US-Spionage in Lateinamerika: Empörung der Staatschefs
Die Mercosur-Staaten verbitten sich die Überwachung aus dem Norden. Das Recht, Edward Snowden Asyl zu gewähren behält man sich vor.
BUENOS AIRES taz | Der Ton zwischen den wichtigsten südamerikanischen Regierungen und den USA verschärft sich. „Wir weisen das Abhören unserer Telekommunikation und das Ausspionieren der Aktivitäten unserer Nationen entschieden zurück“, hieß es in der Abschlusserklärung des Gipfeltreffens der südamerikanischen Staats- und Regierungschefs der Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur.
„Es handelt sich um ein inakzeptables Verhalten, das unsere Souveränität verletzt und den Beziehungen der Länder schadet,“ ließen die Staatsoberhäupter von Argentinien, Brasilien, Venezuela und Uruguay nach ihren Treffen am Freitag verlauten. Zudem bekräftigten sie das Recht auf Asylgewährung. „Wir weisen jeden Versuch eines Staates zurück, einen anderen Staat unter Druck zu setzen, zu schikanieren oder zu kriminalisieren, wenn er von seinem souveränen Recht Gebrauch macht, Asyl zu gewähren“, hieß es in der Erklärung.
Medienberichten zufolge spionierte der US-Geheimdienst NSA auch in Lateinamerika elektronische Mitteilungen und Telefongespräche aus. Dabei ging wohl vorrangig um das Ausspionieren der Energie- und Erdölbereiche. Wenig erfreut davon zeigte sich Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff. „Wir müssen beständige Maßnahmen ergreifen, dass sich so etwas nicht wiederholt. Es ist Zeit, dass der Mercosur die Grenze markiert,“ so Rousseff.
Argentiniens Außenminister Héctor Timerman gab bekannt, er habe von einem anderen Teilnehmerstaat an dem Treffen „einen verschlossenen Umschlag mit einer Liste von über 100 Personen erhalten, die Email-Adressen und ihre Passwörter erhalten.“ Für weitere Aufregung sorgte zudem ein Interview in der Samstagsausgabe der argentinischen Tageszeitung La Nacíon mit dem US-Journalisten Glenn Greenwald.
Greenwald hatte im britischen Guardian die ersten Enthüllungen Snowdens zum US-Programm Prism zur Überwachung der Telefon- und Internetkommunikation veröffentlicht. Nach Aussage von Greenwald hat der der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden Informationen, deren Veröffentlichung die USA erheblich treffen könnten.
„Snowden verfügt über genügend Information, um der US-Regierung in nur einer Minute mehr Schaden zuzufügen als jede andere Person jemals in der Geschichte der USA verursacht hat. Aber das ist nicht sein Ziel. Sein Ziel ist es, die Computerprogramme auffliegen zu lassen, die die Menschen weltweit nutzen ohne zu wissen, dass sie sich bloßstellen und, dass sie sich nicht darüber bewusst sind, auf ihre Privatsphäre zu verzichten.“
Nach dem Spionieren in Lateinamerika gefragt, antwortete Greenwald, dass es Dokumente gäbe, die detailliert aufzeigen, wie die USA den Datenverkehr in der Region abschöpft, mit welchen Programen und die tägliche Menge der gesammelten Daten. Und dies vor allem über eine Telefongesellschaft in den USA, die Verträge mit Telekommunikationsfirmen in vielen lateinamerikanischen Ländern hat.
„Möglicherweise werden die Regierungen von Mexiko oder Kolumbien deswegen nicht viel unternehmen. Dagegen sind Argentinien und Venezuela möglicherweise dazu bereit, dagegen einzuschreiten,“ so Greenwald. Für Venezuelas Präsident Nicolás Maduro sind solche Aussagen eine Steilvorlage um gegen den großen Nachbarn im Norden zu wettern. Erstmals nach seinen Beitritt übernahm der Karibikstaat turnusgemäß den Vorsitz im Mercosur.
„Wir haben im Mercosur das Recht auf Asyl als ein grundlegenden Recht bekräftig," sagte Maduro im Hinblick auf sein Asylangebot an Edward Snowden und schlug die Einrichtung einer „juristischen Kommission“ vor, bei der die USA wegen ihrer Spionage angeklagt werden sollen.
Der Mercosur wurde 1991 von Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay gegründet. Venezuela ist seit Juli 2012 Vollmitglied. Die fünf Mitgliedsstaaten haben 270 Millionen Einwohner und erwirtschaften ein Bruttoinlandsprodukt von rund 1,2 Billionen Dollar. Das entspricht 83 Prozent der Wirtschaftsleistung von Südamerika. Die Mitgliedschaft von Paraguay ist vorübergehend suspendiert. Assoziierte Staaten sind Chile, Bolivien, Peru, Ecuador und Kolumbien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin