US-Operation „Atlantic Resolve“: „Wir bereiten keinen Krieg vor“

Der Osteuropa-Historiker Wolfgang Eichwede erklärt, was an Putin so gefährlich ist und warum die Proteste gegen die Operation geschichtsvergessen sind

Operation „Atlantic Resolve“: Die US-Army lädt in Bremerhaven Panzer ab Foto: Karolina Meyer-Schilf

taz: Herr Eichwede, im „Bremerhavener Appell“ sprechen Friedensforum und Linkspartei von „konkreten Kriegsvorbereitungen“ und Deutschland als „Aufmarschgebiet“. Was sagen Sie dazu?

Wolfgang Eichwede: Dem Bremerhavener Appell folge ich nicht. Wir bereiten keinen Krieg vor, aber das Putinsche Russland führt Krieg – das sind die harten Realitäten. Mit der russischen Aggression gegen die Ukraine haben wir in Europa eine neue Situation. Indem die Großmacht Russland mit Gewalt Grenzen verändert, hat sie das Grundprinzip der Entspannungspolitik – Gewaltverzicht – aufgehoben.

Was folgt daraus für Europa?

Die Folge ist Instabilität. Diese wird bei Balten und Polen noch viel dramatischer empfunden als hier in Deutschland.

Weil sie näher dran sind?

Balten und Polen waren im 20. Jahrhundert Opfer nationalsozialistischer und sowjetischer Okkupationen. Sie haben bis heute Sorge vor einstmals expansiven Nachbarn.

Was folgt daraus für sie?

Wolfgang Eichwede

„Das Bombardement von Aleppo war nach Putins eigenen Worten eine große Tat“

Diese Länder sehen den Kern ihrer Sicherheit in der amerikanischen Präsenz. Das würden im Übrigen alle, die jetzt in Bremerhaven demonstrieren, genauso empfinden, wenn sie in Riga, Tallinn oder Lublin leben würden.

74, ist emeritierter Professor für Geschichte und Gründungsdirektor der Forschungsstelle Osteuropa an der Uni Bremen.

Wie bewerten Sie denn die Nato-Manöver an der russischen Grenze, fühlt sich Russland zu Recht bedroht?

Die Truppen, die dort Manöver durchführen, sind in keiner Weise geeignet, Russland zu bedrohen! Die Manöver dienen eher zur Beruhigung der Länder zwischen Russland und Deutschland.

Was verspricht sich die Nato außerdem von den Manövern?

Sie sind auch ein Zeichen an Putin: Die Nato ist hier und schützt ihre Mitglieder. Ein Szenario wie in der Ukraine, die ja nicht der Nato angehört, würde nicht hingenommen – das ist die Botschaft. Insofern sind die Truppenentsendungen auf Zeit ein Instrument, um mögliche Eskalationen zu vermeiden. Freilich verbirgt sich hinter dem Konflikt ein grundsätzliches Problem.

Welches?

Wir haben in Wladimir Putin einen Politiker, der offensichtlich überzeugt ist, aus Konfrontationen, auch aus militärischen, Machtvorteile zu ziehen. Er ist kein Mann des Friedens, sondern des kalkulierten Konflikts. Sehen Sie: Zivilökonomisch ist Russland keine Großmacht …

… und militärisch?

Militärisch ist Russland die zweitstärkste Macht der Welt. Die Kriege in der Ukraine und in Syrien haben Putin erneut zu einem „global player“ gemacht. Das Bombardement von Aleppo – für uns ein Kriegsverbrechen – war für ihn seinen eigenen Worten nach eine große Tat.

Was will Putin damit erreichen?

Er ist in seinem Sinne ein rationaler Machtpolitiker. Über die Konflikte, die er riskiert, glaubt er, weltpolitisch an Einfluss gewinnen und seine Macht im Innern stabilisieren zu können. Der zivilen Entwicklung seines Landes freilich fügt er dramatischen Schaden zu. In der historischen Perspektive ist Putin gleichsam eine Gegenfigur zu Gorbatschow: Dieser hat kein Militär und keine Geheimdienste eingesetzt, als die Geschichte über ihn hinwegging, sondern ein fantastisches, fast einmaliges Beispiel gesetzt für den friedlichen Abtritt eines Imperiums. Putin ist die geschichtliche Negation von Gorbatschow.

Sie und Gorbatschow kannten sich.

Ja, ich habe ihn in den 1990er-Jahren kennengelernt. Als ich ihn fragte, wie er es empfinde, ein Weltreich verloren zu haben, antwortete er nicht ohne Stolz: „Aber an meinen Händen klebt kein Blut.“

Im „Bremerhavener Appell“ ist auch vom „Säbelrasseln“ die Rede. Man solle Russland nicht weiter provozieren. Versteht Putin denn, was die Nato mit ihren Manövern zeigen will?

Mit Sicherheit versteht Putin eine solche Sprache.

Ein oft angeführtes Argument ist, Russland fühle sich durch die Expansion der Nato bedroht.

Das Argument ist falsch. Niemand soll und darf Russland bedrohen, schon gar nicht wir Deutschen. Wir können aber den Balten und Polen nicht verbieten, dass sie den gleichen Schutz genießen wollen wie wir! Es waren nicht die „bösen USA“, die expandierten. Es war der freie Wille der Völker, die für den damaligen Westen votierten, nachdem sie über vier Jahrzehnte gegen ihren Willen im Bannkreis sowjetischer Hegemonie zugebracht hatten.

Warum ist unter den Unterstützern des „Bremerhavener Appells“, aber auch generell in Deutschland, die Solidarität mit Russland so groß und nicht etwa mit den Staaten Osteuropas?

Darin spiegelt sich ein widerspruchsvoller Mix aus historischen Erfahrungen und Traditionen wider. Zunächst ist es das Schuldgefühl, das wir Deutschen angesichts des Zweiten Weltkrieges und der ungeheuren Verbrechen gegenüber Russland empfinden. Dass wir diese Schuld anerkennen, ist ein Teil unserer politischen Kultur. Doch verpflichtet sie uns nicht nur gegenüber Russland, sondern ebenso gegenüber der Ukraine, Polen, den baltischen und anderen Völkern.

Warum vergessen das so viele?

Wenn die „Solidarität“ mit dem Russland Putins zur Nicht-Solidarität mit den anderen Opfern des Krieges führt, kommt darin eine verhängnisvolle Tradition deutscher Großmachtpolitik zum Ausdruck. Die hatte in den vergangenen drei Jahrhunderten die „kleineren“ Völker zwischen Russland und Deutschland oftmals nicht im Blick oder stellte sie zur Disposition der beiden vermeintlich „Großen“. Wer Moral für sich in Anspruch nimmt, darf nicht der Geschichtsvergessenheit verfallen. Willy Brandts Politik des Gewaltverzichts galt allen Nachbarn. Sie war unteilbar.

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