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Twitter-Ersatz BlueskyToxic Positivity

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Die Harmonie auf dem Ersatz-Twitter Bluesky verzerrt den Blick auf die Realität. Das beweisen die polarisierten Online-Reaktionen auf Habecks Besuch bei Caren Miosga.

In seinen Blasen ist man schnell mit seiner Meinung isoliert Illustration: Ali Arab Purian

E s war ein großes Wiedersehen in den letzten Wochen, von X-Gefrusteten auf der Plattform Bluesky. Doch die Freude über den neu erblühten, nun als irgendwie demokratisch geltenden Twitter-Ersatz, hat Schattenseiten.

Nach Elon Musks völlig enthemmter Wahlkampagne für Donald Trump hatten sich immer mehr Menschen von X verabschiedet – jener Plattform, die zum globalen Standardmedium aufgestiegen war, bis der Milliardär sie 2022 gekauft und sie seither ruiniert hat.

Die US-Wahl brachte der Abwanderung zur Alternative Bluesky einen neuen Schub: Millionen schlossen ihre X-Accounts, angewidert von Musks Hetze, der Penetranz seiner Zehntausenden Tweets und der offenkundig von ihm angeordneten, unverhohlenen algorithmischen Bevorzugung rechtsextremer, misogyner, verschwörungsideologischer Inhalte.

Das schon 2021 – durch eine Initiative von Twitter selbst – an den Start gegangene, aber bisher recht verschlafene Bluesky verdoppelte seit Ende Oktober seine Nutzerzahl auf rund 21 Millionen.

„Gottlos weggeblockt“

Viele freuten sich, auf Bluesky alte Twitter-Bekanntschaften wiederzusehen, die sich still von X zurückgezogen hatten. Und viele betonten, wie freundlich-konstruktiv es auf Bluesky nun zugehe, ganz anders als zuletzt bei X, wo der allgemeine Tonfall das Etikett „toxisch“ zweifellos verdient.

Viele hoffen, das möge so bleiben. Und so wurde sich in „Starterpacks“ genannten Listen freundlichst gegenseitig empfohlen, auf dass die alten Bubbles wieder zueinander finden mögen.

Flankiert wurde dies vom Bemühen, Bluesky „sauber“ zu halten: „Du bist #neuhier?? Willkommen!“ schrieb etwa ein Account namens Schattenspiele. „Bester Tipp: Halte deine Timeline sauber! Rechte, Schwurbelköppe und Trolle werden einfach ignoriert, nicht geteilt, nicht besprochen, sondern einfach gottlos weggeblockt“, empfahl er weiter. „#Wirsindmehr“ und damit das so bleibe, „folgen sich De­mo­kra­t*in­nen untereinander.“

Bluesky als Echokammer

Der Post fasste die Stimmung sehr gut zusammen. Genüsslich und unter allgemeinem Applaus wurden Blocklisten und -empfehlungen auf Bluesky herumgeschickt. Alle schienen sich einig: Auf keinen Fall dürfe die Plattform zur selben Hassmaschine verkommen wie X.

Doch diese Säuberungsbemühungen haben eine Schattenseite. Zu besichtigen war die etwa bei den Reaktionen auf den ARD-Talk von Robert Habeck bei Caren Miosga am Sonntagabend: Bei Bluesky waren viele schwer von dem „eloquenten“ Grünen „beeindruckt“, hashtaggten sich mit #TeamHabeck. Miosga habe beim Versuch, Habeck bloßzustellen, „versagt“. Habeck sei einer der wenigen Politiker Deutschlands, die Verantwortung übernehmen, ehrlich kommunizieren und Kanzler „kann“.

Wer eher progressiv tickt, dürfte beim Lesen beifällig genickt und Hoffnung geschöpft haben: Wenn das hier nun alle so sehen, wer weiß, vielleicht ist eine Kanzlerschaft Merz’ ja doch noch zu verhindern. Es dürfte etwa das gleiche Gefühl gewesen sein, das viele beim Konsum der zunächst hoffnungsfrohen deutschen Medienberichte über den Wahlkampf von Kamala Harris bekommen hatten.

Polarisierte Lager

Auf Twitter hingegen war es wie in der dunklen Paralleldimension der Netflix-Serie „Stranger Things“: In ihr sind die gleichen Dinge, aber sie sind komplett verdüstert und bedrohlich überzogen von einer Art radioaktivem Staub.

Unter dem Hashtag ­#Miosga wurde sich über den Talk ausgekotzt. Habeck galt als der „gefährlichste Politiker Deutschlands“, als „unverschämt“, „unerträglich“, „Clown“, „Versager“. ­Miosga habe sich ihm angebiedert und der ÖRR habe, wie üblich, „versagt“, weil niemand da war, um „seine Lügen zu unterbrechen“.

Nun ließe sich sagen: Ist doch schön, so hat nun jeder seine Bubble. Doch die Lager sind heute so derart polarisiert, dass ein liberal-demokratisches Milieu auf Bluesky viel zu schnell vergisst, wie viele „die anderen“ heute sind, wie groß deren Ablehnung progressiver Positionen ist. Wer nur von seinesgleichen liest, bekommt ein gefährlich stark verzerrtes Bild der Meinungsrealität, merkt das aber nicht mehr.

Die Folge ist absehbar: Entwicklungen werden unterschätzt oder ganz übersehen. In der Vergangenheit waren viele von den Trump-Wahlen oder dem Brexit vor allem deshalb so überrascht, weil sie sich nur innerhalb ihrer eigenen Meinungsblase informiert hatten – schon aus „Mental Health“-Gründen. Doch wer verpasst, wie sich Stimmungen wandeln, verliert die Fähigkeit zur Intervention.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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8 Kommentare

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  • Solange die Linke ganz unreflektiert meint die gesellschaftliche Mehrheit zu stellen, kann und wird sich nichts ändern („#Wirsindmehr“).

    Nach meiner Beobachtung sind ca. 2/3 der Menschen unpolitisch-opportunistisch und rechts-links Konfrontationen keine 50/50 Konstellationen, sondern die jeweils äußeren 5% gehen aufeinander los.

  • Frage 1: Wissen wir eigentlich zu welchem Zweck Leute, die keine Journalist*innen sind, soziale Medien nutzen? Ich persönlich nicht um mich zu informieren - dafür nutze ich die taz und die öffentlich-rechtlichen Medien. In sozialen Medien will ich mich unterhalten, unterhalten werden, vielleicht Bündnisse schließen. Das geht nicht mit den Trollen auf Twitter. Dafür ist eine Bubble notwendig. In der es auch Meinungsverschiedenheiten geben kann, übrigens. Aber mit einem Grundkonsens halt, dass bestimmte Verhaltensweisen und Einstellungen nicht gehen.



    Frage 2: Wenn ich die taz lese, muss ich dann in dieser Logik auch Produkte der Springer-Presse lesen, weil ich sonst in meiner Bubble bleibe und das irgendwie schlecht ist?



    (Übrigens existiere ich persönlich auch außerhalb des Internets und rede mit Leuten oder höre die reden. Das reicht schon.)

  • Wie viele die anderen sind, mag überschätzt werden. Im Guardian ist ein deprimierender Artikel darüber, wie die Rechten der Welt KI nutzen, um Hassposts zu generieren. Je öfter eine Botschaft gehört wird, desto eher wird sie geglaubt. Besonders, wenn auf verschiedenen Kanälen scheinbar verschiedene Subjekte die gleiche Botschaft in unterschiedlicher Verpackung verbreiten. Millionen Hassposts gehen auf einen virtuellen Urheber zurück.

    KI, wahrlich ein unentbehrlicher Segen für die Menschheit.

  • Danke für diesen klaren Kommentar. Als im Rahmen des US Wahlkampfes K. Harris als Siegerin herbeigeschrieben wurde (auch in der taz), musste man sich nur einmal ein paar ausländische Medien zu Gemüte führen, um ein realistischeres Bild der Lage zu bekommen.



    Genau diese Scheuklappenmentatlität macht die deutsche Linke so handlungsunfähig.

  • " Doch wer verpasst, wie sich Stimmungen wandeln, verliert die Fähigkeit zur Intervention." - Stimmt voll und ganz! Problem nur: Die Aufgabe ist verdammt groß. Wer schafft es, sich mit Argumenten gegen all den Hass und die Hetze zu stemmen, vor allem mit dem Bewusstsein, dass alle Gegenargumente doch nicht durchdringen, weil das Brett viel zu dick ist. Die bessere Alternative wäre wohl, alle diese Meinungsplattformen abzuschaffen und Diskussionen von Leuten moderieren lassen, die sich darauf verstehen und dafür bezahlt werden.

    • @mwanamke:

      Es reden generell viele Menschen dogmatisch über Dinge, von denen sie keine Ahnung haben.

  • Ein sehr kluger und vorausschauender Kommentar, wirklich. Wie so oft bei Herrn Jakob.

  • Ich finde den Artikel sehr einsichtsreich. Was man in sozialen (oder "sozialen") Netzwerken sieht, hängt eben davon ab, was man sehen will - oder was Algorithmen glauben, was man sehen will.

    Und weil das umso besser geht, wenn man Gleichgesinnte um sich hat, haben die allen Grund, auch da zu sein, wo man selbst ist.



    Diese Überlegung bereits spricht übrigens auch nicht unbedingt für die beiläufig geäußerte Mutmaßung, auf X würden bestimmte Inhalte gezielt algorithmisch gepusht. Als Erklärung ist das absolut nicht nötig.

    Der große Unterschied, der die Symmetrie bricht, ist offensichtlich, dass X nicht mehr (oder kaum mehr) moderiert wird.



    Und weil das mit Ansage und plötzlich kam, führte das zu verrohten Sitten; das Meinungsspektrum müsste dadurch eher größer, erst durch Bubble-Sortierung kleiner geworden sein.



    Ach ja, und X ist immer noch deutlich größer.

    Es bleibt dabei:



    Wer tatsächlich Meinungsaustausch mit anderen sucht, muss sich dort hinbegeben, wo andere sind. Aufs Straßenfest, in die Kneipe - oder aber auf immer mal wieder wechselnden virtuellen Orten.