mal über irgendwas mit China, und deshalb ist es wohl an der Zeit, Stellung zu beziehen: Ich bin ganz klar pro Menschenrechte. Tierschutz und Klimaschutz finde ich auch wichtig, Turbokapitalismus ist schlimm und Überwachung ist problematisch. Puh. Gut, dass das mal gesagt wurde.

Leider können wir trotzdem nicht gemeinsam aufatmen und fassungslos die Köpfe schütteln. Teil zwei meiner Stellungnahme lautet nämlich: Ich bin ganz klar pro China. Ich liebe dieses Land so sehr, es macht mir Sehnsucht, Herzklopfen, Lust. Ich liebe seine Berge und Hochhäuser, ich liebe seine Gerüche und Geschmäcker, seine Künste und Sprachen. Und ich liebe eine Handvoll seiner Menschen.

Nun hat diese Liebe rein gar nichts mit dem chinesischen Staat zu tun. Aber während es akzeptabel zu sein scheint, Werk und Autor oder AfD und AfD-Wählerschaft zu trennen, ist Chinaliebe hierzulande nicht so leicht zu zerlegen.

Entgegen absurden Falschbehauptungen herrscht in Deutschland Meinungsfreiheit. Wir dürfen sagen, was wir denken, dürfen Kritik üben an Mitmenschen und politischen Entscheidungsträger:innen. Kritisieren ist für die meisten Deutschen eine Selbstverständlichkeit, schonungslos die Fehler der anderen sichtbar machen, normal. In Deutschland können insbesondere weiße Personen sehr gut mit dem Finger auf andere zeigen, ohne dramatische Konsequenzen befürchten zu müssen.

Nicht meine Pflicht

Man zeigt hier auch gern mit dem Finger auf China, und selbstverständlich gibt es da einiges, auf das notwendigerweise gezeigt werden muss. Von Menschen mit chinesischen Wurzeln erwartet man, dass die sich anschließen oder sich als gehirngewaschen zu erkennen geben.

Schnell ist man umzingelt von übergriffigen Fragen wie „Puh, das mit diesem Sozialkreditsystem ist ja wohl der Horror?“, oder „Was sagen deine Verwandten eigentlich zu Hongkong?“ Um differenzierte Antworten geht es selten. Meist ist das Ziel die Legitimation der Empörung über die anderen. Und das Gefühl, zivilisatorisch überlegen zu sein.

Ja, Empörung fühlt sich besser an, wenn man mit ihr nicht allein dasteht. Aber es ist nicht die Pflicht der migrantischen Diaspora, Deutschen in ihrer Auslandskritik zur Seite zu springen. Es ist nicht meine Pflicht, mit dem Finger auf einen zusammengedampften Teil von mir zu zeigen, um mich für das Team „westliche Werte“ zu qualifizieren. Empörung verliert ihre Kraft, wenn sie zum reinen Selbstzweck wird.

Dabei glaube ich an die Kraft des Aufregens, ich will mich empören, aber von innen heraus. Ich will mit denen über Chinas Probleme sprechen, die oft keine Worte finden zwischen Liebe, Angst und Verachtung. Und ich will Deutschland anklagen mit denen, die ihre Privilegien verstanden haben. Dass wir hiesige Missstände sicht- und hörbar machen können und müssen, um sie zu überwinden. Ich will kollektive Aufregung, die sich nicht nur gegen andere richtet, sondern vor allem gegen sich selbst. Weil die hilft, überall.

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Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag. Foto: Amelie Kahn-Ackermann
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3 Kommentare

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  • 0G
    05654 (Profil gelöscht)

    Guter & zum Schmunzeln anregender Artikel der ehrenwerten Húlí-xiānnǚ Lin aus der Rubrik `Irgendwas über China` zum brandaktuellen Thema `Bekämpfung von Latentem Nationalsozialismus & Krisen , sowie der Projektion & Komensation von Ängsten & Agressionen` - als auch natürlich deren Politische & Wirtschaftliche destruktive Ausschlachtung , zu deren Zweck sie jederzeit und vielerorts gerne geschürt und gesehen werden - in der Heutigen Globalen Gesellschaft .

    Schließe mich , mit Fern-Westlichen Weisheiten namentlich Unbekannter Autor/inn/en , an :

    Chaos ist nur eine Natürliche Form der Neu-Strukturierung & Re-Harmonisierung

    Wer mit dem Finger auf Andere zeigt , zeigt mit Drei Fingern auf sich Selbst

    ( Deswegen : ) Ein/e jede/r kehre zuerst vor der Eigenen Türe

    ( Weil : ) Miteinander geht´s Besser als Gegeneinander

    Nationalsozialismus ( kann Spuren von Rassismus & Rechtsextremismus enthalten ) ist Doof

    Die Menschheit stammt ursprünglich vom Afrikan. Kontinent - Alle Menschen sind Genetisch miteinander verwand

    Zàijiàn - MfG

    P.s.: Lachdochmal www.unique-online....e-aus-gelacht/329/

  • All diese "mal-ne-andre-persoektive" Artikel/Glossen/Kolumnen in der Taz bilden mittlerweile ein eigenes Genre, und sind so vorausberechenbar wie die nächste Landlust-Ausgabe mit den 10 kreativsten Adventskalendern zum Selbermachen.

  • Die Fragen mögen "übergriffig" wirken, aber spannend sind sie trotzdem: Was denken die Menschen in China denn wirklich über Hongkong und das Sozialkreditsystem?