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UN-Studie über Gewalt gegen Frauen87.000 Femizide in einem Jahr

Bei Tötungsdelikten spüren die Ermittler den Täter oft im familiären Umfeld auf. Weltweit wurden im Jahr 2017 rund 87.000 Frauen getötet.

Frauen demonstrieren in Indien gegen Männergewalt Foto: dpa

Wien dpa | Rund 50.000 Frauen sind 2017 nach einer UN-Studie von ihrem Partner oder von Familienangehörigen getötet worden. Insgesamt starben weltweit 87.000 Frauen durch ein Tötungsdelikt. Das geht aus einem Bericht des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) in Wien hervor. „Viele werden von ihren aktuellen oder früheren Partnern getötet, aber auch von Vätern, Brüdern, Müttern, Schwestern und anderen Familienmitgliedern wegen ihrer Rolle und ihres Rangs“, stellt der Bericht fest.

Wenn es sich um Partner oder Ex-Partner handle, seien die Taten meist nicht spontan, sondern stünden am Ende einer langen Gewaltspirale. Unter den Motiven spielten Eifersucht und Angst vor der Trennung eine wichtige Rolle. Vergleichszahlen von 2012 legten nahe, dass die Zahl der Opfer leicht steige, hieß es.

Beim Vergleich der Kontinente fällt auf, dass sich die meisten Fälle tödlicher häuslicher Gewalt in Asien abspielen. Dort verzeichnete die UN-Behörde im Jahr 2017 rund 20.000 von Partnern oder Familienangehörigen getötete Frauen. In Afrika wurden 19.000 Fälle gezählt, auf dem amerikanischen Kontinent 8.000, in Europa 3.000 und in Ozeanien 300. Werden die jeweiligen Einwohnerzahlen der Regionen berücksichtigt, ist die Situation für die Frauen in Afrika am gefährlichsten, in Europa leben sie vergleichsweise sicher.

Eine Übersicht des Bundeskriminalamts (BKA) zeigt das Ausmaß der vollendeten und versuchten Partnerschaftsgewalt in Deutschland. 2017 wurden fast 139.000 Opfer verzeichnet. Die Delikte umfassten Stalking, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, Bedrohung, Zuhälterei, Zwangsprostitution, Körperverletzung, Mord und Totschlag. Laut BKA wurden 141 Frauen und 32 Männer von ihrem Partner oder der Partnerin getötet.

„Die UN-Studie zeichnet ein düsteres Bild über häusliche Gewalt gegen Frauen auf der ganzen Welt. Gewalt gegen Frauen ist weiter verbreitet, als viele denken“, sagte die menschenrechtspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Gyde Jensen. Es sei mehr Anstrengung in der Politik, mehr Bewusstsein in der Gesellschaft und eine nachhaltigere Finanzierung für Prävention nötig.

Autoritäre Rolle des Mannes

Die Gewalt gegen Frauen wurzle oft in stereotypen Ansichten zur autoritären Rolle des Mannes, so die Autoren des Berichts weiter. Wer glaube, der Mann habe das Recht auf Sex oder das Recht, die Frau zu dominieren, neige eher zur manchmal auch tödlichen Gewalt. Bei den Tätern seien geringe Bildung, Misshandlungen in der Kindheit, Alkohol und die Erfahrung geringer Gewaltgrenzen wichtige Faktoren.

In Indien spielen die Mitgift-Morde weiter eine erschreckende Rolle. 40 bis 50 Prozent der Tötungen von Frauen hätten ein solches Motiv, so die UNDOC. Dabei bringen Ehemänner ihren Frauen – oft durch Anzünden – ums Leben, weil deren Mitgift nicht den Erwartungen des Mannes und seiner Familie entspricht.

In vielen Ländern werde Gewalt gegen Frauen oft gar nicht angezeigt, so der Bericht. Die Opfer zögerten aus Furcht, nicht die Täter, sondern sie würden für die sexuelle Gewalt verantwortlich gemacht.

Insgesamt wurden laut Bericht 2017 weltweit 464 .000 Menschen Opfer von Tötungsdelikten. Durch Mord und Totschlag seien viel mehr Menschen gestorben als in allen bewaffneten Konflikten im selben Zeitraum (89. 000). Banden wie die Mafia – also die organisierte Kriminalität – seien für 19 Prozent aller Tötungsdelikte verantwortlich. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts habe die organisierte Kriminalität so viele Menschen getötet wie alle bewaffneten Konflikte im selben Zeitraum zusammen.

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14 Kommentare

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  • Oh, je, jetzt kommt er sofort zum Vorschein, der Reflex gewisser Männer, sich benachteiligt, vernachlässigt und weniger wert zu fühlen, wenn Frauenmorden ein Artikel gewidmet wird. Wenn sie nicht im Mittelpunkt stehen und der Autor des Artikels nicht erwähnt, dass weltweit viel mehr Männer als Frauen getötet werden, sind sie beleidigt und relativieren sofort die die Tatsachen.



    Der Artikel handelt aber nun mal von Frauenmorden, somit ist logisch, dass Männer als Opfer darin keine Hauptrolle spielen.



    Als Frau kann ich dazu nur sagen, dass solche Reaktionen genau das aufzeigen, was hinter hinter Frauenmorden schlussendlich steht, auch wenn keiner dieser Männer hier je eine Frau umgebracht hat: Das männliche Selbstverständnis dominant und wichtiger zu sein, immer im Zentrum zu stehen, den Gang der Dinge zu bestimmen und dem Autor sogar noch zu erklären, wie er seinen Artikel hätte schreiben sollen.



    Das mangelnde Interesse an frauenspezifischen Problemen kommt noch hinzu. Dieses kann ich von keinem Mann verlangen, aber, dass sie zur Kenntnis nehmen, dass es das Recht gibt darüber zu schreiben.



    Das Problem ist: Im Gegensatz zu Männern werden Frauen in ihren Familien getötet, dort wo sich sich sicher und aufgehoben fühlen sollten, werden Todesurteile über sie gefällt und ausgeführt, weil sie gesellschaftliche Normen nicht erfüllen. Für Frauen und auch Kinder ist die häusliche Umgebung der Ort, wo sie dem grössten Risiko ausgesetzt sind, umgebracht zu werden. Nicht die bösen Männer oder Psychopathen an einer dunklen Strassenecke töten am meisten Frauen, sondern Ehemänner, Brüder, Väter, Ex-Partner. Das ist die traurige Geschichte, die hier in diesem Artikel steht.



    Es steht übrigens jedem Mann zu, der sich hier zurückstellt fühlt, weil die vielen toten Männer fehlen, sich zu engagieren, damit mehr Männer lernen mit Konfliktsituationen anders umzugehen, als den andern einfach umzubringen.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Ich glaube was einige Kommentatoren verkennen, ist der Umstand, dass Frauen von ihren Männern, Ex-Männern oder Familienmitgliedern ermordet werden.

    Das legt den Schluss nahe, dass sie ermordet wurden weil sie Frauen sind. Oder weil sie sich nicht so verhalten haben, wie es von ihnen als Frau erwartet wurde.

    Zu nennen wären noch die Mitgiftmorde in Indien, die Frauen treffen, die schlicht zu wenig Geld in die Ehe brachten, also zu wenig wert sind und so sterben müssen. Oder das Töten weiblicher Babys.

    Oder man denke an die Säureattentate, die Frauen treffen können, die sich getrennt haben.

    Alles in allem scheint mir die spezifische Ermordung von Frauen die Spitze von Frauenverachtung zu sein.

    Das muss man in keine Relation zu anderen Opfern stellen. Warum auch?

  • 9G
    91655 (Profil gelöscht)

    Das heißt, wir leben in einer Welt des überproportionalen Ermordung von Männern, schreiben aber über einen Genozid an Frauen ....

    Ist ein in Afghanistan ermordeter junger Polizist, ein von einer Hamas-Rakete ermordeter Jude oder ein im Drogenkrieg in Mexico erschossener Mann nichts wert?

    Diese Welt wird nicht besser, wenn wir nicht daran arbeiten, Gerechtigkeit für ALLE zu fordern!

    Als männliches (früheres) Opfer von Erwachsenen treten diese Berichte einem so richtig in die Eier.

    Ach, TAZ - sieht das Blut von Jungs anders aus, als von Mädchen?

    "Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? ... Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht?"

    • @91655 (Profil gelöscht):

      Sie haben selbstverständlich recht. Ich versuche mich an einer, vermutlich nicht zufriedenstellenden, aber naheliegenden, Erklärung, weshalb die Morde an Frauen im Vordergrund stehen. Ihr Kommentar hat mich darüber zum Nachdenken angeregt:

      Männer werden meistens von Männern umgebracht und ich könnte mir vorstellen, dass wir zwischen zwei Männern erst einmal von einer gewissen Ausgewogenheit der Kräfteverhältnisse ausgehen, was in einem unbewaffneten Konflikt zwischen einem Mann und einer Frau üblicherweise nicht der Fall ist. Hinzu kommt, dass es emotional unter Umständen mehr empört/berührt, wenn ein Mensch (nun egal ob Mann oder Frau) von eine/r/m seiner/ihrer "Lieben", also Ehemann, Freund, Vater, Bruder u.ä. umgebracht wird. Wenn der Mörder keine der Bezugspersonen ist, werden Frauen vor der Ermordung meist auch mehrfach vergewaltigt, was die Abscheu und somit die Aufmerksamkeit oftmals noch erhöht.

      Das darf keine Rechtfertigung sein, ich wiederhole, Sie haben recht, nur (m)eine Erklärung.

    • @91655 (Profil gelöscht):

      Der identitätspolitisch motivierte Schreiber muss die Vergleichbarkeit scheuen wo es nur geht, denn sonst gerät er häufiger als ihm lieb ist in die missliche Lage mit einer Realität konfrontiert zu sein, die sein simples Weltbild infrage stellt.

      Weisst man auf die Diskrepanz hin wird einem das gerne als fehlende Empathie ausgelegt, doch die Frage wie wir die Themen auswählen, die politisch geregelt werden ist natürlich legitim, jedoch muss sie von dem geneigten Klientelpolitiker ebenso gemieden werden wie die Vergleichbarkeit.

  • Der Umgang des Autors mit Daten ist schon abenteuerlich, wäre fast schon komisch, wenn das Thema nicht so ernst wäre. Die absoluten Zahlen pro Kontinent haben doch null Aussagekraft. In Asien wohnen nun mal mehr als doppelt so viele Menschen wie in Afrika. Einzig der Vergleich der Femizidraten wäre interessant! Vielleicht liegt da ja sogar Ozeanien vorne... ??

  • 0G
    05354 (Profil gelöscht)

    Femizide klingt irgendwie frauenfeundlich. Also ob Frauen Bakterien oder Pilze wären :D

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @05354 (Profil gelöscht):

      So wie Genozid?

      • @88181 (Profil gelöscht):

        Oder Suizid?

  • Äußerst verwirrende Zahlenspiele, die man interpretieren kann. In bewaffneten Konflikten weltweit sterben jährlich nicht einmal 100.000 Menschen? Dazu gibt es andere, deutlich höhere Angaben, teilweise auch von UN-Organisationen. Schon alleine was Syrien betrifft. Von der hier angegebenen Zahl der beinahe 500.000 Tötungsdelikte entfallen nur knapp 90.000 auf das weibliche Geschlecht?

    • @Hampelstielz:

      Ja, 81 Prozent der Ermordeten oder Getöteten waren Männer oder Jungen, geschätze 90% der Täter männlich. Liest man in anderen Medien, hier nicht? Unter unodc.org gibt es sehr ausführlich alle Zahlen. Überraschung: Es ist handelt sich um eine "Global Study on Homicide", nicht wie die Überschrift hier lautet eine "UN-Studie über Gewalt gegen Frauen"

    • @Hampelstielz:

      Über 80% der Opfer sind Männer. Das ist der taz keine Schlagzeile wert. Alles konzentriert sich auf die knapp 19% weiblichen Opfer. Aufmerksamkeit und Geld im Kampf gegen diese Gewalt sollten gleichmäßig verteilt werden. Es ist schlimmer Sexismus 80% der Opfer einer Art zu ignorieren, nur weil sie das falsche Geschlecht haben.



      Das @Hampelstielz den Eindruck hat, die Zahlen müssten falsch sein, liegt daran, dass immer nur die Gewalt gegen Frauen thematisiert wird, aber die Hauptopfergruppe ignoriert wird.



      In Deutschland ist das Ungleichgewicht nicht so extrem - doch auch hier sterben mehr Männer als Frauen an Gewalt.

      • @Velofisch:

        Ich bin auch kein Freund der moralischen Gewichtung von Menschenleben a la Frauen, Kinder und Alte vor 20-50jährigen Männern und noch nicht einmal von der Idee Zivilisten über Soldaten. Soldaten oft nicht freiwillig wo sie sind.



        Mein Einwand zu den Zahlen sollte ausdrüücken, dass ich die Zahl getöteter Frauen für gering erachte, also nicht richtig erhoben. Auch kann ich nicht glauben, dass man fast alle diese Tötungen als "Femizid" einstufen kann.

      • @Velofisch:

        So schlimm es ist, dass diese Morde passieren.

        Aber mich würde in der Studie mal explizit interessieren, warum man dort 'victim related' aufgenommen hat?

        Man KÖNNTE den Eindruck gewinnen, es ist schlimmer den Mann zu verlieren als das Leben.



        Wäre schön das mal zu verstehen.