piwik no script img

US-Kongress ohne SpeakerIn Geiselhaft der extremen Rechten

Kommentar von Stefan Schaaf

Der US-Kongress ist derzeit handlungsunfähig. Dass auch die Demokraten für die Abwahl McCarthys stimmten, ist verständlich.

Ort historischer Ereignisse diese Woche in den USA: Capitol in Washington D.C Foto: Kevin Lamarque/reuters

E s fällt außerordentlich schwer, das Schauspiel der vergangenen Woche auf dem Kapitolshügel in Washington noch mit nüchternen Worten zu analysieren. Einer Gruppe von gerade mal acht Abgeordneten des extremen rechten Rands der Republikaner im Repräsentantenhaus ist es gelungen, die Staatsgeschäfte im mächtigsten Land der Welt lahmzulegen.

Denn mit der Abwahl Kevin ­McCarthys als Sprecher des Repräsentantenhauses ist die Abgeordnetenkammer vorerst beschlussunfähig. Abstimmungen über den neuen Haushalt, die eigentlich überfällig sind, sind erst einmal nicht möglich. In der Folge droht Mitte November wieder einmal der umfassende Ausgabenstopp für die Regierung, der sogenannte Shutdown. Der ließe nicht nur Millionen von Staatsbediensteten und Militärangehörigen ohne Gehalt, sondern würde auch weitere Militärhilfe an die Ukraine stoppen, die weiterhin täglich von den russischen Streitkräften bombardiert wird und vor einem äußerst schwierigen Winter steht.

Es ist ein Fiasko mit Ansage: Seit die Republikaner im November 2022 eine knappe Mehrheit von 222 zu 213 im Repräsentantenhaus errangen, können wenige republikanische Abgeordnete der Mehrheit ihrer Fraktion ihren Willen aufdrücken. Und diese Gruppe namens Freedom Caucus nutzte ihre Macht weidlich aus. Sie ließ Kevin ­McCarthy 15 Wahlgänge bis zu seiner Bestätigung zappeln und rang ihm wichtige Ausschussposten ab. Vor allem änderte sie die Regel, wie McCarthy als Speaker abgewählt werden kann: Nicht mehr die Mehrheit ihrer Fraktion ist erforderlich, um dies zur Abstimmung zu bringen, sondern schon ein einzelner Abgeordneter kann ein Votum erzwingen. Fortan war McCarthy Geisel des Freedom Caucus.

Und sie hängten ihm den Strick um den Hals, nachdem er plötzlich einen auf sechs Wochen befristeten Übergangshaushalt vorgelegt hatte, der dann mit Stimmen der Demokraten verabschiedet wurde. ­McCarthy hatte damit das Richtige getan und einen Shutdown vorerst hinausgeschoben, aber gleichzeitig sein politisches Ende provoziert.

Die Demokraten wollen zeigen, dass die verfahrene Situation allein das Ergebnis der Streitereien der Republikaner ist

Theoretisch hätten einige Stimmen aus den Reihen der Demokraten McCarthys Abwahl verhindern können. Doch der hatte zuvor jedes Vertrauen zerstört, dass er nicht weiter versuchen würde, sie für den drohenden Shutdown verantwortlich zu machen und ihnen mit parlamentarischen Tricks Budgetkürzungen aufzuzwingen. Außerdem hatte er ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Joe Biden eingeleitet, obwohl es dafür keine triftigen Gründe gab. Die Demokraten wollten zeigen, dass die verfahrene Situation allein das Ergebnis der innerparteilichen Streitereien der Republikaner sei. Die traten in der hitzigen Parlamentsdebatte vor der Abwahl McCarthys offen zutage: „Denkt lange und gut darüber nach, ob ihr uns ins Chaos stürzen wollt“, warnte der Republikaner Tom Cole seine Kollegen.

Aber wie wären die Radikalen des Freedom Caucus zufriedenzustellen? Das ist nur schwer zu beantworten, nicht einmal eine offizielle Liste seiner zwei bis drei Dutzend Mitglieder gibt es. Aber sie lassen erkennen, dass sie Steuern und Ausgaben drastisch senken, Bundesbehörden radikal zurückstutzen, ­Regeln für die Umwelt oder den Schutz der arbeitenden Bevölkerung abschaffen und Einwanderung so weit wie möglich reduzieren wollen. Sie nennen das „den Sumpf austrocknen“. Mehrheitsfähig ist all das nicht einmal in ihrer eigenen Partei. Aber Kompromisse sind tabu.

Kurzfristiges Kalkül

Es gibt auch ein kurzfristiges Kalkül in dem Krawall, den die Radikalen veranstalten: Er verschafft ihnen Aufmerksamkeit in den sozialen Medien und eine landesweite Bekanntheit, die sich unmittelbar in Spenden für ihren nächsten Wahlkampf umsetzen lässt. Politisch ist es die zugespitzte Fortsetzung einer Entwicklung, die mit der Tea-Party-Bewegung 2009 begann und sich heute als „Make America Great Again“ zu einem politischen Kult ohne Realitätsbezug gewandelt hat, an dessen Spitze Donald Trump steht.

Ausgerechnet der schickt sich jetzt an, den Weg aus dem Chaos zu weisen. Schon am Dienstag will er nach Washington reisen und Gespräche mit republikanischen Parlamentariern führen. Bisher ist nicht absehbar, wer als Nachfolger McCarthys die erforderliche Stimmenzahl erreichen könnte. Es wurde gar vorgeschlagen, Trump zum neuen Speaker zu machen, da der Vorsitzende des Repräsentantenhauses erstaunlicherweise nicht zwingend aus den Reihen der Abgeordneten stammen muss. Allerdings darf er auch nicht unter Anklage stehen – so verlangt es die Geschäftsordnung der Kammer, die freilich von einer Mehrheit verändert werden könnte.

Trump im dritthöchsten politischen Amt der USA – das wäre allerdings ein echter Treppenwitz der Geschichte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Das passiert halt wenn man rechtsradikale religiöse Fanatiker einfach Schalten und Walten lässt.

    • @Tyramizou:

      Das passiert halt wenn man rechtsradikale ODER religiöse Fanatiker einfach Schalten und Walten lässt.



      Dann passt das auch in Zukunft für D.

  • Danke für diesen Hintergrundartikel!

  • Republikaner Kevin McCarthey will sich Dienstag 10.10.2023 zur Wiederwahl als US Kongress Speaker stellen. Da könnten Demokraten McCarthey zur Wiederwahl verhelfen mit ihren Stimmen, wenn nicht, kann das bedeuten, dass sich die Demokraten auf den Kongress Schlamassel mit neuem Kalkül eingerichtet haben mit Blick auf den Ukrainekrieg, US Ukrainehilfe, China-Taiwan Konflikt präventiv nationalen Notstand durch US Präsident Joe Biden verkünden zu lassen, am Kongress vorbei, nur noch mit Dekreten undvorläufigen US Notstands Staatshaushalt zu regieren. Ganz beiläufig mit Blick auf US Präsidentschaftswahlkampf 2024 bereits im Vorfeld mit Bumerang Effekt die Republikaner auf ihren inneren Konflikt zurückwerfen in ihrem eigenen Donald Trump Saft köchelnd schmoren lassen und medial im öffentlich Diskurs marginalisierten ?

  • Aus Sachzwängen, Loyalitäten und Erwartungshaltungen gelitet es in Richtung Katastrophe. Ob es wirklich nicht schlauer gewesen wäre McCarthy durch die demokratischen Stimmen im Amt zu halten... wer weiß. Um aus dieser Erpressersituation einen Weg heraus zu finden muß langfristig gedacht werden. Wie das aussieht, wer weiß...? Gelingt es nicht diese radikale Gruppierung öffentlichkeitswirksam vorzuführen, gibt es wohl keinen Ausweg.



    Die Argumente sind alle auf der Seite der Demokraten, aber wer interessiert sich schon für Argumente in einer Öffentlichkeit, in der jede Seite und besonders die rechte eigene Medienblasen besitzt ohne Kontakt zu anderen Positionen und Sichtweisen...



    zu hoffen, diese Gruppierung irgendwie besänftigen zu können oder gar einzubinden grenzt kanpp an Realitätsverweigerung, eine Gruppierung mit dem Ziel den Zentralstaat zu schwächen, ist nicht an Kompromissen mit eben diesem interessiert..

    • @nutzer:

      Ich stimme zu. Im Augenblick läuft es auf Jim Jordan heraus, das wäre definitiv schlimmer als McCarthy.



      Das Kalkül, das für die Demokraten ausschlaggebend sein müsste, ist doch recht simpel: ist zu erwarten, dass es nach McCarthy besser wird oder nicht? Die Demokraten sind davon ausgegangen, dass es besser wird. Die Annahme ist angesichts dieser Republikanischen Partei durchaus kühn.

    • @nutzer:

      "Ob es wirklich nicht schlauer gewesen wäre McCarthy durch die demokratischen Stimmen im Amt zu halten" -- vielleicht, aber wie oft dann noch sollen die Demokraten durch ihr relativ erwachsenes Verhalten die destruktive Babyhaftigkeit der Rechten abfedern und damit bemänteln? Während deren Anhänger immer mehr und verrückter werden? Irgendwann muss man sie sich bloßstellen lassen. Sonst explodiert der Kram vielleicht in einer noch viel schlimmeren Situation. (Naja, Shutdown ist schon echt schlimm.)

      • @miri:

        aber genau das meine ich ja, man muß diese radikalen bloßstellen, zur Not auch durch das taktische Stützen von McCarthy .



        Jetzt haben die Demokraten den radikalen einen weiteren Schlüssel in die Hand gegeben. Der künftige Sprecher der Republikaner kann nur von Gnaden der Radikalen sein, eine Zusammenarbeit wird gar nicht möglich sein. Ein geschwächter Mc Carthy, der aber theoretisch gegen die eigene Splittergruppe stimmen kann, könnte ein "Werkzeug" sein.



        Jetzt bekommen die Radikalen ihre totale Blockade in jedem Fall erreicht.

        • @nutzer:

          das '''Bloßstellen'' aus Sicht der einen und das ''erfolgeiche blockieren'' aus Sicht der anderen sind ja eben exakt die gleiche Sache je nach Weltbild. Will ich verantwortungsbewusst Politik machen oder den Laden anzünden.....



          Und es ist tatsächlich gut dass die Demokraten das Spiel nicht mitspielen und ''erfolgeiche blockieren'' nicht als Gewinn sondern als Niederlage (für die Verantwortenden ) betrachten.

          • @Eydeet14:

            In einen Konflikt mit einem rational agierenden Gegenüber ist das durchaus richtig. Bei einem Gegenüber das absolut nur auf Krawall aus ist und keinen Rspekt vor irgendwelchen Regularien hat, ist es genau falsch so zu reagieren.

  • Die Situation ist verfahren.



    Natürlich sind die Ultrakonservativen Schuld an der Situation.



    Besonders intelligent haben die Demokraten allerdings auch nicht agiert.



    Es hätte die Möglichkeit für die Demokraten gegeben, mit Mc Carthy für Ihre Unterstützung seines Postens, ein Ende des Vorgehens gegen Biden auszuhandeln.



    Statt dessen haben sie den kurzfristigen "Sieg" gewählt.



    Den können sie nicht lange genießen, da der Shutdown nur aufgeschoben war.



    Sollten Trumps Gefolgsleute weiter auf stur schalten



    ( warum auch nicht?)



    steht der Präsident im Kreuzfeuer der Kritik, für das Lahmlegen der öffentlichen Verwaltung.



    Wie die Geschichte zeigt, sehen sich die Republikaner hier in keiner besonderen Verantwortung.



    Wenn Trump es darauf ankegt, kann mit dieser Aktion der Wahlkampf mit harten Bandagen begonnen haben.



    Die Demokraten haben diesbezüglich keinen Einfluss mehr.

    • @Philippo1000:

      "Es hätte die Möglichkeit für die Demokraten gegeben, mit Mc Carthy für Ihre Unterstützung seines Postens, ein Ende des Vorgehens gegen Biden auszuhandeln."



      Der dümmste Vorschlag von allen (ohne, das ich die anderen kenne)! Schätze, das war McCarthys Kalkül, aber dann kämen die Demokraten dafür an den Pranger, weil ein Deal vor Gerechtigkeit ginge. Und es würde neuer Abgeordneten-Sport Anklagen zu erfinden, um sie in Verhandlungen einzusetzen. - Entsetzlich ...

    • @Philippo1000:

      ganz genauso sieht es aus.

      • @nutzer:

        Nee, so sieht es nicht aus.



        Siehe Beitrag von Miri, 7.10., 13.07h. Und dann kann Biden nach Notstandserklärung mit Dekreten regieren ...

  • Ich hab jetzt nicht den tiefen Einblick in die USAmerikanische Politik, aber so ganz verstehe ich das Kalkül der Demokraten nicht. Ich meine, klar haben sich die Republikaner mit den extremen Rechten eingelassen und die treiben sie jetzt vor sich her, was ja McCarthy was man so hört auch mit sich hat machen lassen.



    Jetzt kommt es aber so rüber, dass sie eher die moderaten Reps Schachmatt gesetzt haben. Die werden jetzt wissen, dass sie nichts mehr Reissen können, weil weder die extremen Rechten noch die Demokraten mitziehen. Ich würde vermuten, dass der:die nächste Sprecher:in sich garantiert mit den extremen Rechten gut stellen wird, weil halt sonst gar nichts geht. Wenn das passiert, haben die Demokraten eher den extremen Rechten in die hände gespielt.



    Ich bin mir jetzt nicht sicher, ob das das Ziel der Demokraten war und falls ja, ob das so schlau war.

  • Aus meiner Sicht sind die Mitglieder des "Freedom Caucus" parlamentarische Putschisten.

    Den ersten Erfolg verbuchten die Putschisten im Januar mit den vierzehn erfolglosen Wahlgängen von McCarthy. Der zweite Schritt der Putschisten zur Verfassungskrise war mit der Abwahl von McCarthy erfolgreich.

    Diese Putschisten werden die USA innenpolitisch weiterhin in Geiselhaft nehmen. Und das wird weltweite Auswirkungen haben.

  • Ich versteh die Demokraten nicht. Nur weil McCarthy Republikaner ist? Er war beim Haushalt zu kompromißbereit. Das wird der nächste Sprecher dann besser vermeiden.

    • @Wes:

      "Nur weil McCarthy Republikaner ist?"



      Wohl kaum. Die Gründe für die diesbezügliche Zurückhaltung der Demokraten sind im fünften Absatz des Artikels gut, ausführlich und nachvollziehbar erläutert.