Nach NSA-Netzspionage: „Balkanisierung“ des Netzes droht
Die NSA-Spitzelaffäre sorgt für Ärger zwischen Brasilien und den USA. Das südamerikanische Land will sich im Netz von US-Anbietern lösen.
RIO DE JANEIRO ap | Wegen der Onlinespionage durch den Geheimdienst NSA will sich Brasilien vom derzeit US-zentrierten Internet unabhängiger machen. Unter anderem will die Regierung US-Firmen dazu zwingen, Daten von Brasilianern im Land aufzubewahren, sowie eigene Kabelverbindungen mit anderen Ländern aufbauen.
Kürzlich war bekannt geworden, dass der US-Geheimdienst Mail-Nachrichten der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff abgefangen hat, in das Netzwerk des staatlichen Ölkonzerns Petrobras eingedrungen war und Brasilianer ausspioniert hat, die US-Dienste wie Facebook und Google nutzen.
Rousseff verschob deshalb nicht nur ihren für Oktober geplanten Staatsbesuch in den USA, sie drängt auch das brasilianische Parlament, die Firmen per Gesetz dazu zu verpflichten, Daten von brasilianischen Nutzern im Land aufzubewahren. Die südamerikanischen Staaten sollen direkt miteinander verbunden werden und es soll ein Unterseekabel nach Europa gelegt werden, damit die Daten nicht wie bisher erst über die USA geleitet werden müssen, wo sie abgefangen werden könnten.
Bereits im Dezember hatten einige Länder beim Treffen der Internationalen Fernmeldeunion in Dubai mehr staatliche Kontrolle über das Internet gefordert. Das hatten westliche Demokratien unter der Führung der USA und der EU abgelehnt. Inzwischen fordert Brasilien besonders aggressiv ein Ende der kommerziellen Vorherrschaft der USA im Internet. US-Firmen kontrollieren beispielsweise mehr als 80 Prozent der Onlinesuchen.
Arbeit an Alternativen
Brasilianer sind unter den aktivsten Nutzern von sozialen Medien im Internet und belegen bei Facebook den dritten Platz und bei Twitter und Youtube Platz 2. Um deren Daten vor Spionage zu schützen, will Brasilien jetzt mehr Internet-Knoten aufbauen, an denen große Datenmengen übertragen werden.
„Brasilien will die Zahl der unabhängigen Internetverbindungen mit anderen Ländern erhöhen“, teilte Rousseffs Büro auf Anfrage von AP mit. In Zukunft solle nur noch Hard- und Software eingekauft werden, die brasilianischen Vorgaben für den Datenschutz entsprechen.
2016 soll außerdem ein Kommunikationssatellit ins Weltall geschossen werden, über den militärische und Internetkommunikation abgewickelt werden soll. Und die Post will noch im kommenden Jahr einen verschlüsselten E-Mail-Dienst als Alternative zu Google und Yahoo anbieten.
Viele Experten halten die brasilianische Kampagne aber für gefährlich: Sie könnte ein erster Schritt bei einer „Balkanisierung“, einer politischen Zersplitterung des globalen Internets sein, das mit minimaler Einmischung von Regierungen entwickelt wurde, monieren Kritiker. Länder mit autoritären Regierungen könnten zudem ähnliche Änderungen wie Brasilien einführen, um so die freie Meinungsäußerung zu unterbinden.
Offene Struktur des Internets gefährdet
Brasiliens Forderungen seien angesichts des NSA-Skandals zwar rational, sagt Bruce Schneier, ein US-Experte für digitale Sicherheit, doch könnten sie dazu führen, dass „einige der schlimmsten Länder versuchen, mehr Kontrolle über das Internet ihrer Bürger zu erlangen. Das sind Russland, China, Iran und Syrien. Das ist Tunesien. Das ist Ägypten.“
„Die weltweite Reaktion beginnt erst und wird in den kommenden Monaten noch viel heftiger werden“, sagt Sascha Meinrath vom US-Forschungsinstitut America Foundation. Es bestehe die Gefahr, dass mit geografischer Abschottung viele weit verbreitete Software-Anwendungen nicht mehr funktionieren würden und die offene Struktur des Internets gefährdet werde.
Internationale Spione – nicht nur aus den USA – würden sich ohnehin an die Abschottung anpassen, sagen Experten. Meinrath zufolge wäre es viel wichtiger, durchschlagskräftige internationale Gesetze auszuarbeiten, die Staaten dazu verpflichten, für den Datenschutz im Internet zu sorgen. „Es gibt nichts, was Brasilien machen kann, das seine Bürger realistisch schützen würde, wenn sie nicht auch das Handeln der USA ändern können“, sagt Meinrath.
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