U-Bahn-Treter-Prozess in Berlin: Knapp drei Jahre für Svetoslav S.
Das Gericht verurteilt einen Mann, weil er eine Frau von hinten die Treppe hinunterstieß. Laut Gutachten sei er nur vermindert schuldfähig.
Das Gutachten war zu Beginn des vierten Prozesstages vorgestellt worden. Der Sachverständige Dr. Andreas Böhle hatte erklärt, einen Menschen mit sehr einfacher Intelligenzstruktur kennen gelernt zu haben, bei dem er sowohl eine seelische als auch eine organische Erkrankung festgestellt habe. Depressiv, ängstlich, paranoid und zwanghaft sei er aufgetreten, zusätzlich seien Schädigungen des Hirns festgestellt worden, offenbar Resultat eines Unfalls im Jahr 2008. „Das ist mit Sicherheit auch in diesem Fall zu beachten“, erklärte der Psychiater mit Blick auf die Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung. Menschen mit dem festgestellten Krankheitsbild „neigen zu Durchbrüchen“.
Dass Drogen einen Einfluss auf die Hemmschwelle von S. gehabt haben, wollte der Gutachter nicht ausschließen. Der Angeklagte selbst und zwei ZeugInnen hatten vor Gericht angegeben, am Abend der Tat stark unter Drogen gestanden zu haben.
Die Staatsanwaltschaft rechnete dem Angeklagten in ihrem Plädoyer unter anderem seine Entschuldigung für die Tat positiv an. Die Anwältin des Opfers widersprach und unterstellte, die fehlende Erinnerung von Svetoslav S. an die Tat sei vorgeschoben und argumentierte: „Wer sich nicht erinnert, kann sich auch nicht richtig entschuldigen.“ Im Prozess habe sich letztendlich nur die Frau des Angeklagten entschuldigt. Vor Gericht hatte sie erklärt, sie bereue, vor der Tat einen Streit mit ihrem Mann am Telefon geführt zu haben, und stellte eine Verbindung zwischen der Auseinandersetzung und dem Übergriff im U-Bahnhof her.
Bundesweite Bekanntheit erreichte der Fall durch ein Überwachungsvideo vom Berliner U-Bahnhof Hermannstraße. Auf dem Video ist zu sehen, wie Svetoslav S. eine 26-jährige Frau mit einem Tritt in den Rücken eine Treppe hinunterstürzt. Das Video wurde Anfang Dezember letzten Jahres veröffentlicht und verbreitete sich rasant über unterschiedliche Kanäle. Wenige Tage nach Veröffentlichung des Bildmaterials wurde der Täter festgenommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland