UN-Sicherheitsrat tagt zum Südkaukasus: Sofortiger Kampfstopp gefordert
Auch Putin fordert in Telefonat mit Regierungschef Armeniens Waffenruhe. Ein türkischer Jet soll armenisches Flugzeug abgeschossen haben.
Sie sollten dafür mit der sogenannten Minsk-Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) zusammenarbeiten.
Sowohl der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew als auch der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan hatten allerdings kurz zuvor die Fortsetzung der Kämpfe angekündigt. Beide Seiten nehmen für sich in Anspruch, den feindlichen Truppen bereits schwere Verluste zugefügt zu haben.
Es gibt zudem starke Befürchtungen in der internationalen Gemeinschaft, dass sich der neu entbrannte Konflikt um die zwischen Aserbaidschan und Armenien umstrittene Region durch Interventionen ausländischer Mächte ausweiten könnte.
Vorwurf und Dementi von Abschuss
Am Dienstag erhob das armenische Verteidigungsministerium den Vorwurf, ein türkischer Kampfjet habe ein armenisches Militärflugzeug abgeschossen. Dies wurde von Ankara umgehend dementiert.
Auch der Sondergipfel der EU-Staats- und -Regierungschefs am Donnerstag und Freitag wird sich mit dem Konflikt um Berg-Karabach befassen, wie Ratspräsident Charles Michel ankündigte.
Die Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats zu dem Konflikt wurde nach Angaben von Diplomaten auf Initiative von Deutschland und Frankreich einberufen. Bei den Beratungen hinter verschlossenen Türen verabschiedete das Gremium eine knappe Erklärung, mit der es sich hinter die Bemühungen von UN-Generalsekretärs António Guterres um Entschärfung des Konflikts stellte.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte zuvor am Dienstag in Telefonaten mit Paschinjan und Alijew eine Rückkehr an den Verhandlungstisch im Rahmen der Minsk-Gruppe gefordert. Russlands Präsident Wladimir Putin wiederum unterstrich bei einem Telefonat mit Paschinjan die „dringliche Notwendigkeit“ einer Waffenruhe.
Pilot „als Held gestorben“
Das armenische Verteidigungsministerium teilte mit, eine armenische Maschine vom Typ SU-25 sei von einem türkischen F16-Kampfjet abgeschossen worden, der „von aserbaidschanischem Gebiet“ gekommen sei. Der Pilot der armenischen Maschine sei „als Held gestorben“.
Ein Sprecher des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bezeichnete den Vorwurf jedoch als „absolut unwahr“ und sprach von „billigen Propagandatricks“.
Sollten türkische Kampfflugzeuge wirklich direkt eingegriffen haben, wäre dies eine deutliche Eskalation. Bei den derzeitigen Kämpfen handelt es sich um die tödlichsten seit 2016.
Die offizielle Mindestzahl der Todesopfer der jüngsten Gefechte stieg bis Dienstag auf 97. Dabei handelt es sich um 17 Zivilisten und 80 armenische Rebellenkämpfer. Die tatsächliche Totenzahl könnte aber weitaus höher liegen. Beide Seiten führen ins Feld, jeweils hunderte Kämpfer der anderen Seite getötet zu haben, ohne dies zu präzisieren.
Unbestätigte Erfolgs- und Verlustmeldungen
Das Verteidigungsministerium in Eriwan erklärte, aserbaidschanische Angriffe an der Frontlinie seien zurückgeschlagen worden, bei „schweren Verlusten“ in den Reihen der feindlichen Soldaten.
Auch hätten die aserbaidschanischen Streitkräfte 72 Drohnen, sieben Hubschrauber, 137 Panzer, ein Flugzeug und 82 Militärfahrzeuge verloren.
Die Führung in Baku wiederum erklärte, ihre Truppen hätten einen armenischen Gegenangriff zurückgeschlagen. Dabei seien eine armenische Fahrzeugkolonne und eine Artillerie-Einheit vernichtet worden. Zudem sei ein motorisiertes armenisches Infanterieregiment zerschlagen worden.
Berg-Karabach liegt in Aserbaidschan, wird aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt, welche die Region auch unter ihrer Kontrolle haben. Der Konflikt um die Region dauert bereits seit Jahrzehnten an.
Nach einem blutigen Krieg mit 30.000 Toten hatte das ehemals autonome sowjetische Gebiet Anfang der 90er Jahre seine Unabhängigkeit von Aserbaidschan erklärt. Die Region wird jedoch von keinem Land als eigener Staat anerkannt und gilt international nach wie vor als Teil Aserbaidschans.
Am Sonntag war der Konflikt nach Jahren relativer Ruhe neu aufgeflammt. Verkompliziert wird die Lage durch die Konkurrenz zwischen der Türkei und Russland um größeren Einfluss im Südkaukasus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein