US-Abtreibungsgegner ziehen vor Gericht: Abtreibungsrecht in Gefahr
In den USA ist eine Mehrheit für die Beibehaltung des Rechts auf Abtreibung. Doch die GegnerInnen hoffen jetzt auf das Oberste Gericht.
Das klingt nach einer neuerlichen Anfechtung eines Einzelaspekts im Recht auf Abtreibung. Doch sollte sich Mississippi vor dem Gericht durchsetzen, wird das Verfahren dazu führen, dass in weiten Teilen des US-amerikanischen Südens und Zentrums Abtreibung zu einem Recht der Vergangenheit wird.
„Es war ein historischer Fehler“, sagte Ex-Vizepräsident Mike Pence am Dienstag bei einer Demonstration von AbtreibungsgegnerInnen vor dem Obersten Gericht. Er meint das Grundsatzurteil „Roe gegen Wade“ von 1973. Das gab Frauen nach langem Kampf das Recht auf eine Abtreibung unabhängig von ärztlicher und religiöser Meinung, solange der Fötus nicht außerhalb des Uterus lebensfähig ist.
Das so verbriefte Recht gilt bislang landesweit. Allerdings können Frauen es an vielen Orten der USA schon seit Langem nur noch mit zahlreichen Hürden bekommen. Unter anderem müssen sie dort, wo die RepublikanerInnen an der Macht sind, zahlreiche Dokumente vorlegen, obligatorische Gespräche führen, Wartezeiten einhalten, Ultraschallaufnahmen anschauen, Töne anhören.
Evangelikale Konservative in der Offensive
Ex-Vizepräsident Pence ist ein evangelikaler Konservativer. Und eine wichtige Figur in der Bewegung der AbtreibungsgegnerInnen. Er war schon zu seiner Amtszeit unter Donald Trump einer ihrer Hoffnungsträger. Am Dienstag beteten und sangen sie erneut vor den Stufen des Obersten Gerichtes gegen das Recht auf Abtreibung.
So tun sie es schon seit Jahrzehnten. Doch nie waren sie einem Sieg so nahe. Seit Trump das Oberste Gericht mit drei ausgewiesenen AbtreibungsgegnerInnen neu besetzt hat, haben die Konservativen dort eine absolute Mehrheit. Sollten sie der Fristenregelung zustimmen, die Mississippi will, wäre das Grundsatzurteil von 1973 hinfällig.
Bis zu einer Entscheidung des Obersten Gerichtes können Monate vergehen. Sie wird erst im nächsten Frühsommer erwartet. Aber die Tatsache, dass sich das Gericht überhaupt mit der Anfechtung aus Mississippi befasst, ist ein Zeichen dafür, wie sehr sich die Mehrheitsverhältnisse in der Institution verändert haben.
Die BefürworterInnen des Rechts auf Abtreibung versammelten sich am Mittwochmorgen ab 7.30 Uhr vor den Stufen des Obersten Gerichtes in Washington. Für den Mittag hatten sie auch eine Demonstration in Jackson, Hauptstadt des konservativen Mississippi, angekündigt.
In dem Bundesstaat, einem der ärmsten Gebiete der USA, gibt es nur eine einzige Klinik, an der Frauen noch eine Abtreibung bekommen können. Vor den Toren dieses rosafarbenen Hauses müssen Patientinnen durch ein Spalier von AbtreibungsgegnerInnen gehen, die sie mit Bibeln etc. behelligen.
AbtreibungsbefürworterInnen mit dem Rücken an der Wand
Auch unter den BefürworterInnen des Abtreibungsrechts sind zahlreiche Vertreter sämtlicher Religionen. So haben mehr als 1.000 RabbinerInnen kürzlich dieses Recht mit dem Argument der Thora verteidigt. Auch die BefürworterInnen singen und beten. Natürlich haben sie die Feministinnen, die Mehrheit der WissenschaftlerInnen sowie die gegenwärtige Regierung in Washington hinter sich.
Seit Inkrafttreten des Rechts auf Abtreibung haben es Millionen Frauen in den USA in Anspruch genommen. Durchschnittlich jede vierte Frau im Land hat im Laufe ihres Lebens eine Abtreibung. Und für die öffentliche Meinung ist das Recht längst in die allgemeinen Sitten übergegangen. Umfragen zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der US-AmerikanerInnen – darunter auch die der RepublikanerInnen – das Grundrecht verteidigt.
Dennoch stehen die BefürworterInnen mit dem Rücken zur Wand. Sie haben vor 1973 mit aller Kraft gekämpft. Seither haben sie das Recht umgesetzt, Kliniken und Beratungszentren aufgebaut und sich auf andere noch zu erreichende Reformen konzentriert.
Unterdessen haben die AbtreibungsgegnerInnen eine Bewegung aufgebaut. Sie haben jede Menge Finanzmittel und nicht nur die Macht am Obersten Gericht, sondern auch in zahlreichen Bundesstaaten. Überall, wo gegenwärtig RepublikanerInnen regieren, liegen fertig ausgearbeitete Gesetzentwürfe vor, sollten sich die Konservativen am Obersten Gericht durchsetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund