Über Abschiede und Wiedersehen: Vermissen ist Sehnsucht

Unsere Autorin hat sich das Vermissen abtrainiert, um sich selber zu schützen. Mittlerweile lässt sie die Gefühle zu, schließlich gehören sie dazu.

Lichter durch eine regennasse Fensterscheibe

Es tut manchmal weh, aber es lohnt sich immer: Das Vermissen geliebter Menschen Foto: atdigit/imago images

Neulich habe ich gemerkt, dass ich mir in mühevoller, jahrelanger Arbeit das Vermissen abtrainiert habe. Ja es klingt komisch, ist aber wirklich so. Als Kind waren Abschiede das allerschlimmste, weil sie fast immer definitiv waren. Der Abschied geliebter Menschen, die im Genozid umgebracht wurden. Der Abschied von meiner Familie als wir nach Deutschland zogen und so weiter. Symbol für diese Abschiede waren Friedhöfe und Flughäfen. Beides Orte, die ich bis heute eher so mittel finde, aber wer mag schon Friedhöfe.

Als Kind habe ich mir mal bei einer Beerdigung fest vorgenommen, keine Verbindung mehr zu alten Menschen aufzubauen, weil sie bald darauf sterben und wir uns voneinander verabschieden müssen. Das schien mir das einzig logische zu sein. In meinem Leben waren Abschiede immer eine Massenveranstaltung. Ich hab mich, wie eingangs erwähnt, selten nur von einer Person verabschiedet. Als im Genozid mein Vater umgebracht wurde, wurden im selben Zeitraum auch meine Tanten, Onkeln, Cousinen und Nachbarn ermordet. Als wir aus Ruanda wegzogen, verabschiedeten wir uns von allen Freunden und Verwandten gleichzeitig.

Irgendwann um diese Zeit muss ich angefangen haben, mir das Vermissen abzutrainieren. Was für ein unnötiges und unproduktives Gefühl, sagte ich mir dann. Bringt es die Menschen, die man vermisst, ja nicht zurück. Ich entwickelte einen regelrechten Stolz darauf, dass ich ja nie Heimweh hätte oder Menschen vermissen würde.

Auch das Versprechen auf ein Wiedersehen

Die letzten zwei Jahre haben mich gezwungen, viel über meine eigenen Gefühle und Gewohnheiten nachzudenken. Kürzlich flog ein Mensch, der mir viel bedeutet, für ein paar Wochen weg und weil es schon so lange her ist, dass ich mich von jemandem verabschiedet habe, griff meine Automatische-vermissen-Abwehr nicht. Ich ließ dieses unproduktive und unnötige Gefühl aus Versehen zu. Was soll ich sagen: Ich wusste nicht, dass man vermissen vermissen kann. Ich hatte es fast verlernt, aber war froh zu sehen, dass es scheinbar nie ganz weggeht. Und darüber bin ich sehr froh, auch wenn ich gerade traurig im Bett liege.

Vermissen ist Sehnsucht aber auch das Versprechen auf ein Wiedersehen. Und Vorfreude. Es tut manchmal weh, aber es lohnt sich immer. Ich bereue die letzten Jahre, in denen ich mir aus falsch verstandener Härte dieses Gefühl verweigert habe. Ich gebe ungern Kon­trolle ab und vermissen ist der ultimative Kontrollverlust.

Ich bin durch meine Wohnung gelaufen und bin dramatisch am Fenster stehen geblieben. Ich weiß nicht warum, aber wenn es einen guten Zeitpunkt gab, sich das vermissen und aushalten dieser Gefühle wieder anzutrainieren, dann ist es wohl jetzt. Es liegt so auf der Hand, jetzt abgestumpft zu sein, aber wir brauchen diese Sehnsucht und Hoffnung jetzt gerade mehr denn je.

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Journalistin, Speakerin und freie Kreative. Kolumne: "Bei aller Liebe". Foto: Pako Quijada

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