US-Gerichtshof zur Gesundheitsreform: Ein Urteil alter Herren
Die Richter höhlen Obamacare aus: „Religiöse Gefühle" von Firmenchefs wiegen künftig schwerer als das Recht von Frauen auf Familienplanung.
NEW YORK taz | Fünf Männer des Obersten Gerichts der USA haben entschieden, dass die „religiösen Gefühle“ von Unternehmern schwerer wiegen, als das Recht von Frauen auf Gesundheit, Familienplanung und Selbstbestimmung. An ihrem letzten Arbeitstag vor der Sommerpause haben die Richter festgelegt, dass die Regierung Unternehmen nicht zwingen kann, „Medikamente und Geräte zu finanzieren, die Abtreibungen auslösen können, wenn das die Moral und Religion der Arbeitgeber verletzen würde“. Gemeint sind unter anderem die „Pille danach“ und Intra-Uterin-Pessare. Die drei Richterinnen des Supreme Court, sowie ein Mann, stimmten dagegen.
Mehrere christlich fundamentalistische Unternehmer hatten gegen eine Bestimmung in der Gesundheitsreform geklagt, die Frauen zusammen mit ihrer Krankenversicherung auch das Recht auf Familienplanung gibt. Die Hauptkläger Barbara und David Green – Baptisten aus Oklahoma – sind mit der Heimwerkerkette „Hobby Lobby“ zu Milliardären geworden. Sie argumentieren, es verstosse gegen ihre religiösen Gefühle, die Familienplanung ihrer Angestellten zu finanzieren.
In den Läden der Greens arbeiten mehr als 30.000 Menschen. Ihre Gewinne setzen die Greens zu politischen Zwecken ein – im Dienste der Bibel. Gegenwärtig bauen sie für rund 800 Millionen Dollar ein „Bibel-Museum“ im Zentrum von Washington, in direkter Nachbarschaft zu den nationalen Museen der USA und ebenso groß wie diese. Die Greens haben auch Millionen in die Entwicklung eines „Bibel-Lehrplans“ investiert, den sie an öffentlichen Schulen durchsetzen wollen. Einer ihrer Söhne, Mart Green, der Eigentümer von Mardel, einer Kette „christlicher Buchläden“, sowie der mennonitische Unternehmer Anthony Hahn (nicht mit der Autorin verwandt) aus Pennsylvania, dem die Tischlerei „Conestoga Wood Specialties“ mit insgesamt 950 Beschäftigten gehört, haben ebenfalls geklagt.
Die Offensive der Fundamentalisten reiht sich ein in zahlreiche andere Versuche von Konservativen, einerseits die Gesundheitsreform und andererseits das Recht auf Verhütung auszuhöhlen. Weitere Klagen gegen die Verhütungsbestimmungen in der Gesundheitsreform sind anhängig. Darunter eine von Nonnen, die in Wohlfahrtsvereinen arbeiten und es ihrerseits für eine Zumutung halten, wenn sie ihren Beschäftigten die im Gesetz vorgesehene volle Gesundheitsversorgung finanzieren müssen.
Boykottaufruf gegen „Hobby Lobby“
Mit dem Entscheid zugunsten von „Hobby-Lobby“ stellt das Oberste Gericht zum ersten Mal die religiösen Gefühle von Unternehmern über ein Recht der Beschäftigten, das in einem Bundesgesetz geregelt ist. In ihrer Begründung sagen die fünf Richter, dass ihr Entscheid nur für Unternehmen mit einem „kleinem Kreis von Gesellschaftern“ gelte, die starke religiöse Gefühle hätten. Und sie erklären auch, dass andere medizinische Bestimmungen der Gesundheitsreform – darunter Impfungen und Krebsvorsorgeuntersuchungen – nicht betroffen seien.
Allerdings befindet sich die überwiegende Mehrheit der US-Unternehmen – mehr als 80 Prozent – in den Händen von wenigen Gesellschaftern. Und nicht wenige von ihnen sind gegen die Gesundheitsreform und andere sozialpolitische Projekte der Obabama-Regierung aktiv. Die Oberste Richterin Ruth Bader Ginsburg, eine der vier Frauen, die am Montag gegen die Mehrheit gestimmt haben, befürchtet, dass der Entscheid zu einem Präzedenzfall werden könnte. Andere Unternehmer könnten sich auf unteren Instanzen der Justiz ebenfalls auf ihre „religiösen Gefühle“ berufen, wenn sie gesetzlich garantierte Rechte von Beschäftigten aushöhlen wollen.
„Das Oberste Gericht geht in eine erschreckende Richtung“, sagte die Senatorin Elizabeth Warren, eine Hoffnungsträgerin der Linken in der Demokratischen Partei, nach dem Entscheid. Im Internet zierkuliert bereits ein Boykottaufruf gegen „Hobby Lobby“ mit dem Motto: „Kein Geld für Unternehmen, die Frauenrechte unterdrücken“.
Im Weissen Haus sagt der Sprecher von Barack Obama, dass der US-Präsident die Religionsfreiheit respektiert. Aber dass er zugleich glaube, „Frauen sollten selbst über ihre Gesundheit bestimmen, anstatt ihre Bosse entscheiden zu lassen“. Der US-Präsident, für den die Gesundheitsreform eines der wichtigsten Vorhaben war, will jetzt nach anderen Möglichkeiten suchen, damit alle Frauen dieselbe inklusive Gesundheitsversorgung bekommen. Auch jene, die für religiöse Fundamentalisten arbeiten.
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