piwik no script img

UBA-Studie zu Stickoxid-BelastungTausende Tote, eine Million Kranke

Das Umweltbundesamt rechnet vor: Jährlich gibt es 6.000 Tote und eine Million Krankheitsfälle durch das Reizgas Stickoxid. Es sieht Handlungsbedarf.

Demonstration für ein Umdenken in der Verkehrspolitik, Berlin im Februar 2018 Foto: dpa

Berlin taz | In der Debatte um Fahrverbote für Diesel-Pkw hat das Umweltbundesamt (UBA) die Gefährlichkeit von Stickstoffdioxid (NOx) für die menschliche Gesundheit betont. Die Behörde legte am Donnerstag zum ersten Mal eine Studie über die Gesundheitsbelastung in Deutschland durch das Reizgas vor. Demnach führte die NOx-Belastung der Atemluft im Jahr 2014 zu jährlich mindestens 6.000 Todesfällen und jeweils etwa 440.000 Erkrankungen mit Diabetes und Asthma. Heute sei von ähnlichen Zahlen auszugehen.

„Unsere Studie zeigt, wie sehr Stickstoffdioxid der Gesundheit in Deutschland schadet“, sagte UBA-Präsidentin Maria Krautzberger bei der Präsentation der Studie. „Über eine Million Krankheitsfälle jährlich gehen auf die Stickstoffdioxid-Belastung zurück. Wir sollten alles unternehmen, damit unsere Luft sauber und gesund ist.“

Für die Untersuchung haben das Helmholtz-Zentrum München und das IVU-Institut die Studien zur Gesundheitsbelastung durch NOx neu ausgewertet. Die Ergebnisse sind konservativ gerechnet, denn sie berücksichtigen nur die tägliche Hintergrundbelastung und keine Spitzenwerte, nur bekannte Krankheitsbilder und lassen niedrige Belastungen mit NOx außer Acht.

Trotzdem gebe es eine deutliche Verbindung von NOx-Belastung mit Krankheiten wie Diabetes, Schlaganfall, Bluthochdruck, chronischer Lungenerkrankung (COPD) und Asthma. Wenn man „Hotspots“ wie Großstädte berücksichtige, sei die „Krankheitslast um bis zu 50 Prozent erhöht“, heißt es – die Dunkelziffer von Todesfällen und Erkrankungen sei also hoch. Insgesamt sinke die NOx-Belastung in der Luft seit Jahren, überschreite aber immer noch häufig die Grenzwerte. Dafür sei der Pkw-Verkehr „eine bedeutende Ursache “, sagte Krautzberger.

UBA: NOx-Problem bleibt bestehen

Mit dieser Studie widerspricht das UBA der Deutung, das NOx-Problem sei kleiner als behauptet und werde sich mit der Zeit von selbst erledigen. Seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu möglichen Fahrverboten vom 27. Februar hatten Politiker und Industrievertreter immer wieder versucht, das Problem kleinzureden. Schon der Untersuchungsausschuss des Bundestags hatte 2017 mit den Stimmen von Union und SPD behauptet, es gebe „keine wissenschaftlich erwiesenen Zahlen“ zu Todesfällen und „keine toxikologisch bedenklichen NO2-Werte“ in Deutschland. Opposition und Wissenschaftler hatten damals heftig protestiert.

Auch UBA-Präsidentin Krautzberger widerspricht jetzt: „Das ist traurig, da wurden offenbar die Studien nicht gelesen“, sagt sie. Der Rückgang der Belastung reiche noch lange nicht aus. Möglicherweise gebe es von der Weltgesundheitsorganisation WHO demnächst auch noch schärfere Grenzwerte.

Diese Studien liefern zahlreiche konsistente Ergebnisse über die Zusammenhänge zwischen negativen gesundheitlichen Auswirkungen und NO2-Belastungen

Umweltbundesamt

Bei der UBA-Untersuchung handle es sich um eine epidemiologische Studie, also um eine Untersuchung des Risikos für die Bevölkerung, nicht einen Überblick über einzelne Fälle. „Diese Studien ermöglichen keine Aussage über ursächliche Beziehungen“, betonte das UBA, „liefern jedoch zahlreiche konsistente Ergebnisse über die Zusammenhänge zwischen negativen gesundheitlichen Auswirkungen und NO2-Belastungen.“

Krautzberger sagte, das Stickoxid-Problem sei „eines von vielen Problemen des Verkehrs“. Dazu kämen noch die Belastungen durch Feinstaub (etwa 40.000 Tote im Jahr), Lärm oder Flächenverbrauch. Als Gegenmaßnahme müsse der Individualverkehr in den Innenstädten reduziert werden. „Wir müssen den Verkehr zivilisieren“, sagte Krautzberger.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Es wäre für die Diskusion sicher hilfreich, wenn die unterschiedlichen Interessenlagen deutlicher offen gelegt würden.



    Mit dem Argument, dass das Fahren eines Diesel-PKW Menschenleben kostet, wird eine sachliche Diskussion über die Gefahren für die Umwelt verhindert. Das die Luft in unseren Städten nicht immer gesundheits-förderlich ist liegt auf der Hand. Allerdings bedarf es verschiedener Maßnahmen die Luft zu verbessern. Die einseitige Fixierung auf den Diesel-PKW lenkt von den notwendigen Schritten ab. Umweltprobleme die von der Industrie und Politik zu verantworten sind, werden dem Einzelnen angelastet. Unterschwellig wird suggeriert, dass Dieselfahrer die Verantwortung am Tod vieler Menschen tragen. Lösungen für die Verbesserung der Luft in den Städten gibt es. Nun müssen auch sozial-verträgliche Konzepte umgesetzt werden. Aber bitte nicht zu Lasten einer Gruppe der Bevölkerung, sondern sozial gerecht.

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    „Diese Studien ermöglichen keine Aussage über ursächliche Beziehungen“, betonte das UBA.

     

    Aha, aber die Zahl der Toten und Erkrankten kann man zweifelsfrei kausal zuschreiben und eine taz Schlagzeile daraus machen?

  • Die Studie ist wissenschaftlich gesehen "echt der Hammer."

    "Es werden nur epidemiologische Studien berücksichtigt, da:

    i.

    Tierexperimentelle Studien und In

    -vitro -Versuche nicht unbedingt auf Menschen übertragbar sind.

    ii.

    Toxikologische und experimentelle Studien (z. B. kontrollierte Exposition von Studienteilnehmern in Expositionskammern) an Gesunden oder nur leicht Erkrankten durchgeführt

    werden müssen, nicht sehr lange dauern und keine schweren Schäden hinterlassen dürfen."

    Im Klartext: Da ich keine biologischen Zusammenhänge untersuchen kann, basiert meine epidemiologische Arbeit auf anderen epidemiologischen Arbeiten. Dh, ich belege statistische Zahlenspiele mit Zahlenspielen anderer epidemiologischen Arbeiten.

     

    Die Massen scheinen mir nur in dreierlei Hinsicht einen Blick zu verdienen: einmal als verschwimmende Copien der grossen Männer, auf schlechtem Papier und mit abgenutzten Platten hergestellt, sodann als Widerstand gegen die Grossen und endlich als Werkzeuge der Grossen; im Uebrigen hole sie der Teufel und die Statistik!" - Friedrich Nietzsche,

  • Wieder so eine Gefälligkeitsstudie, nerv!

  • Interessanter Aspekt: "Trotzdem gebe es eine deutliche Verbindung von NOx-Belastung mit Krankheiten wie Diabetes, Schlaganfall, Bluthochdruck,... "

    Genau dazu gab es einen Bericht im DLF. Nur ging es darum, dass Fastfood ein Auslöser ist. Durch eine irreversible Aktivierung des Immunsystems bleibt der Körper im Dauer-Stress, welches dann zu besagten Symptomen/Erkrankungen führt. Wobei ausdrück selbst gelegentlicher Konsum bereits schädlich sei und nicht durch nachfolgende "gesunde Ernährung" verbessert würde.

    Betrachte ich mir die Daten, dass vor allem in Großstädten die Zahl dieser Erkrankungen hoch ist, könnte ich jetzt mal behaupten, dass dies mit dem verstärktem Konsum "ungesunder Nahrung" zusammenhängen könnte. Statistisch gesehen essen mehr Stadtbewohner ungesund als Menschen auf dem Dorf.

    Warum werden also die Frittenschmieden oder Fastfood-Filialen nicht verboten?

  • Der angegebene Link zur Studie führt nur auf die Seite "Service› UBA fragen›Wie wirken sich Stickstoffoxide auf die menschliche Gesundheit aus?"

    Wo versteckt sich dort die erwähnte Studie?

    Bitte den Link korrigieren /oder den Text. Je nachdem, was zutrifft. Danke.

    • Bruno , Moderator
      @DerWoNixWeiss:

      Danke für den Hinweis, wir leiten ihn weiter.

  • Ich dachte die Grenzwerte sind am Arbeitsplatz viel höher. Wieso sollen die Todesfälle und Erkrankungen dann durch den Verkehr kommen?

    Es ist halt immer einfacher einen Bösewicht zu benennen und dann drauf zu schlagen, ob es stimmt? egal

  • „Etwa jeder vierte Raucher stirbt an den Folgen seiner Sucht, jährlich sind das zirka 110.000 Menschen in Deutschland“, weiß das Lexikon. Muss ich die 6.000 NOx-Opfer nun von diesen 110.000 Toten abziehen, oder werden die dazu addiert? Ich meine: Wie werden Raucher einsortiert, die an Hauptverkehrsstraßen leben? Und überhaupt: Was ist von solchen Statistiken zu halten?

     

    Ich will nicht bestreiten, dass jeder Tote ein Toter zu viel ist. Das Leid, das mit vermeidbaren Krankheiten einher geht, muss schon aus Gründen der Menschlichkeit minimiert werden. Nur: Wenn ich in 52 Jahren Leben eins gelernt habe, dann ist es, dass gut gemeint manchmal das Gegenteil von gut ist.

     

    Dass Verbote in jedem Fall lebensrettend wirken, ist nachweislich ein Gerücht. Ein Gerücht, das Menschen in Umlauf gebracht haben, die ihren Machtanspruch untermauern wollen damit. Und was wäre beliebter in diesem Zusammenhang, als eine beeindruckende Statistik?

     

    Die Frage ist allerdings nicht nur, wie viele Gutachten das UBA bisher noch NICHT hat erstellen lassen. Die Frage ist auch, was auf den Aktionismus folgt. Sind nicht auch Benzinmotoren ein Problem? Was ist mit Flugzeugen? Mit Kreuzfahrtschiffen? Mit Sattelschleppern? Mit Baufahrzeugen? Mit Zügen? Ist es wirklich so, dass von allen Verkehrsmitteln, die unsere Mobilität sichern helfen, ausgerechnet der Diesel-PKW das größte vorstellbare Übel sind – just jetzt, wo die NOx-Werte sinken?

     

    Wir sollten alles unternehmen, damit unsere Luft sauber und gesund ist, da stimme ich Maria Krautzberger zu. Nur muss die Frage erlaubt sein, ob Frau Krautzberger tatsächlich einen (Zivilisations-)Plan hat und nicht nur eine Statistik nebst einem Machtanspruch.

     

    Gar kein Verkehr ist ja womöglich auch keine Lösung. Schließlich: Was ist mit Rettungswagen? Das ganzheitliche und das sogenannte Ressort-Denken scheinen manchmal zwei sehr verschiedene Schuhe zu sein. Etwa so unterschiedlich, wie VWL und BWL.