US-Buch zu verkindlichter Gesellschaft: Selbst Alte wollen nur Fun
Nebraskas Senator hat ein grauenhaft zu lesendes Buch geschrieben. Und ist im Recht: Wir sind zu kindlich. Das Netz und Hubba Bubba sind schuld.
Es ist Weihnachten. In der Schule soll ein Tannenbaum geschmückt werden mit bunten Cupcakes und amerikanischem Lametta (wir sind in Amerika). Er ist acht Meter hoch, dieser Baum (oder sagen wir neun oder sechs, da war ja niemand mit einem Lineal dabei); doch die Schüler hören nach drei Metern auf mit dem Schmücken. Sie hatten keine Leiter, antworten sie auf die Frage, was das soll. Nach einer gefragt, hat aber auch keiner. So etwas! Diese jungen Leute!
Politiker schreiben Bücher, das ist nichts Neues – über den Zahn der Zeit, über die Zukunft. Ben Sasse, Senator von Nebraska (das liegt in Amerika), hat ein Buch geschrieben mit dem Titel „The Vanishing American Adult“. Der „amerikanische Erwachsene verschwindet“ nämlich neuerdings und die Jugend verfällt mal wieder. Schon vor dreißig Jahren beklagte Neil Postman, amerikanischer Wissenschaftler, das „Verschwinden der Kindheit“; das Verschwinden des Verschwindens dürfte derweil noch dauern.
Das könnte man jetzt abtun: Jugend verfällt mit dem Alter, so ist das nun mal. Man könnte den wahnhaften Ordnungstrieb kritisieren, der aus dem eingangs wiedergegebenen Beispiel spricht. „Scheiß auf eitle Repräsentation! Die Ordnung stören ist doch gut“, findet er nämlich: der Linke in uns.
Man könnte sagen, dass das Buch grauenhaft zu lesen ist. Dass Homeschooling keine gute Alternative zum Schulbesuch ist, wie der Autor behauptet, wie ranzig die Schule nun sein mag. Dass es erwartbar und doch seltsam ist, Marx mit Reagan zu lesen, wie es Sasse tut, und dass die Erziehungstipps, die er verzweifelten Eltern – mittlerweile wohl die zuverlässigste Zielgruppe auf dem Buchmarkt – an die Hand gibt, reichlich abgedroschen wirken: eine Nacht in der Natur schlafen sollen die Jungs, mit bloßen Händen Hechte erschlagen, nach Europa reisen und Weihnachtsbäume schmücken wie verrückt. Eben echte Kerle werden!
Omas liken und alles verschwimmt
Der Kern des Befundes jedoch stimmt: Die Menschen werden kindlicher. Bei den gerade Großwerdenden der Generation Blablabla ist das kein neues Problem. Jahrzehnte McDonald’s, Privatfernsehen und Hubba Bubba haben sie dummgezüchtet. Empfehlungen wie die Sasses und der zahlreichen sich dazu berufen fühlenden Erdkundelehrer vom Dienst verschlimmern die Situation noch: Entdecke die Welt, komm an deine Grenzen, erlebe was – ja, aber was eigentlich? Ratschläge, mit denen inzwischen sogar die Bundeswehr wirbt, und die in ihrer Übergriffigkeit wohl vor allem die innere Leere der Spaß- und Erlebnisterroristen selber überdecken sollen.
Ben Sasse „The Vanishing American Adult“. St. Martin’s Press 2017, 320 Seiten, 16,99 Euro; bisher nur in englischer Sprache erschienen
Der Verpanzerung durch Fun, Fun-Fun und Fun-Fun-Fun indes unterliegen auch immer mehr Erwachsene. Gestandene Väter verbringen ganze Tage in der WhatsApp-Emojibar und nerven damit ihre Kinder und Friseure, Omas liken und alles verschwimmt in der Brühe des Viervierteltakt-Müllschlager-Power-Gekeifes. Der immer lautere Wahnsinn des Grillens, Bohrens und Bretterns auf achtundzwanzigspurigen Vorstadtzubringern gemahnt an das naiv Wütende des sich motorisch entwickelnden, alles abtastenden, ablutschenden Kindes.
Ständig wird sich ausgezogen und der noch im Alter formschön-straffe Körper gezeigt, von der Windel auf die Hantelbank – und zurück in die Windel. Die Bestätigungsintervalle werden kürzer, die Belohnung blutleer: Ja, Sie leben noch. Im Windschatten von Dieter Nuhr, Stromberg und „Heute Show“ verlottert die Sprache in Dauergekicher: Wenn Politikjournalisten mit Haarausfall ernsthaft von „Mutti“ oder „Uschi“ witzeln, fallen mir die Zähne aus.
Ein Land voller blökender Kinder ist leicht zu beherrschen – wer nicht mitblökt, der flieht sich in Resignation. Doch, wichtig: Was sagen unsere Zuschauer bei Twitter und Facebook zur Diskussion? Die Digital Natives, die mit diesem System des permanenten Aufschubs aufgewachsen und womöglich bald einmal von ihm ermüdet sind? Die, deren Dummheit und angebliche Politikverdrossenheit Politikern den Vorwand liefert, sich inzwischen auch auf YouTube von werberelevanten Happy Hippos befragen zu lassen, die „Macht der Jungen“ zu beschwören – als hätten die ein gemeinsames Interesse?
Es ist also nichts mehr zum Reiben da
Sie schreien mit oder verzweifeln schweigend, trinken Tee mit grünem Reis. Was will ich wirklich? Diese Frage birgt den Kern des Erwachsenseins, der menschlichen Vernunft: für sein eigenes Leben verantwortlich sein – und sorgt doch mittlerweile bestenfalls für Gelächter, liefert nur mehr Stoff für Motivationsratgeber und wolkige Coachings. Die Zeit der großen philosophischen Entwürfe, der Debatten und Weltbilder, ja, der Überzeugungen und Utopien ist vorbei; der Streit darüber, was ein gutes Leben ist, weicht der totalen Kakophonie des technokratischen Kleinstgeraunes: „Aufnahmezentren“, Kindergartengebühren, Exposés für Projektantragspitches. Kapital und Reaktion haben aufgeholt in Sachen Selbstdarstellung, ihrem Schleier entgeht nichts.
Opa schließlich, immer wieder Opa. Selbst ein Dämon oder Barbar, hatte doch, sagen uns Hauptstadtjournalisten, durchaus ein Recht mit seiner Doktrin des „Keine Partei rechts der Union“, außerdem ja das beste Abitur ganz Bayerns und ein Prachtkerl war er auch; und ist daher, wie rechts-links von ihm andere Altnazis (Schmidt, Weizsäcker, Kohl) zur Vorlage für sabbernde Seniorverehrung geworden – die finale Stufe des kindlichen Hirnschadens. Im Koma verkommt selbst Faschismus zur Meinung.
Es ist also nichts mehr zum Reiben da, und wenn doch, dann bestehen die Riten der Rebellen darin, Backsteine auf Kollegen der Pickelpartei zu werfen und Kadaver in Schubkarren zu transportieren, wogegen ja, wenn das denn alle in dem Alter so machen würden. Sie gründen HipHop-Parteien, hibbeln, hoppeln, witzeln, fahren Fahrstuhl, backen Waffeln und mögen den Trump überhaupt nicht. Oder sie werfen Flaschen wie früher Jutta und Josch und kommen dafür in den bildzeitungsfinanzierten Sonderknast und das war’s dann, keine Likes mehr auf Facebook. Überhaupt, Facebook: Paradies für unverstandene Linke. Wo soll man auch sonst hin? Nach Hause. Eltern warten schon.
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