US-Waffenhersteller muss zahlen: Zielgruppe labile junge Männer
Angehörige der Opfer eines Schulmassakers erhalten Millionen Dollar – ein Präzedenzfall für die bestens geschützte US-Waffenindustrie.
Jetzt haben Familienangehörige der Opfer einen Erfolg gegen den Waffenhersteller Remington erzielt: Mit einem Sturmgewehr aus dessen Produktion war das Massaker begangen worden. In einem Vergleich verpflichtete sich der Konzern jetzt, 73,5 Millionen US-Dollar an die neun Kläger*innen zu zahlen.
Das Ergebnis eines jahrelangen Verfahrens könnte Präzedenzwirkung haben. Denn eigentlich sind US-Waffenfirmen per Bundesgesetz vor allen Forderungen geschützt, die nach mit ihren Waffen begangenen Bluttaten aufkommen könnten. Auch Angehörige der Opfer des Parkland-Massakers von 2018 versuchen zum Beispiel, den Waffenhersteller Smith & Wesson zu verklagen, bislang ohne Erfolg.
In Connecticut konnte der Erfolg nun durch Ausnutzung eines Gesetzes des Bundesstaates erzielt werden. Dabei zielten die Angehörigen und ihre Anwälte auf die Art, wie die Firma damals das Gewehr – das dem bekannten kriegswaffenähnlichen AR-15 gleicht – vermarktete. Als Inbegriff von Männlichkeit sei es beworben worden, Werbeanzeigen seien in brutalen Shooter-Spielen untergebracht worden. Insgesamt sei das Marketing für das Gewehr also genau auf die Zielgruppe jener labilen jungen Männer ausgelegt gewesen, aus der dann auch der spätere Sandy-Hook-Attentäter kam.
Vorbild: Verfahren gegen die Tabakindustrie
Dabei orientierten sich die Kläger*innen an früheren Verfahren gegen die Tabakindustrie Ende der 1990er Jahre: Damals war vier großen Tabakkonzernen nachgewiesen worden, dass sie über die Gesundheitsrisiken ihrer Produkte seit Jahrzehnten genau Bescheid wussten, dennoch aber besonders anfällige Zielgruppen für den Tabakkonsum zu begeistern suchten. Im Ergebnis musste die Industrie viele Milliarden Dollar an die damaligen Kläger*innen zahlen – Raucher*innen, die durch Tabakkonsum schwer geschädigt waren.
Auch im Fall Sandy Hook beantragten die Kläger*innen Einblick in die interne Marketingkommunikation des Unternehmens, und das mit Erfolg.
Die Firma argumentierte allerdings, es gebe keinerlei Hinweise darauf, dass die Art der Werbung irgendeinen Einfluss auf das Verhalten des Täters gehabt hätte. Der hatte das Gewehr nicht selbst erworben: Seine Mutter hatte es legal gekauft, der Täter hatte es ihr gestohlen und sie damit erschossen, bevor er zur Schule weiterzog.
Die Firma Remington versuchte alles, um das Verfahren vor Gericht zu stoppen, scheiterte damit allerdings mehrfach. Der jetzt erzielte Vergleich kommt einer möglichen Verurteilung zuvor.
Schon bereiten weitere Bundesstaaten wie New York und Kalifornien Gesetze vor, um Waffenfirmen für Bluttaten zur Verantwortung ziehen zu können. Sie bleiben allerdings in den gesamten USA noch immer eine kleine Ausnahme.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!